Provokante, diskussionswürdige Geschichte
Der Vater hat Kuchen mitgebracht, versucht sie zu überreden, mit ihm heimzukommen, die Mutter wird sich freuen. Als sie ihn aus ihrer Wohnung hinauszitiert hat, klingelt das Telefon. Sie weiß, egal wie ...
Der Vater hat Kuchen mitgebracht, versucht sie zu überreden, mit ihm heimzukommen, die Mutter wird sich freuen. Als sie ihn aus ihrer Wohnung hinauszitiert hat, klingelt das Telefon. Sie weiß, egal wie oft sie drangehen, sich melden und auflegen wird, wird es wieder klingeln, so als müsste es das letzte Wort haben.
Siv und Hanna sind im Hallenbad angekommen. Sie drehen einige Runden, springen unter die Gemeinschaftsduschen, pinkeln gleichzeitig im großen Strahl auf die Fliesen und lachen über entsetzte Gesichter. Wieder in Hannas Wohnung werfen sie ihre nackten Körper aufs Bett und feiern ihre Vertrautheit, bis Siv einfällt, dass sie mit Jan im Theater verabredet ist.
Jan hat seine Siebdruckespressomaschine minutiös gereinigt. Er setzt sich mit der ersten Tasse des heißen, bitteren Gebräus an den Küchentisch und ist zufrieden. Siv hat schon um sieben die Wohnung verlassen und eine riesige Essiggurke mit einer Kerze darin auf dem Tisch platziert. Er würde eine gut eingelegte essigsaure Gurke jederzeit einer Torte vorziehen und beißt auch gleich beherzt hinein, dass es kracht und spritzt. Sein Handy gibt einige einfallslose Glückwünsche her, Luftballons, Sektflaschen und Herzfeuerwerke. Jan ist enttäuscht. Er hat sich für den helllila Samtanzug entschieden und fährt mit dem Taxi ins Lepperts, sein Fast-Sterne-Lokal, um seinen Fünfzigsten zu feiern. Als er eintritt, ist Siv schon da. Sie will das Blumenarrangement abholen. Jan geht vor ihr in die Knie, hält sie an der Hüfte fest und kippt dabei den ersten Humpen hinunter. Siv lacht und macht sich los. Jan gleitet rücklings zu Boden und sieht in die Gesichter der ersten Gäste.
Fazit: Verena Güntner hat eine provokante, diskussionswürdige Szenerie erschaffen und sie hat mich gefordert. Im Vordergrund stehen drei Paare. Siv, deren Mutter Dänin ist, lebt mit dem Gastronom Jan in einer offenen Beziehung. Sie vergnügt sich wahlweise mit ihrer besten Freundin Hanna und/oder deren Freund Hans. Sie wird schwanger und weiß sofort, dass sie das Kind nicht austragen wird. Der pedantische Jan hat den richtigen geschäftlichen Riecher gehabt und lebt und ermöglicht Siv ein sorgenfreies Leben. Die Afghanin Leyla und David wollen unbedingt ein Kind, aber seine Spermien sind müde geworden. Als es dann doch klappt, erkennt Leyla, dass David nicht der Richtige für eine Familie ist. Esther ist die narzisstische, beruflich erfolgreiche Perfektionistin, die sich eine Weile in Jacobs Bewunderung gesonnt hat. Als sie schwanger ist, erliegt Jacob einem jahrelangen Irrtum und Esther bricht aus. Die Autorin gibt den Beteiligten kapitelweise eine Stimme, die mich mitten in die Beziehungsdynamiken wirft. Mit offenem Mund verfolge ich Sivs Freizügigkeit und Konsequenz, Leylas psychologischer Konstellation, es allen recht machen zu wollen und Esthers Kaltschnäutzigkeit. Die Autorin entzaubert die Männer, die alles andere als Helden oder „echte Kerle“ sind. Die Frauen wollen ihre selbstbestimmten Entscheidungen treffen und die Männer wollen das verhindern. Soweit der Konflikt. Sie will was das er nicht will, so funktionieren die meisten Beziehungen. Geflasht hat mich, was die Autorin mit mir gemacht hat. Alle Darsteller sind alles, was ich nicht sein möchte und eben doch stellenweise bin. Unsympathisch, verantwortungslos, eigensinnig, unsensibel, exzentrisch. Ich konnte mich mit niemandem wirklich verbünden und keine moralische Keule auspacken, denn irgendwie haben alle für sich gesehen recht. Darf ich als Frau dem Erzeuger meines Kindes das Recht absprechen, mitzuentscheiden? Darf der Erzeuger meines Kindes mir das Recht absprechen, frei über meinen Körper und damit gegen das Kind zu bestimmen? Eine denkwürdige, kontroverse, feministische, unterhaltsam erzählte Geschichte, die hängen bleibt.