Die Krankenschwester von St. Pauli, Teil 1, Hamburg 1885 – 1892
Die Krankenschwester von St. Pauli – Tage des SchicksalsSvantje ist 13 Jahre alt, als sie ihre Heimat – einen Bauernhof im Alten Land – verlassen muss. Zwei Ziegen ziehen den Wagen mit ihren Habseligkeiten, denn viel ist nicht geblieben, nachdem das letzte ...
Svantje ist 13 Jahre alt, als sie ihre Heimat – einen Bauernhof im Alten Land – verlassen muss. Zwei Ziegen ziehen den Wagen mit ihren Habseligkeiten, denn viel ist nicht geblieben, nachdem das letzte Elbhochwasser alles vernichtet hat, was ihnen gehörte. Das Haus wurde weggespült, das Vieh ist ertrunken und so machen sich Svantje, ihre Mutter und der 3 Monate alte Piet zu Fuß auf den Weg nach Hamburg, wo Vater Georg Claasen seit Jahren auf einer Schiffswerft arbeitet. In den letzten Jahren kam er nur zur Aussaat und für die Ernte auf den Bauernhof zurück. Ihr neues Zuhause ist eine kleine Wohnung im ärmlichen Gängeviertel im Hamburg.
Piet ist ein kränkliches Kind. Nachdem Svantje ihn einmal durch ihr beherztes Eingreifen ins Leben zurückgeholt hat, wächst in ihr der Wunsch Krankenschwester zu werden und durch die Anstellung ihrer Mutter im Hause Harkenfeld kann Svantje die Schwesternschule besuchen.
Nach ihrer Ausbildung erfordern es jedoch die privaten Umstände ihrer Eltern, dass Svantje erst 1 Jahr später als Krankenschwester arbeiten kann – für sie ist es kein Beruf, sondern Berufung und als im Hamburger Hafen und in den Armenvierteln die Cholera ausbricht, kann sie zeigen was in ihr steckt.
„Die Krankenschwester von St. Pauli – Tage des Schicksals“ ist der 1. Band der „St. Pauli-Reihe“ der Autorin Rebecca Maly. Wer mich kennt bzw. wer meinem Blog schon länger folgt der weiß, dass ich die Bücher von Rebecca Maly liebe. Ich habe schon einige historische Romane von ihr gelesen, aber auch ihre Krimis, die sie unter ihrem Namen Rebekka Pax veröffentlicht.
Der Roman liest sich – wie von Rebecca Maly gewohnt – angenehm flüssig. Ihr Schreibstil ist schlicht, aber nicht einfach, und sie versteht es, den Leser für ein paar Stunden mitzunehmen in eine andere Zeit. Die Geschichte spielt sich über mehrere Jahre ab und wird aus 5 verschiedenen Perspektiven erzählt.
Zum einen ist da Svantje. Zu Beginn des Romans ist sie 13 Jahre alt und tauscht gerade ihr entbehrungsreiches Leben auf dem Bauernhof gegen das Leben in den Armenvierteln Hamburgs ein. Von Anfang an wird klar, dass es sich hier um eine starke Persönlichkeit handelt und sie ihren Weg gehen wird. Ganz einfach ist das jedoch nicht, weil die Kluft zwischen Arm und Reich damals noch riesengroß war. Svantje ist eine sehr sympathische Protagonistin, die immer ihr Wohl hinter das der Anderen stellt und sich selbst gerne mal vergisst. Zu allem Übel erkrankt ein ihr nahestehender Mensch sehr schwer an Cholera. Es ist fraglich, ob er die Seuche überlebt.
Dann gibt es Svantjes Jugendfreund Raik. Raik wohnt im gleichen Haus wie die Claasens und nach ihrer Ankunft in Hamburg freunden sich die Beiden sehr schnell an. Gemeinsam ziehen sie durch die Gängeviertel und verkaufen frisches Trinkwasser, welches sie auf einem Wagen mit sich führen. Dank Vater Claasen bekommt Raik einen Job auf der Werft der Harkenfelds und so kann er seine etwas unschöne und unehrbare Vergangenheit hinter sich lassen. Als sich die Hamburger Werftarbeiter gegen ihre Arbeitgeber auflehnen und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen und streiken, schließt Raik sich ihnen an. Aufgrund dieser Tatsache ist Raik ein rotes Tuch für Harkenfeld Senior. Es gibt da jedoch eine Sache, da sind die höhergestellten Harkenfelds auf „so einen“ wie Raik angewiesen.
Friedrich Falkenberg stammt aus höherem Hause, hat sich aber unabhängig von seinem Elternhaus einen Tuchhandel aufgebaut. Seine Reisen führen ihn nach China und Russland und er beabsichtigt, in Hamburg einen größeren Handel aufzuziehen. Bei einer Laterna Magica lernt er Svantje kennen und die beiden verlieben sich ineinander. Es vergehen jedoch einige Jahre, in denen Friedrich viel auf Reisen ist und die Beiden nur per Brief miteinander kommunizieren können. Als sie sich dann endlich ihrer Liebe sicher sind und heiraten wollen, verlangen die Eltern von Svantje eine einjährige Verlobungszeit, die Eltern von Friedrich wollen diese unstandesgemäße Liaison gleich ganz aufgelöst sehen, weswegen Friedrich bereit ist, mit seiner Familie zu brechen.
Richard Harkenfeld ist der zukünftige Erbe der Harkenfeld-Werft, sein Vater und er sind sich jedoch in vielen Dingen der Geschäftsführung ziemlich uneinig, was zu permanenten Rebereien führt. Dass Richard einige der Forderungen der Werftarbeiter als gerechtfertigt empfindet, empfindet der alte Harkenfeld als einen Affront. Aufgrund der gesundheitlichen Vorgeschichte seines Vaters, traut Richard sich jedoch nicht, die Veränderungen härter durchzusetzen. Er möchte nicht Schuld daran sein, wenn sein Vater einen Herzinfarkt erleidet. Richard ist übrigens der beste Freund von Friedrich Falkenberg und im Laufe der Geschichte erkennt er zumindest einen Teil seiner eigenen Bestimmung.
Zu guter Letzt erfahren wir einen Teil der Geschichte auch noch von Hilde Harkenfeld. Sie ist die Schwester von Richard und als „Tochter aus gutem Hause“ hatte sie zur damaligen Zeit nicht viel Mitspracherecht, was ihren weiteren Lebensweg betrifft. Ihr Vater möchte sie möglichst schnell unter die Haube bringen – auf jeden Fall soll sich die Heirat für die Schiffswerft auszahlen – und Hilde kann einer solchen Zwangsheirat leider nichts entgegensetzen. Da Svantje für kurze Zeit Hilde als Anstandsdame zu ihren Treffen begleitet hat, verbindet die beiden Frauen ein zartes Band der Freundschaft; selbstredend nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, alles andere wäre gegen die guten Sitten. Als Hilde in Gefahr gerät, sind es jedoch nicht die Herren von edlem Geblüt, die sie finden ….
Neben Svantje mochte ich Hilde sehr gerne, denn hinter ihrer unnahbaren Fassade steckt ein wirklich liebenswerter Mensch, gefangen in den Verhaltensregeln der damaligen Zeit.
Rebecca Maly versteht es sehr gut, sowohl die Hintergrundgeschichten der einzelnen Familien, als auch die Lebenswege der 5 Protagonisten so geschickt miteinander zu verflechten, dass alles ein abgerundetes Bild ergibt. Das Buch endet mit einem fiesen Cliffhanger, was unsagbare Lust auf den Nachfolgeband macht, der schon am 02.06.2020 erscheint. Teil 3 erscheint auch noch in diesem Jahr, nämlich am 03.08.2020. Die Zeit bis dahin ist also erfreulicherweise recht kurz.
Ich persönlich habe einen kleinen Kritikpunkt, der jedoch nicht in die Endbewertung einfließt.
Als störend empfinde ich die Tatsache, dass die Autorin die ProtagonistInnen an einigen Stellen Plattdeutsch reden lässt. Dies jedoch nicht in ganzen Sätzen, sondern immer überwiegend nur einzelne Worte. z.B. „Da bekommen de Lüüd Fischsuppe umsonst“ oder „Dafür ist es noch zu früh am Daag“. Für mich würde es mehr Sinn machen, den ganzen Satz in Plattdeutsch zu schreiben oder aber, alles in Hochdeutsch. Sprechen Menschen tatsächlich 90 % eines Satzes korrektes Deutsch, um dann ein oder zwei Worte in Platt zu sagen? Ich weiß es tatsächlich nicht, mein Lesefluss kam jedoch an solchen Sätzen immer ein wenig ins Stocken.
Ansonsten empfinde ich „Die Krankenschwester von St. Pauli – Tage des Schicksals“ als einen gelungenen Auftakt zur 3teiligen „St. Pauli-Reihe“ und ich erwarte voller Sehnsucht den nächsten Band.