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Veröffentlicht am 23.01.2023

Emotional und packend von der ersten Seite

Die Bücher, der Junge und die Nacht
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Kai, du hast es mal wieder geschafft, mich mit einer gar nicht so fernen Zeit in den Bann von alten Büchern, von Druckerschwärze und Binderleim, von Antiquariaten und von Menschen, die durch ihre Schattierungen ...

Kai, du hast es mal wieder geschafft, mich mit einer gar nicht so fernen Zeit in den Bann von alten Büchern, von Druckerschwärze und Binderleim, von Antiquariaten und von Menschen, die durch ihre Schattierungen aus den Seiten hervorgetreten sind, zu faszinieren. Ich habe mich wirklich in das Buch über Bücher verliebt.

Es spielt zum Teil zu den Zeiten des Nationalsozialismus, was nicht unbedingt meine präferieret Zeit ist, über die viele Bücher in meinem Regal stehen. Einige wenige fand ich wirklich spannend. Jetzt wandert Kais zu den Büchern (sie werden sich freuen! Endlich Zuwachs!) - weil das Buch nicht über die Zeit berichtet, sondern eine wirklich spannende Story in der Zeit unterbringt. Über Bücher, über brennende Städte und die Suche nach der Wahrheit und nach dem Gefühl der Zugehörigkeit.

Ich war schon auf den ersten Seiten gefangen von dem Schicksal des kleinen Jungen, der keinen Namen hatte und aus seinem brennenden Gefängnis befreit wird. Sein Schicksal ging mir ans Herz! Genauso wie die Freundschaft im MonteChristo zwischen Jakob und Grigori. - 10 Jahre zuvor und herrlich bissig, wenn sie zusammen gegen ihre Antagonisten vorgehen oder sich gegenseitig über ihre Liebe vorjammern.
Der dritte Erzählstrang ist nicht weniger spannend, spielt aber Jahrzehnte später, als der des namenlosen Jungen herangewachsen ist. Robert und Marie sind Bücherjäger, lösen Privatbibliotheken auf - und stoßen plötzlich auf einen dünnen Faden, der in Roberts Vergangenheit führt. Die beiden echt ein klasse Team!

Die richtige Prise Mystik hat er ebenfalls verstreut. Ich habe ständig gegrübelt, ob der Roman nun „nur“ historisch ist, oder in die Mystikschiene fällt. Meine Antwort: beides. Und ich finds genial!

Kai Meyer hat den richtigen Ton für die Geschichte getroffen. Unglaublich spannend an manchen Stellen, einfühlsam an anderen und manche Zitate haben mich wirklich ins Herz getroffen. Wer seine alten Romane wie die Alchemistin kennt und liebt, der wird sich in dem Buch wirklich verlieren können!

Ganz großen Applaus für das Hörbuch und die drei Sprecher. Sie haben dem Buch eine wunderbare atmosphärische Stimme verliehen.

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Veröffentlicht am 23.01.2023

Ein Ausflug ins 19. Jahrhundert

Anatomy
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Edinburgh im Jahre 1817? Da bin ich doch sowas von dabei, insbesondere wenn es um die im Aufbruch befindliche anatomische Wissenschaft, um die Ausbildung, die Irrtümer und die Gräultaten, die zu der Zeit ...

Edinburgh im Jahre 1817? Da bin ich doch sowas von dabei, insbesondere wenn es um die im Aufbruch befindliche anatomische Wissenschaft, um die Ausbildung, die Irrtümer und die Gräultaten, die zu der Zeit im Namen der Wissenschaft verübt wurden.
Lady Hazel, die Protagonistin, war schlagfertig und wusste, was sie wollte. Unbedingt Anatomy studieren! Koste es die Kleidung ihres verstorbenen Bruders oder ihren Ruf. Hazel und ihr Drahtseilakt zwischen zwei Welten fand ich bewundernswert. Sie wusste sich stets zu helfen und ging unbeirrbar ihren Weg, jedoch erschien sie mir nie wirklich verbohrt oder stur. Jack, der Auferstehungsmann gräbt Leichen aus und verkauft sie an die Anatomie der Stadt zu Lehr und Forschungszwecken. Es hört sich makaber an, ist jedoch für Jack der Weg, sich seinen Unterhalt zu verdienen. Ich mochte ihn! Er wusste, was er will und die Chemie zwischen ihm und Hazel stimmte ziemlich gut. Ich mochte die beiden zusammen und habe nur zwei, drei mal die Augen verdreht. Ich schwöre es! Immerhin wusste ich, worauf ich mich einlasse - auf eine Liebesgeschichte! Die Liebesgeschichte zwischen den der Upperclass Lady und Leichengräber war gesetzt. Doch Hazel empfand noch zu etwas anderem eine brennende Leidenschaft und zwar zu Lehre und Forschung des menschlichen Körpers. Der Aspekt wurde im Buch gut dargestellt - die Einschübe aus (fiktiv)wissenschaftlichen Büchern, Korrespondenzen und Zeitungsartikeln lockerten die Geschichte auf und machten sie für mich spannender.

Ich bin Hazel gern durch Edinburgh gefolgt, in die Unterrichtsräume und ins Theater, zu Teegesellschaften und auf den Friedhof, hätte mir aber dann doch ein bisschen mehr gewünscht. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr nur ein winziges Stück vom Kuchen bekommen, es euch aber nach mehr gelüstet. So ging es mir mit Anatomy. So richtig wollte der letzte Funke nicht überspringen, trotz der historischen und anatomischen Fakten. Ich als Histo-Girl wäre gern noch tiefer abgetaucht.

Das Ende nahm dann schließlich eine Wendung, wo Gevatter Zufall und die fiktionale Kraft für meinen Geschmack zu sehr ihre unnachahmliche Würze hinzugeben und kräftig umgerührt haben. Das klingt jetzt schlechter, als ich das Buch eigentlich fand.
s
Anatomy hat mich gut, streckenweise sehr gut unterhalten, und für alle, die einen historischen Jugendroman, gespickt mit Wissen über die Wissenschaft aus dem 19. Jahrhundert und einem winzigen fantastischen Touch lesen möchten, dem lege ich dieses Buch wärmstens ans Herz. (Seid vorsichtig, dass es euch nicht aus dem Leib geschnitten wird!)

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Tolles Debüt

Kohrynea: Der Bruch des Chaos
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Kohrynea von Marius Czernetzki

Wer von euch möchte eine neue Welt bereisen? Eine Welt voller tiefer, dunkler Wälder, voller stürmischer Ozeane und großer Metropolen? Voller blutrünstiger Daimonen und ...

Kohrynea von Marius Czernetzki

Wer von euch möchte eine neue Welt bereisen? Eine Welt voller tiefer, dunkler Wälder, voller stürmischer Ozeane und großer Metropolen? Voller blutrünstiger Daimonen und wahrer Kameraden? Dann solltet ihr „Kohrynea - Der Bruch des Chaos“ einen näheren Blick schenken.

Kohrynea ist das Erstlingswerk von Marius Czernetzki und der Eintritt in die Welt Ursa Marya Magna, aus der er uns auch nicht so schnell wieder entlassen will. Es werden weitere Bücher im selben Format wie das Klopperchen hier auf meinem Schoß folgen. Die Welt lädt zum Erforschen ein, egal, ob sich der Protagonist gerade durch dichte Wälder schlägt, im Untergrund herumtreibt oder mit Ogaya Wolkenformationen durchbricht. Hinter jeder Ecke erwartete mich etwas Neues - und das allein trug mich durch die Seiten.

Der liebevolle Ideenreichtum, mit dem Marius die Welt bevölkert und illuminiert hat, hat mich beeindruckt. Mystische Wesen, Daimonen und ganz nebenbei noch eine Reihe netter und weniger netter Menschen, die allesamt dem Protagonisten Gynh, einem überaus talentierten Former, einen Haufen Steine auf seiner Reise in den Weg legen wollen. Manchmal richtig große Brocken. Die genialste Idee hat Marius allerdings den Urkhmaahn gewidmet. Die übergroßen schlagkräftigen Waldbewohner sind wirklich cool. Dass die Menschen überhaupt keine Ahnung von ihrer Lebensweise haben und sie fürchten versteht sich von selbst ;)

Mit Gynh selbst bin ich nicht 100prozentig warm geworden. Dafür war er mir oft zu kalt und zu sehr auf seine selbstgestellte Aufgabe fokussiert. Trotzdem war er ein Charakter, dem man gerne gefolgt ist, besonders mit Freunden wie Thokan, Ayila und Ogaya an seiner Seite. Um Himmels Willen, ich habe die Szenen zwischen Gynh und Ogaya, dem Daimonenweibchen, so gern gelesen, da sich Gynh nur in dieser Beziehung wirklich geöffnet und Gefühle an sich herangelassen hat. Also ganz viel Liebe für Ogaya! Im Übrigen waren diese paar ruihigeren Szenen auch dringend nötig, da im Buch sehr viel Action geboten wird und der nächste Kampf garantiert nicht weit war.

Die Struktur des Buches war sehr angenehm. Zu Beginn blieb man eng an dem Protagonisten und konnte eine Bindung zu ihm aufbauen. Erst im Laufe des Buches kamen mehr und räumlich weiter entfernte POVs hinzu. Durch kurzgehaltene Rückblicke wurde man angefüttert mit ein bisschen Backroundwissen rund um Gynh und seine Geschichte. Das Highlight für mich waren jedoch die kurzen Zwischenkapitel, die Abrisse aus Chroniken, Liedern, Korrespondenzen, die die erschaffene Welt für mich mit Leben füllten und viel über die Lebensweise der Bewohner vermittelten.

Ist das Debüt gelungen? Macht es Hunger auf mehr? Ja definitiv. Man spürt die tollen Ideen, die Detailversessenheit die hinter dem Roman, die hinter der Welt stecken. Natürlich gibt es auch ein paar Kritikpunkte: Wenn er an ein paar Stellschrauben gedreht hätte und den Infomarmationsbienenschwarm rechtzeitig eingefangen hätte, wäre das ganze wohl noch runder geworden, noch flüssiger zu lesen. Manchmal hatte ich das Gefühl, Marius wollte uns so viel erzählen, dass man förmlich nach Luft schnappen musste, um die Information zu verarbeiten. Er hat das große Ziel so minutiös vorbereitet, dass er kaum Pausen gemacht hat, damit man an einem schönen Feuer oder am Tisch die Gedanken ordnen kann. Ich finde, solche Szenen hätten das Buch bereichert.

Ein tolles Debüt, das noch Luft nach oben lässt. So soll es ja auch sein. Immerhin braucht jeder etwas, nachdem er streben kann.

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Veröffentlicht am 03.12.2022

Spannung mit Power-Frauen

Der Hexenzirkel Ihrer Majestät. Das begabte Kind
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Wer sind wir und wo gehören wir hin? Wo fühlen wir uns zugehörig, wo daheim? Und passt das zu den sozialen Normen, die wir immer wieder erfüllen müssen? Ganz egal, ob im Beruf, in der Familie oder das ...

Wer sind wir und wo gehören wir hin? Wo fühlen wir uns zugehörig, wo daheim? Und passt das zu den sozialen Normen, die wir immer wieder erfüllen müssen? Ganz egal, ob im Beruf, in der Familie oder das Gender? Wie tolerant sie wir gegenüber etwas, das nicht in eine Schublade passt, die unser Denken und Handeln strukturiert und vereinfacht? Das sind die eigentlichen Themen, um die Juno Dawsons Roman „Das begabte Kind“ zirkelt.

Der Roman im Urban-Fantasy-Setting lebt von seinen Protagonistinnen! Ich habe gespürt, wie eng die Hexen Niamh, Leonie, Elle und Helene zusammengehören, schon seit ihrer Kindheit. Nein, sie sind keine naiven 17-jährigen mehr, die mit ihren gerade erst erwachten Hexenkräften durch die Gegend stolpern, sondern Frauen in ihren 30ern, die einen magischen Bürgerkrieg hinter sich haben und mit Kindern, verstorbenen und lebenden Geliebten, betrügenden Ehemännern und Zirkeln, die an den Nerven zehren, zu tun haben. Und gerade diese wunderbare Alltäglichkeit, die in den vier Sichtweisen so unterschiedlich sind, haben mir das Buch näher gebracht und mich an die Hand genommen. Setzt euch, trinkt einen Tee mit mir und lasst den Hund in den Garten, schien mir Niamh zu sagen, immer wenn ich das Buch aufschlug. Die Einladung würde ich natürlich sofort annehmen! Teilweise empfand ich das Buch als wirklich kuschlig, auf eine coole Art und Weise? Jedenfalls in Niamhs Perspektive, die einen gefühlt großen Raum in dem Buch einnimmt, fällt ihr doch eine wichtige Aufgabe zu. Helena zeigt Härte, die sie als Hohepriesterin des HIM - des großen Hexenzirkels - auch bitter nötig hat. Elle versucht, zu verdrängen und möglichst normal zu Leben und Leonie hat alle Hände voll zu tun, einen Zirkel aufzubauen, der jeden akzeptiert. Doch ein magisch begabtes Kind rüttelt ihre Welt kräftig durcheinander. Ich mochte Theo - und generell die Jugendlichen in diesem Buch sehr gerne - sie wurden von Juno und den Protagonisten auf ihre Art und Weise Ernst genommen und ergaben ein schlagkräftiges Team.

Die Spannung kam definitiv nicht zu kurz. Eine wutschnaubende Hexe, die Autos aufhält? Kein Problem in dieser Welt. Das wird hier auf dem Silbertablett serviert, und hat mich zum Grinsen gebracht. Ein bisschen Fantasy-Frauenpower jenseits von Katniss oder Clary steht der Phantastik gut zu Gesicht. Ich mochte trotzdem die ruhigen Momente einen Tick lieber, sie wirkten auf mich authentischer - aber das ist Gefühlssache. Im letzten Viertel dreht das Buch noch mal richtig auf, ich war richtig atemlos beim verfolgen der Protagonistinnen, deren Perspektiven im drei Seiten-Takt wechselten.

Die queeren Themen, die hier zur Sprache gebracht wurden, waren nicht in die Geschichte eingefügt, sie wurden gelebt. Im Hinblick auf den Plot eine richtig coole Wendung, der ich jetzt hier nicht vorgreifen will. Ich habe selten ein Fantasy-Buch erlebt, in dem so tiefgehend queere Themen gespielt wurden. Hut ab!

Gibt es auch Kritik? Ja, ich fand ein paar Entscheidungen der Hexenclique, deren Freundschaft auf eine harte Probe gestellt wird, nur eingeschränkt nachvollziehbar. Da hätte man vielleicht noch an den Stellschrauben drehen können, damit die Geschichte ein wenig runder wirkt.

Alles in allem ein Buch voller Frauenpower und Queernes, die nicht aufgesetzt wirkt. Ich fand „Das begabte Kind!“ ziemlich cool und warte auf den nächsten Teil.

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Veröffentlicht am 20.10.2022

Instant Love für Radar

Fairy Tale
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Fairy Tale von Stephan King

Es war einmal - so beginnen viele alte Märchen mit einem Happy End oder einem Ende, bei dem die Tränen in den Augenwinkeln kitzeln. Ich dachte, die Geschichte von King und ...

Fairy Tale von Stephan King

Es war einmal - so beginnen viele alte Märchen mit einem Happy End oder einem Ende, bei dem die Tränen in den Augenwinkeln kitzeln. Ich dachte, die Geschichte von King und mir wäre eine Geschichte mit einem abrupten, traurigen Ende. In meiner Jugendzeit konnten mich seine Romane nicht wirklich hinter dem Ofen vorlocken. (Ich war wirklich gehyped auf seinen Dunklen Turm - bis ich ihn gelesen und wieder zur Seite gelegt habe). Vor einiger Zeit habe ich wieder zu einem King Buch gegriffen, das von mir das Urteil „ganz nett“ bekommen hat.

Und jetzt? Ein Märchen, und das obwohl ich eigentlich keine Märchenerzählungen mag? Das Buch hat mich um ehrlich zu sein ein bisschen verfolgt und ich wollte ihm eine Chance geben, Charlie und Radar eine Chance geben mich zu begeistern - Spoiler: Das ist den beiden auf weite Strecken auch mehr als gut geglückt.
Der 17-jährige Charlie hat schon früh seine Mutter verloren und lebt mit seinem Vater (trockener Alkoholiker) zusammen, ein gruseliges altes Haus mit einem gruseligen alten Mann plus Hund in ihrer Nachbarschaft. Bis er eines Tages ein herzzerreißendes Bellen hört und den alten Herrn - Mr. Bowditch - findet, der von der Leiter gefallen ist. Durch diese Rettungsaktion freundet sich Charlie mit dem alten Herren an und verliebt sich in Radar, dessen Hündin. Und mit ihm verlieben sich wohl alle Leser von FairyTale in die alternde Hündin mit ihrem quietsche Spielzeug. Dass der alte Herr ein monumentales Geheimnis hat, ist klar. Aber das Geheimnis wird erst später wirklich wichtig.

Was den Leser - was mich - wirklich an die Seiten gefesselt hat, war die Beziehung der Charakter untereinander - das ist mir bei King und bei diesem Buch wirklich positiv aufgefallen. Er hat ein unglaublich gutes Gespür für die Feinheiten der Figuren. Für kleine Eckpunkte von Beziehungen. Für die Fernbedienung nahe der Couch. Für einen geteilten Keks mit Radar (natürlich ohne Schokolade!), bei dem der Leser nicht nur den Keks mit der Hündin teilt, sondern auch sein Herz. Man lernt sie lieben, Charlie, seinen Vater, Radar und Howard Bowditch - und obwohl in der gesamten ersten Hälfte nicht viel geschieht, außer ein paar Andeutungen auf eine gruselige Märchenwelt, geht man jeden Tag mit Charlie zu Mr. Bowditchs Haus und freut sich auf einen weiteren Tag bei ihm. Weil die Figuren real erscheinen, beinahe wie Freunde. Man versteht sie, man versteht ihre Beweggründe und ihre Handlungen. Sowohl in unserer Welt als auch in der Anderwelt, in die wir in der zweiten Hälfte gelangen. Und dieses Handlungsverständnis stellt einen weiteren Punkt dar, den ich über die 880 Seiten an Kings Schreibe sehr zu schätzen gelernt habe. Er lässt die Figuren den Grund erklären, warum sie so handeln, ohne sie zum berühmt berüchtigten Erklärbär werden zu lassen. Ein Verweis auf den „dunklen Brunnen“ in Charlies Kindheit genügt schon, um seine Gedanken und Gefühle greifbarer zu machen. Man hätte genauso gehandelt, wenn man mit dem Hintergrund in diese Situation gekommen wäre - oder?

Die zweite Hälfte (alle reden von der ersten und der zweiten Hälfte, wenn sie das Buch diskutieren, oder?), war faszinierend, aber vollkommen anders. Man spürt die Gefahr, die von der zerstörten, dunklen Anderwelt ausgeht, man spürt die kindliche Faszination von Charlie und man spürt die Veränderungen, die in ihm vorgehen. Natürlich muss man als Autor in dem Fall Handlungsbrücken schaffen, die das Einführen neuer Figuren erleichtern oder einige neue Schauplätze erklären. Ein paar Brücken fand ich zu roh gezimmert, Behelfsbrücken so zu sagen, über die man rasch drüber schreitet, um nicht in den dunklen Fluss der Fragen darunter zu stürzen - was mir die Reise mit Charlie über eine gewisse Seitenanzahl hinweg schwer gemacht hat.

Aber genau das war es, auf was mich King geschickt hat. Eine Reise, vor der ich mich um ehrlich zu sein ein wenig gefürchtet habe. Immerhin ging es direkt in ein „FairyTale“ - aber das Märchenreich war gänzlich anders als gedacht. Natürlich - hier hütete ein Mädchen Gänse, dort stand ein Topf voll Gold. Aber das alles erlebte ich aus Charlies Sicht, der nicht unreflektiert durch die Gegend stiefelte. King hat seine Welt konzipiert, indem er die Märchen auseinandernahm und nach ihrem Kern suchte, diesen kleinen wahren Kern dann nahm und etwas daraus schuf, das keiner stumpfen Nacherzählungen glich. Charlie kam aus einer von vielen anderen Welten - ich denke, wenn sich jemand anders aus einer anderen Welt in die Anderswelt aufmachen würde, würde der Reisende auch Gleichnisse aus seinem Märchen- und Sagenschatz aufspüren - denn letztendlich sind Märchen nichts anderes als überlieferte Geschichten, die den Menschen an dunklen Abenden Licht und Hoffnung geschenkt haben - diese Hoffnungsbringer existieren denke ich in allen Welten.

Letztendlich habe ich die Reise genossen (und Radar konnte ich nicht oft genug hinter den Ohren kraulen!). Abzüge gibt es in der B-Note für die erzählerischen Brücken, die mir zu roh wirkten. Aber King konnte mich über Weite Strecken abholen und mit Charlie und Radar auf eine fantastische (und realistische!) Reise schicken.

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