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Veröffentlicht am 02.02.2017

Gute Ideen, aber zu viel gewollt

Never Say Anything
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Politthriller können sehr packend sein. Jeder kenn Autoren, denen Geheimdienstgeschichten leicht gelingen. Michael Lüders ist – zumindest nach diesem Buch beurteilt – keiner davon. Er ist Orientalist und ...

Politthriller können sehr packend sein. Jeder kenn Autoren, denen Geheimdienstgeschichten leicht gelingen. Michael Lüders ist – zumindest nach diesem Buch beurteilt – keiner davon. Er ist Orientalist und schreibt bekannte Sachbücher zu diesem Thema. In „Never say anything“ versucht er, den Orient mit Amerikas (teils fragwürdigem) Kampf gegen den Terror und den Ermittlungsmethoden der NSA und anderen Behörden zu verbinden.
Wohl, um auf sicheres Terrain zu kommen, startet die Geschichte im Orient, in Marokko. Dieser Teil macht Lust auf mehr und man hat das Gefühl, dass aus den ersten Abschnitten ein packender Thriller werden kann. Zu Beginn werden Drohnenattacken in den Mittelpunkt gestellt und die Arbeitsweise amerikanischer Truppen angeprangert. Soweit so gut. Mit der Verlage der Handlung nach Deutschland ändert sich der Eindruck, den man von dem Buch bekommt. Die Geschichte wandelt sich oft, flacht teilweise ab, zieht dann wieder an und wird aber mit zunehmender Länge immer verwirrender und unlogischer.
Das liegt nicht zuletzt an der Wahl der Hauptperson. Sophie Schelling ist Mitte 30 und Journalistin. Doch sie handelt fast das ganze Buch über zu naiv und impulsiv. Sie steht sich durch ihre falsch eingesetzten Emotionen (zu viel, wo es unnötig ist, zu wenig, wo jeder andere emotional wäre) selbst im Weg. Wie ein Wunder überlebt sie die psychische und physische Hetzjagd, die auf sie gemacht wird, weil sie in Marokko Zeugin eines illegalen Angriffs der Amerikaner auf ein unbescholtenes Dorf wird.
Mit seinem – wohl auch von bisherigen Veröffentlichungen geprägten – nüchternen, verkürzenden Schreibstil versucht der Autor wohl, nicht von der Geschichte abzulenken. Leider gelingt das nur teilweise, denn durch die Verknappung gibt es verwirrende Sprünge in der Handlung, Charaktere werden nicht oder kaum greifbar. Leider bleibt vieles (unter anderem das Ende) offen, Schicksale werden nicht geklärt, keine Begründungen für Handlungsweise oder anderes eingebracht.
Gegen Ende hat man das Gefühl, dass noch viele Ideen auf wenige Seiten gequetscht wurden, außerdem wird es ganz plötzlich noch actionlastig, was auch nicht nötig gewesen wäre und nicht so recht in die Geschichte passen will.
Die Grundideen sind interessant und könnten durchaus einen guten Thriller abgeben, leider wurde bei der Umsetzung zu viel gewollt. Weniger (unwichtige) Handlungsstränge und Personen hätten es möglich gemacht, sich besser mit den Geheimdienst- und Cybermachenschaften zu befassen und ohne Action nur durch diesen Wettlauf der Institutionen und der Aufdecker den Thrill entstehen zu lassen (vgl. Edward Snowden, Julian Assange).
Das Cover ist passend, auch der Titel wird gegen Ende des Buches erklärt.

Veröffentlicht am 02.02.2017

Ein Kater und wie er die Welt sieht

Zweistein oder Das Brummen der Welt
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Auch wenn es so wirkt, dieses Buch ist nicht nur etwas für Katzenfreunde. Denn: Katzenfreunde und Katzenbesitzer werden sich hier in so manchen Episoden wiedererkennen. Alle anderen erkennen ihnen bekannte ...

Auch wenn es so wirkt, dieses Buch ist nicht nur etwas für Katzenfreunde. Denn: Katzenfreunde und Katzenbesitzer werden sich hier in so manchen Episoden wiedererkennen. Alle anderen erkennen ihnen bekannte Katzenbesitzer und –freunde. Mit herrlich frischen, unverfälschten „Gedanken“ eines Katers unterhält die Autorin Franziska Wolffheim hier Leser von Groß bis Klein. Doch nicht nur die Menschen bekommen bei Zweistein, dem gescheiten Kater mit dem grauen Fell, ihr Fett weg. Auch die Katzen seiner Umgebung und andere Tiere tauchen in den kurzen Abschnitten immer wieder auf. Und nicht nur über diese grübelt Zweistein, damit der Tag vergeht, er ist auch ein kleiner Philosoph. Das Wetter, die Erde und der Himmel, Regenbogen, Düfte, die Wohnungseinrichtung und auch Mozart bieten ihm Gelegenheit, sich darüber auszulassen. Mal positiver, mal eher gleichgültig und von manchen Dingen ist er sehr genervt. Da kann man schon einmal ans Auswandern denken. Nur um dann festzustellen, wie gut man es als Kater hat und schon beschließt Zweistein zu bleiben. Ab und an denkt Zweistein sehr menschlich, dann hat er wieder sehr „katzenbezogene“ Gedanken, soweit man das als menschlicher Leser überhaupt beurteilen kann. Vielleicht sollte ich das Buch einmal meinem Kater zum Lesen geben…
Eine nette Abwechslung bieten auch die Zeichnungen von Stefanie Clemen, die mal zu Zweisteins Situation passen und mal einfach so niedlich daherkommen. Doch auch wenn es dadurch so aussehen mag, ist dieses Buch kein Kinderbuch an sich. Manche Geschichten lassen sich sicher gut vorlesen, doch auch ernste oder wissenschaftlichere Themen werden behandelt, über die man dann mit Kindern noch ein weniger genauer reden kann.
Dieses Buch mag aufgrund seiner geringen Seitenanzahl unterschätzt werden und je nach Herangehensart kann man es sicher auch „nur“ als niedliche Unterhaltung lesen oder sich aber von Zweistein inspirieren lassen, tiefer über so manches nachzudenken und sich vielleicht mit anderen darüber auszutauschen.

(gelesen: Hardcover)

Veröffentlicht am 02.02.2017

Skandinavischer Pageturner, viele Leichen inklusive

Minus 18 Grad
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Achtung! Dieser Krimi mit viel Thrill ist ebenso fesselnd wie möglichweise verwirrend. Gerade zu Beginn ist es noch schwer, die schwedischen Ermittler von den dänischen zu unterscheiden, sind erstere doch ...

Achtung! Dieser Krimi mit viel Thrill ist ebenso fesselnd wie möglichweise verwirrend. Gerade zu Beginn ist es noch schwer, die schwedischen Ermittler von den dänischen zu unterscheiden, sind erstere doch für Helsingborg und letztere für Helsingör zuständig.
Hat man da erst einmal alle Charaktere kennengelernt und die Handlungsstränge zuggeordnet, wird es richtig spannend. In Dänemark treiben sich skrupellose Jugendliche herum, die auch über Leichen gehen und auf dem schwedischen Festland fährt ein Toter mit seinem Wagen ins Hafenbecken. So verrückt dies und all die weiteren Vorkommnisse (mehrere Leichen inklusive) klingen, Fabian Risk und seine Kollegen entdecken, wie der Serientäter dies gemacht haben kann und nun beginnt ein Wettlauf um die nächsten potentiellen Opfer.
Meist sieht es für die Ermittler schlecht aus, denn obwohl sie vieles wissen, fehlen ihnen entscheidende Puzzleteile (und manchmal auch das nötige Bisschen Glück) und sie kommen zu spät. Ähnlich Dunja Hougaard, ebenso ehrgeizige wie undiplomatische Polizistin in Helsingör: Aus einer scheinbar einfachen Befragung einer blutüberströmten verwirrten Frau entwickelt sich eine zähe Ermittlung, die noch dazu von innerhalb ihrer eigenen Behörde sabotiert wird. Zu viele unnachgiebige und hitzige Köpfe prallen aufeinander, Eitelkeiten stehen im Fokus.
Auch wenn manches in diesem mehr als 550 Seiten starken Krimi zu schlecht für die „Guten“ und sehr glücklich für die „Bösen“ läuft, so ist das Buch dennoch über weite Strecken realistisch und sehr sehr fesselnd. Zwischendurch kommt einem schon einmal der Gedanke „Ach schon wieder jemand tot?“, aber nach rund der Hälfte der Lektüre ist man dann schon so abgehärtet wie Risk und Hougaard. Was nicht bedeutet, dass es ab dann keine überraschenden Wendungen mehr gibt, beileibe nicht.
Wer bei einer großen Zahl vielschichtiger Protagonisten leicht den Überblick verliert, hat mit „Minus 18°“ vielleicht weniger Freude, aber Krimi- und Thrillerfans, die über kleine „handlungsunterstützende Zufälle“ hinwegsehen können, werden mit diesem Pageturner viele unterhaltsame Stunden verbringen. Um am Ende gleich in den Beginn des nächsten Bandes hineinzugleiten…

Veröffentlicht am 30.01.2017

Ein illustres Ermittlerteam und „Land unter“ in Rom

Schattenkiller
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Mit der ihm eigenen literarischen Erzählweise fügt Mirko Zilahy hier typisches Thriller-Stückwerk zu einer sehr intensiven, traurigen Geschichte zusammen, die die Polizei der italienischen Hauptstadt nicht ...

Mit der ihm eigenen literarischen Erzählweise fügt Mirko Zilahy hier typisches Thriller-Stückwerk zu einer sehr intensiven, traurigen Geschichte zusammen, die die Polizei der italienischen Hauptstadt nicht zur Ruhe kommen lässt. In Umgebungsbeschreibungen, die von düsterer Herbststimmung und Dauerregen beherrscht werden, kann sich der Autor so richtig ausleben.

Mit an Bord: Enrico Mancini – trauernder, halb depressiver, isolierter Kommissar; Walter Comello – seine rechte Hand; Caterina De Marchi – Polizeifotografin; Antonio Rocchi – Gerichtsmediziner; Carlo Biga – ehemaliger Professor für Kriminologie; sowie Giulia Foderà – Staatsanwältin. Die Charaktere in dieser von Mancini zusammengestellten Truppe könnten nicht unterschiedlicher sein, dennoch ergänzen sie sich mit ihren Stärken und Schwächen wunderbar. Trotz der angespannten Atmosphäre lassen Szenen, wo sie sich beim Brainstorming gegenseitig vor Ungeduld ins Wort fallen, den Leser schmunzeln. Denn jeder will natürlich seine eigenen Ideen ausgiebig präsentieren.

Der Fall, an dem das kleine Team arbeitet, dreht sich um mehrere ungewöhnlich grausame Morde. Ungewöhnlich in mehrerer Hinsicht. Zwar gibt es einen Serienmörder, doch ist die Vorgangsweise bei jeder Tat unterschiedlich und sowohl die Fundort der Toten als auch die Biografie derer weisen zunächst keine Verbindungen auf.

Die Ermittlungen kommen nur schleppend voran, vieles ist mühsam und von Wiederholungen geprägt, die scheinbar zu nichts führen. Daher bleibt viel Raum für die Hauptperson. Das Warten darauf, ob Mancini psychisch noch die Kurve kriegt oder sich in seinen Problemen verliert, lässt niemanden kalt. Entweder man bangt mit ihm mit oder man ist von diesem „Ermittler-Klischee“ gelangweilt. Da dies aber (wie man mit der Zeit annehmen kann) für die Geschichte keine so unwichtige Rolle spielt, muss man dem Kommissar sein teilweise seltsames und abstoßendes Verhalten durchgehen lassen. Ein Charakter mit Kanten.

Schließlich lässt sich die „Lösung“ zwar vor dem Ende ahnen, den Details wird dann aber noch genug Raum gewidmet. Auch wenn nicht jedes davon komplett logisch erscheint, kann man dies unter „schriftstellerischer Freiheit“ einordnen. Kleine Ungenauigkeiten oder Verzögerungen machen die Haupthandlung erst so möglich, wie sie ist. Und die ist keineswegs schlecht.

„Schattenkiller“ ist der erste Band einer geplanten Trilogie mit Enrico Mancini.

Veröffentlicht am 24.01.2017

Atmosphärische Störungen abseits des „Ballermann“

Oktoberstürme
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Stürmische Zeiten brechen im mallorquinischen Herbst für Jan Borsum an. Der deutsche Psychologe verbannt sich selbst nach seinem Jobverlust auf die spanische Insel. Als Isabela Balke, mit der er gerade ...

Stürmische Zeiten brechen im mallorquinischen Herbst für Jan Borsum an. Der deutsche Psychologe verbannt sich selbst nach seinem Jobverlust auf die spanische Insel. Als Isabela Balke, mit der er gerade ein Verhältnis begonnen hat, verschwindet, rückt er mit in den Kreis der Verdächtigen. Comisario Juliano Vargas wird mit dem Fall betreut. Nicht nur Borsum steckt in der Geschichte drin, auch Isabelas Mann und einige andere Deutsche, allesamt gut betuchte Paare, für die Isabela arbeitet. Vargas und seine Assistentin Celia ermitteln ohne Sprachbarriere und dröseln auf, warum Isabela verschwand und Borsum um sein Leben fürchten muss.

Gerd-Rainer Prothmann punktet hier mit eigenwilligen Charakteren, die teilweise auch sehr spezielle Lebensläufe verpasst bekommen haben. Viel Platz widmet er auch der Umgebung. Die „Insel der deutschen Aussteiger und Geschäftsleute“ zeigt sich nicht immer von ihrer sonnigsten Seite, aber Wind und Wetter werden authentisch beschrieben und erzeugen eine ganz eigene Stimmung, die gut zu den ebenso wechselhaften Stimmungen der Hauptpersonen passt. Gut ist auch, dass der allgegenwärtige Tourismus hier ganz außen vor gelassen wird.

Die Geschichte selbst kommt zunächst nicht extrem schnell voran, was aber auch daran liegt, dass diverse wichtige und unwichtigere Charaktere eingeführt werden müssen. Auch die Polizei hat lange nichts in der Hand und wenig Ansatzpunkte, bis ein scheinbar übermächtiger Gegenspieler auf den Plan tritt, der Zugang zu allen wichtigen Gebäuden zu haben scheint und sich Jan Borsum noch entspannt zeigt, bevor er mehrfach versucht, den Psychologen aus dem Verkehr zu ziehen – was in diesem Fall sogar wörtlich zu verstehen ist. Für die Krimihandlung war es notwendig, dass Borsum alles überlebt, doch hat er dabei schon mehr Glück als Verstand, zumal der Unbekannte einerseits extrem professionell und skrupellos vorzugehen scheint und in Summe aber eindeutige Fehler begeht und somit durch die Beweislast überführt werden kann. Leider bleiben nebenbei auch ein paar Nebenhandlungen im Ansatz stecken, die durchaus interessant hätten werden können. Nichts desto weniger ist „Oktoberstürme“ ein zwischendrin sehr packender Roman, der – weil eben kein „Krimi“ – für Krimifans wohl nicht ganz so sehr mit der Spannungshandlung punkten kann.