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Veröffentlicht am 15.04.2025

Diese Geschichte wirkt nach

Mädchentier
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Heiligabend 2038

Das Mädchen spielt draußen im Schnee, steht dann da, sieht verfroren aus. Sie rufen sie herein. Die Eltern streiten wegen der Soße, weint sie. Sie hören Schreie aus dem Nachbarhaus. Sie ...

Heiligabend 2038

Das Mädchen spielt draußen im Schnee, steht dann da, sieht verfroren aus. Sie rufen sie herein. Die Eltern streiten wegen der Soße, weint sie. Sie hören Schreie aus dem Nachbarhaus. Sie darf die Tannenspitze an den Baum bringen und dann schenken sie ihr noch ein kleines Paket. Sie packt einen Ring aus, strahlt wie die Sterne am Himmel und geht wieder rüber zu den Eltern.

2020

Sie ist dreizehn, war das späte Wunschkind. Die Mutter war neununddreißig und der Vater zweiundfünfzig, als sie geboren wurde. Sie glitt leicht hinaus, ein Kinderspiel. Sie war das Kind, von denen die Eltern geträumt hatten. Der Traum war ihnen genug. Das Kind, das sie dann war, war zu blass, zu still, zu laut in der Nacht. Anspruchsvoll. Mürrisch.

Der Vater hält zur Tochter, schlägt die Mutter, wenn es sein muss. Die Mutter vermutet, dass die Tochter sie beide manipuliert.

Sie kommt spät nach Hause. Die Eltern fauchen sich auf dem Sofa an. Sie betrachtet die Tomatensuppe in der Mikrowelle. Sie lässt sie abkühlen und gießt damit die Blumen. Die Mutter schaut nach ihr, ist froh, wünscht ihrem kleinen Engel „gute Nacht“.

Der Priester hat noch nicht geantwortet. Es wird 00 Uhr 6 und er schreibt „Schlaf schön“. Sie möchte gerne Rosa vom Priester erzählen, darf sie aber nicht anrufen. „Halts Maul“ hat Rosa zu ihr gesagt, sie verzeiht ihr ihren Verrat nicht. Rosa hat sie geküsst und Sara hat es einer Mitschülerin erzählt. Jetzt geht Rosas Blick in eine andere Richtung, wenn sie aufeinandertreffen. Der Priester will, dass sie zu ihm nach Hause kommt, Frau und Kinder seien nicht da.

Fazit: Cecilie Lind hat mich sprachlos und dann wütend gemacht. Selten begegnet mir eine Geschichte, die es so krass in sich hat und mich so heftig bewegt. Die Autorin hat eine sehr junge Protagonistin geschaffen. Ihre Mutter schwankt unberechenbar zwischen Besitzergreifung und Eifersucht. Sie missgönnt ihrer Tochter das gute Verhältnis zum Vater, das sie selbst gern hätte und neidet ihr ihre Schönheit und Jugend. Die Tochter fühlt sich erst im Begehrtwerden schön und hungert sich mit Perfektion in eine Krankheit, die sie für Schönheit hält. Während sie ihren Körper kontrolliert, kollabiert ihr Selbstwert. Sie sucht die körperliche Nähe zu augenscheinlich erwachsenen Männern, die sie wie eine lebendige Puppe missbräuchlich benutzen. Und das ist das Verstörende für mich, dass diese Männer sich einfach nehmen, was ihnen nicht zusteht. Sie geben jede Verantwortung, jedes Gespür für moralische Grenzen ab, benutzen ein junges Mädchen, um sich selbst in deren Bewunderung aufzuwerten. Es wirkt, als sei Sara ein frühreifes Mädel, das sich nimmt, was sie will, aber das ist Augenwischerei und verschleiert die Schuld dieser Männer mit der deutlich größeren Lebenserfahrung und suggeriert, die seien von dem jungen Ding verführt worden und konnten nicht anders. Genau diese kontroverse (gesellschaftliche) Sichtweise schafft die Autorin mit Bravour darzustellen. Dieses Buch wirkt nach. Von mir eine riesige Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 09.04.2025

Faszinierende Geschichte, ein Augenöffner

Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen
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Die Mutter hat wegen Eva die Uni nicht geschafft und muss jetzt jeden Tag hinter dem Obst- und Gemüsestand stehen. Sie hasst dieses langweilige Kaff Zeleznik und neigt insgesamt zu Unzufriedenheit. Der ...

Die Mutter hat wegen Eva die Uni nicht geschafft und muss jetzt jeden Tag hinter dem Obst- und Gemüsestand stehen. Sie hasst dieses langweilige Kaff Zeleznik und neigt insgesamt zu Unzufriedenheit. Der Vater hatte es geschafft. Zwar war er arbeitslos, bis die kleine Eva zwei war, aber dann fand er eine Anstellung als Turnlehrer in dem langweiligen Kaff. Sie verkauften die Wohnung in Belgrad und zogen in das langweilige … Als Vera kam, war sie das nächste Einzelkind in der Familie. Die Mutter hatte sie zehn Jahre nach Eva nur für sich selbst geboren.

Luka war ein guter Kerl, fand Eva, aber ein Ärztekind. Er war nicht durch Pfützen gesprungen wie sie und so wurde die Pfütze zwischen ihnen unüberwindbar. Sie besorgte sich einen Job mit höherem Gehalt und eine eigene Wohnung. Kurz kam Nenad bei ihr unter, weil er sich scheiden ließ. Sie schlitterten in eine Beziehung und nach drei Jahren musste er ausziehen, weil Eva ihre eigene Stimme wieder einmal hören wollte. Eva lernte Tomislar kennen und alles stimmte auf Anhieb, bis er sie wegen seiner Entscheidungsunlust so nervte, dass sie zu ihren Eltern zurückging, aber da war sie schon Marios Mutter.

Auf einer Firmenfeier lernte sie Viktor kennen, Adonis höchstpersönlich. Sie mochte nicht, wenn Männer zu gut aussahen, weil das immer über Unzulänglichkeiten hinwegtäuschte, aber Viktor war auch Journalist und Schriftsteller und außerdem Manipulator, Soziopath, krankhaft eifersüchtig und cholerisch, aber das stand nicht auf seiner makellosen Stirn geschrieben.

Fazit: Milica Vuckovic hat eine großartige Geschichte erzählt. Großartig, weil sie etlichen Frauen aus der Seele spricht. Ihre Protagonistin lernt einen Mann kennen, der charismatisch und charmant ist, dass er zu viel trinkt, merkt sie zuerst nicht, weil sie einfach mittrinkt. Jedes Mal, wenn er laut oder handgreiflich wird, entschuldigt er sich überschwänglich und tränenreich, kriecht mit kleinen oder größeren Aufmerksamkeiten zu Kreuze, je nachdem wie groß der Schaden ist, den er verursacht hat. Und dann sind da auch wieder die guten Gespräche und seine faszinierende Lebendigkeit und Wertschätzung im Wechsel mit seiner Übellaunigkeit, den Beschimpfungen und Erniedrigungen. Immer wenn sie so weit ist zu gehen, packt er Geschichten über seine schlimme Mutter, den armen Bruder oder den verlorenen Vater aus und leiert ihr echtes Mitgefühl aus dem Kreuz. Mich fasziniert diese Geschichte so sehr, weil sie ganz genau die Mechanismen zeigt, derer sich solche Menschen bedienen, zeigt warum es Frauen so schwerfällt Reißaus zu nehmen. Zuckerbrot und Peitsche höhlen die Hauptdarstellerin, die aus ihrer Sicht erzählt, zunehmend aus. Vortrefflich gelungen finde ich auch, dass die Autorin eine gute Prise Humor und Selbstironie einstreut, das Drama wäre sonst kaum zu ertragen. Und doch wäre ich zu gerne zwischenzeitlich ins Buch gesprungen, um ihr beizustehen, so wütend hat mich das Agieren des Täters gemacht. Wieder so ein ultrawichtiges Buch über Gewalt gegen Frauen und noch dazu so richtig gut lesbar und unterhaltsam. Wieder ein Augenöffner für die Gefahren bedürftiger Frauen.

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Veröffentlicht am 07.04.2025

Feinfühliges Debüt

Kaltblut
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Als Franz Brügger fünfzig wurde, lud seine Frau sämtliche Männer des Bergdorfs ein, gemeinsam auf dem Plateau in der Weiberei-Hütte mit Brotzeit, Bier und Musik zu feiern. Weil Brügger seine Frau liebevoll ...

Als Franz Brügger fünfzig wurde, lud seine Frau sämtliche Männer des Bergdorfs ein, gemeinsam auf dem Plateau in der Weiberei-Hütte mit Brotzeit, Bier und Musik zu feiern. Weil Brügger seine Frau liebevoll „Stolperliesel“ nannte, taten es die Dorfbewohner hinter vorgehaltener Hand auch, aber nicht liebevoll, sondern hämisch, denn das Weib konnte die Finger nicht von den Mannsbildern lassen und stolperte immer wieder über den ein oder anderen. Und das ließ den Brügger schon ganz geknickt ausschauen. Schließlich waren sie zu elft in der Hütte und ließen es gewaltig krachen, kurz bevor die Explosion das Tal erhellte und die Dorfbewohner in ihren Betten aufschrecken ließ. Allen elf Männern hatte die Druckwelle die Lungen zerfetzt.

Der Pfarrer weiß aus der Presse, dass der Herr Sprengmeister genannt Stubber in der Hütte übernachten wollte und zufällig zwischen die Männer geraten war. Es habe eine Schlägerei gegeben, Stubber sei blutend abgehauen und habe in der Eile das Dynamit für den nächsten Tag vergessen.

Nach der Schule hatte Stubber kurz die Großstadt versucht, aber als die Eltern gestorben waren, veränderte sich alles. Er ging zurück ins Tal, ins Haus seiner Eltern und bewarb sich um den Posten des Bezirkssprengmeisters um den Titel, den schon sein Vater getragen hatte. Die Dorfleute mochten ihn nicht. Er sei unhöflich, maulfaul, antworte nicht und ginge einfach im Gespräch weg, überheblich wie sein Vater sei der. Stubber wollte nicht Teil eines Gespräches über andere sein, das Vermutungen hegte und urteilte, er wollte sich einfach heraushalten. Besonders übel stieß ihm die Anna Anzengruber auf, selbst ernanntes Herz der Dorfgemeinschaft, Haushälterin des Pfarrers und Schandmaul vor dem Herrn. Er hatte seinen Sohn nach seiner Geburt bei ihr gelassen und war, wie im Rausch der Verwirrung und des Schmerzes mit Alaska in die Berge geflüchtet.

Fazit: Wolfgang Maria Bauer hat ein ungemein feinfühliges Debüt geschaffen. Vor der Kulisse der Alpen erschafft er eine kleine Gesellschaft, die unserer nicht unähnlich ist. Ein Eigenbrötler wird zur Zielscheibe von Gerede, weil er anders ist. Jeder zerreißt sich wohlfeil das Maul, entweder im Namen des Herrn oder weil es normal ist. Bigotterie und Fanatismus macht manch eine augenscheinlich zu einem besseren Menschen. Der Protagonist ist ein zurückhaltender Beobachter. Er findet echte Liebe und wenige Monate der Lebendigkeit, wie es nur Kinder oder glückliche Erwachsene vermögen und verliert alles. Ein katastrophales Unglück belastet ihn mit so starken Schuldgefühlen, dass er den Verstand zu verlieren droht. Der Autor schreibt einfach und das macht das, was er zu sagen hat, umso effektiver. Jedes Wort sitzt und erschafft eine Tragik und Ungerechtigkeit, die mitten ins Herz trifft. Die Beschreibung der schroffen, menschenfeindlichen Natur unterstützt die triste, melancholische Stimmung. Die Geschichte ist zeitlos. Sicher gibt es in den Alpen heute noch Menschen, die genauso leben. Der Autor beginnt mit der Gegenwart und lässt den Protagonisten zurückblicken. Heute und Gestern wechseln sich ab und am Ende schließt sich der Kreis. Eine ganz und gar gelungene Geschichte, die mich aufgesogen hat.

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Veröffentlicht am 03.04.2025

Wieder ein feines Gespür für die Nöte junger Menschen

Wir kommen zurecht
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Sie vermisst ihre Lederhandschuhe, durchsucht das Haus und ruft ihn. Er schiebt die Kopfhörer zurück, wuselt sich aus dem Bett, geht auf den Flur und blickt die Brüstung hinab. Sie blickt hinauf. Sie sind ...

Sie vermisst ihre Lederhandschuhe, durchsucht das Haus und ruft ihn. Er schiebt die Kopfhörer zurück, wuselt sich aus dem Bett, geht auf den Flur und blickt die Brüstung hinab. Sie blickt hinauf. Sie sind verfeindet, verbündet, gleich und ungleich. Sie ist Stella, die Freundin von Philipps Vater, die sich im Haus ausbreitet. Vor vier Jahren hatte Philipp neue Skier bekommen und die Stiefmutter obendrauf.

Seine Mutter Astrid war wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast der psychiatrischen ICD 10 gesprungen. Psychose, affektive Psychose, Bipolare Störung, ließ sich einweisen oder wurde eingewiesen. Wie oft sie schon Telefonterror bei Philipp oder seinem Vater gemacht hat. Im Moment macht ihm seine Französischlehrerin allerdings mehr Sorgen, denn er verbringt mehr Zeit mit Emma Bovary als mit seinem besten Freund Lorenz.

Astrid sucht Kontakt zu ihrem damaligen Freund Onno. Sie hatten sich kurz nach der Trennung von Philipps Vater in einer Kneipe kennengelernt. Damals, vor zehn Jahren wollte sie dem achtjährigen Philipp einen Welpen schenken. Sie kam nicht an seinem Vater vorbei, der machte einen Riesenaufstand. Sie nahm Philipp den Welpen wieder ab, brachte ihn zu Onno, drückte ihn ihm in die Arme und verschwand für zehn Jahre. Philipp hat nur vage, ungute Erinnerungen an seine Mutter.

Als sein Vater heimkommt, erzählt Stella ihm, dass sie ihre Handschuhe verlegt hat, er nimmt die Botschaft uninteressiert zur Kenntnis. Die, die du mir in Bozen geschenkt hast, meint sie. Jetzt wird sein Vater hellhörig. Ob sie nicht besser aufpassen kann, will er wissen. Philipp kennt diese Art selbstgefälliger Gespräche. Als nutze der Vater jede kleinste Schwäche, um darauf herumzureiten, nur um sich als unfehlbar darzustellen. Als sein Vater seine ganz eigenen schwerwiegenden Entscheidungen trifft, muss auch Philipp Farbe bekennen.

Fazit: Annika Büsing hat mit großer Beobachtungsgabe in eine Familie geschaut, die keine Idylle ist. Ihr Protagonist lebt mit seinem alleinerziehenden Vater, dem Macher, in einem schönen großen Haus. Wärme und Wertschätzung kann der Vater nicht geben, dafür jede Menge Ratschläge. Philipp hat nicht gelernt, Grenzen zu setzen und dümpelt wehrlos dahin. Die Erfahrungen mit seiner Mutter kann er kaum erinnern, geschweige denn verarbeiten. Aus dem sonnigen Jungen wird der zunehmend schweigsame Pessimist, den sein bester Freund fast täglich aufzufangen versucht. Während des Lesens bekomme ich eine Vorstellung, wie schwierig sich eine psychische Erkrankung auf eine Familie auswirkt. Die Autorin zeigt die erkrankte Mutter in ihrem Handeln und ich gerate sofort in einen Zustand von Wut und Unverständnis. Ich möchte den Jungen schützen und den Vater schütteln. Annika Büsing ist für mich grundsätzlich ein Hitgarant, wenn es um die Probleme junger Menschen geht. Ihr feines Gespür und ihre Empathie reißen mich immer wieder mit, darum lese ich sie so gerne. Nach „Nordstadt“ und „Koller“ nun wieder eine durch und durch gelungene, lesenswerte Geschichte.

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Veröffentlicht am 02.04.2025

Bildreich und mitreißend

Die Frauen hinter der Tür
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Nicola hat ihr Tee besorgt. Sie trinkt ihn selten, bereitet ihn aber zu. Besser eine Tasse als ein Glas in der Hand. Obwohl, früher hätte sie ihren Gin oder Wodka auch aus dem Kohleeimer gesoffen. Es waren ...

Nicola hat ihr Tee besorgt. Sie trinkt ihn selten, bereitet ihn aber zu. Besser eine Tasse als ein Glas in der Hand. Obwohl, früher hätte sie ihren Gin oder Wodka auch aus dem Kohleeimer gesoffen. Es waren nicht immer Gläser zu finden, aber das hat sie nicht abgehalten. Nicola ist ihre Göttin, wie sie geht, sich kleidet, der Welt entgegentritt. Nicola hat als Älteste der vier Geschwister viel miterlebt, was zwischen ihrer Mutter und dem Vater passierte, mehr als ein Kind sehen sollte. Ihre Mutter Paula war mit einem Dieb verheiratet und brauchte jahrelang, um ihre Identität zurückzuholen.

Als Leo Varadkar vor einem Jahr das Land in den Lockdown führte, hatte Paula sich das erste Mal bereit gefühlt, fähig dazu. Vorbereitet. Den anderen einen Schritt voraus. Ihr ganzes Leben bestand seit Jahren aus Einschränkungen. Wie lange blieb sie, wenn sie sich mit anderen traf? Was trank sie, während die anderen Alkohol tranken?

Nicola war dabei, als Paula ihrem Vater die Bratpfanne überzog und ihn aus dem Haus jagte. Sie hatte immer wieder versucht zu gehen, mal mit und mal ohne die Kinder, es aber nie geschafft. An dem Tag, als Nicola vor ihrer Tür steht und ihr sagt, dass sie nicht zurück zu Tony und den Kindern geht, nie mehr, versteht Paula gar nichts mehr.

„Hat er dich geschlagen?“ „Nein, Mum“

„Hat er die Kinder schlecht behandelt?“ „Nein“

„Willst du darüber sprechen, Süße?“ „Nein“

Es ist das Muster, das in mich gepflanzt ist. „Der arme Mann, armer Tony, ganz allein mit den Kindern“. „Der arme Charlo“. Selbst nachdem er mich fast totgeprügelt hatte, dachte ich, dass ich das wohl verdient haben musste, dass es an mir lag.

Fazit: Roddy Doyle hat eine Geschichte über häusliche Gewalt geschaffen, die mich in ihren Bann geschlagen hat. Die Erzählstimme ist ruhig, es brodelt eher unter der Oberfläche. Nach und nach zeigen sich, in den Dialogen zwischen der Protagonistin und ihrer Tochter, die grausamen Einzelheiten. Die Gespräche sind so authentisch, dass ich quasi mit den beiden Frauen in Paulas Küche sitze und gebannt zuhöre. Wirklich gut herausgearbeitet hat der Autor Paulas Schuldgefühle, die ganze bittere Scham, weil sie den Kindern wahlweise zu sehen gab, wie sie schwerst misshandelt wurde oder komatös besoffen auf dem Sofa lag. Die Tochter liebt und hasst ihre Mutter. Beide spielten ihre Rollen des Frauenbildes, das sie interniert haben. Die Tochter hatte gelernt, stark sein zu müssen, sich zu kümmern, nichts abzugeben und sich mit dem Schein derer, die alles im Griff haben, zu umgeben. Die Mutter hatte gelernt, dass sie für alles verantwortlich ist, hat alle Schuld auf sich genommen und sich in Selbsthass gesuhlt. (Hervorragend dargestellt durch Paulas innere Dialoge) Als die Tochter dann alles hinschmeißt, konkurriert die Mutter mit ihr, bevormundet sie und fühlt sich in der Rolle der selbstgerechten Märtyrerin wohl. Es knallt zwischen den unterschiedlichen Frauen und wird so schmerzhaft ehrlich und verbindend, dass am Ende der Raum, in dem ich sitze, heller wirkt und die Luft sauberer riecht. Das war so echt und bildreich und einfühlsam und mitreißend und und und. Großes Kino!

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