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Veröffentlicht am 13.10.2022

Schatten der Vergangenheit

Lächeln
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Normalerweise würde sich Victor über das unverhoffte Wiedersehen mit seinem ehemaligen Mitschüler Fitzpatrick freuen. Aber ausgerechnet dieser Mann, der behauptet, mit ihm zur Schule gegangen zu sein, ...

Normalerweise würde sich Victor über das unverhoffte Wiedersehen mit seinem ehemaligen Mitschüler Fitzpatrick freuen. Aber ausgerechnet dieser Mann, der behauptet, mit ihm zur Schule gegangen zu sein, bereitet Victor ein ungutes Gefühl. Anstatt Verbundenheit zu spüren, wächst die Abneigung, denn mit jedem Gespräch kommen lange verdrängte Erinnerungen bei Victor hoch, die mit einem harmlosen Lächeln begonnen haben...


Wenn ich mir den fröhlich lächelnden Jungen auf dem Cover anschaue, der mit ein wenig Schalk im Nacken die Leser:innen dazu einlädt, seiner Geschichte im Buch zu folgen, ist mir noch nicht bewusst, mit welchen schockierenden Ereignissen ich im Verlauf der Lektüre konfrontiert werde.

Doyle reißt nämlich den Mantel des Schweigens auf und ermöglicht seiner Leserschaft, einen Blick hinter die Türen der katholischen Pfarrschule zu werfen. Was dort im Namen der Barmherzigkeit geschieht, ist einfach nur unfassbar. Der Autor bringt den sexuellen Missbrauch an Kindern durch katholische Priester ans Tageslicht und gibt den Betroffenen eine Stimme, um endlich gehört zu werden.

Dabei steht Victor stellvertretend für alle, die in der Kindheit seelischen und körperlichen Missbrauch durch die Bediensteten der katholischen Kirche erfahren haben. Er zeigt den Lesenden, welche negative Macht von den traumatisierenden Vorfällen ausgeht und wie tief die Erinnerung sitzt, denn sie prägen für den Rest des Lebens.

Das Buch ist provokant und aufwühlend zugleich , aber Doyle spricht nie direkt an, sondern umschreibt das Gewesene. Zur endgültigen Aufarbeitung der Ereignisse fehlt mit ein wenig der tiefere Bezug zur Vergangenheit. Das letzte Gespräch zwischen Victor und Fitzpatrick verlangt viel Aufmerksamkeit, bleibt aber für mich etwas zu verwirrend. Der Twist ist ein gelungener Schachzug, aber trotzdem bleiben ein paar Fragezeichen zurück.

Ein wichtiges Buch, um die Missstände in der katholischen Kirche anzuprangern.

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Veröffentlicht am 12.10.2022

Erschreckend reale Szenarien

Höllenqual
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Mitten auf der Landstraße wird eine ausgemergelte junge Frau gefunden und die Polizei fällt recht vorschnell ihr Urteil: drogensüchtig. Aber schon bald muss dieses Vorurteil revidiert werden, denn die ...

Mitten auf der Landstraße wird eine ausgemergelte junge Frau gefunden und die Polizei fällt recht vorschnell ihr Urteil: drogensüchtig. Aber schon bald muss dieses Vorurteil revidiert werden, denn die junge Frau wurde systematisch ausgehungert. Was unvorstellbar erscheint, erweist sich tatsächlich als grausame Wahrheit und stellt die Ermittelnden vor die Frage, ob es jemanden gibt, der regelrecht Spaß daran hat, seine Opfer zu quälen...


Cover und Klappentext haben eine unglaubliche Sogwirkung, der ich mir nur schwer entziehen kann. Zusätzlich kommt noch ein unglaublich raffinierter Trick dazu- die Oberflächenstruktur der Eisenkette ist angeraut, sodass die Finger beim Halten des Buches immer wieder mit den Kettengliedern in Kontakt kommen.

Und dann nimmt die Geschichte von mir Besitz, die mich in besagte Eisenketten legt und mich nicht mehr loslässt. Die Charaktere sind extrem gut ausgearbeitet und besitzen die Fähigkeit mir zu vermitteln, dass ich einer von ihnen bin. Mittendrin in einer Handlung, die mich von einer Wendung zur nächsten jagt, mir den Atem raubt und bei der sich erschrecken reale Szenen vor meine inneren Augen abspielen.

Die Zusammenarbeit von Corcoran und Palmer bietet viele Punkte, an denen sie anecken, aber trotzdem raufen sie sich immer wieder wieder zusammen, analysieren und ermöglichen den Lesenden einen Einblick in ihre Tätigkeit. Das Erstellen des Täterprofils ist ein Blick in die menschliche Psyche, die mir manchmal schon ein wenig Angst bereitet hat. Der Autor zeigt hier nämlich sehr deutlich, dass jede Handlung eine unmittelbare Auswirkung hat, die nicht unerhebliche Folgen mit sich bringt. Vor allen Dingen wird der Frage nachgegangen, was jemanden dazu antreibt, anderen Menschen Gewalt anzutun und sie (an seiner Stelle) leiden zu lassen.

Die Kapitel sind kurz und knackig und genau darin liegt die Würze dieses Thrillers, denn durch die fast schon stakkatoartige Abfolge bleibt manchmal kaum Luft, um Atem zu holen. Hier stehen mir, aufgrund der erschreckend realen Szenen, wirklich ganz oft die Haare zu Berge und ich muss ab und an das Buch zur Seite legen, um mein Nervenkostüm wieder zu beruhigen.

Daher vergebe ich sehr gute 4 Sternchen, die knapp an der Schwelle zur 5 stehen.

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Veröffentlicht am 12.10.2022

Wie Phönix aus der Asche

Die Gedanken sind frei - Eine unerhörte Liebe
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Alles, was Ella von der Verlagsbuchhandlung ihrer Eltern geblieben ist, sind leere Räume und Schaufenster ohne Glas. Das Innenleben ist, wie so vieles, ein Opfer des Krieges geworden und erstreckt sich ...

Alles, was Ella von der Verlagsbuchhandlung ihrer Eltern geblieben ist, sind leere Räume und Schaufenster ohne Glas. Das Innenleben ist, wie so vieles, ein Opfer des Krieges geworden und erstreckt sich in gähnender Leere vor ihr. Es muss doch einen Weg geben, um aus den grauen Trümmern wieder ein Land der Fantasie und der freien Gedanken werden zu lassen. In Ella reift eine Idee, in der aus leeren Seiten wieder echte Bücherliebe wird...


Julia Kröhn lässt das zerstörte Frankfurt für ihre Leser:innen vor den inneren Auge auferstehen und zeigt nicht nur zerbrochene Schaufensterscheiben, sondern auch geplatzte Träume. Mit Ella lernen die Lesenden eine Hauptfigur kennen, die nicht nur ihre Buchliebe, sondern auch ihr Herz auf der Zunge trägt.

Je mehr sich sich mit der Geschichte von Aris Vater beschäftigt, der in Zeilsheim als überlebender des Holocaust in einem Lager untergebracht ist, desto mehr versucht sie, den braunen Schlamm, der sich immer noch in den Köpfen der Frankfurter:innen befindet, den Garaus zu machen. Kein leichtes Unterfangen, denn Hass und Misstrauen sind immer noch allgegenwärtig. Erst nach und nach gelingt es ihr, die Gedanken der Menschen aus den Schraubstöcken zu befreien.

Kröhn bringt hier Frankfurter Zeitgeschichte und Fiktion in Einklang, um ihren Leser;innen einen Einblick in die Geschichte des Buchhandels in der Nachkriegszeit zu geben. Die Ausschnitte sind mehr als interessant, wenn es darum geht zu erfahren, wie die Lizenzen vergeben worden sind und in den neu erscheinenden Büchern Geschichten, Aufklärung und Wissenswertes veröffentlicht werden. Auch wird die Veränderung durch die Währungsreform angesprochen, die den Grundstein für die Wirtschaftswunderjahre legt.

So aufschlussreich die historischen Ereignisse geschildert sind, so wenig finde ich Zugang zu den Figuren. Gerade was Ella betrifft, hätte ich mir mehr Verbundenheit gewünscht. Ich lese zwar, wie sie alle Hebel in Bewegung setzt, aber sie bleibt mir für die komplette Dauer des Buches fremd und erscheint mir unnahbar. Dabei ist es doch gerade ihre Liebe zu Büchern, die mich als Lesende mit ihr vereinen sollte...

Einzig Viktor kann mich vollkommen überzeugen, denn trotz oder gerade wegen der traumatisierenden Ereignisse, die er gottlob überlebt hat, ist er ein Mann, dessen Lebenswille und Stärke für mich eine Vorbildfunktion hat. Ich ziehe meinen Hut vor ihm, denn er steht in diesem Roman stellvertretend für alle Menschen, denen Unrecht getan wurde.

Die Einblicke in das Verlagswesen in den Nachkriegsjahren ist wirklich lesenswert, wird aber in meine Augen immer wieder durch die Unnahbarkeit der Figuren ausgebremst. Ich vergebe daher neutrale 3 Sternchen.


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Veröffentlicht am 10.10.2022

Highlight 2022!

Schmerzwinter
8

Während Hamburg unter einer watteweichen Schneedecke liegt, ist diese zugleich das kalte Vlies für zwei Frauenleichen. Ihr Anblick verstört, dann nicht nur Hände und Füße wurden durchbohrt, sondern in ...

Während Hamburg unter einer watteweichen Schneedecke liegt, ist diese zugleich das kalte Vlies für zwei Frauenleichen. Ihr Anblick verstört, dann nicht nur Hände und Füße wurden durchbohrt, sondern in ihrem Brustkorb finden sich Uhren, anstelle ihres Herzens. Die Ermittelnden stehen vor einem Rätsel und stoßen auf einen alten Fall, bei dem der Täter seine weiblichen Opfer regelrecht zu Marinetten umgestaltet hat. Doch hier ist kein Nachahmer am Werk, sondern ein gelehriger Schüler, der mit aller Macht die Feinheiten seines Meisters übertrumpfen will…







Genial ! Grandios ! Überragend ! Phänomenal ! Brillant ! – alle Superlative reichen nicht aus, um diesen spektakulären Thriller auch nur annähernd gerecht zu werden. Aaron Sander peitscht in „Schmerzwinter“ seine Leser:innen von einem grausamen Höhepunkt zum anderen und zeigt ihnen die wahren Abgründe einer menschlichen Seele, die zu allem bereit ist.



Die Handlung geht an die Grenze zwischen psychischem und körperlichem Horror und wird in plakativen Bildern vor dem inneren Auge lebendig. Aaron Sander erschafft ein grusliges Szenario, bei dem das Kopfkino unaufhörlich rattert und die Angst in eiskalten Schauern ein ständiger Begleiter ist.

Die Szenen sind klug aufgebaut, haben immer diesen Mix aus subtiler Bedrohung, die mir beim Lesen fest im Nacken sitzt und einem erleichterten Aufatmen, wenn die Anspannung für einen kurzen Moment gelöscht wird. Der plakative Schreibstil sorgt bei mir für ordentlich Kopfkino und kann die "Puppen" regelrecht vor mir sehen - die Beschreibungen sind mehr als real und ich habe eine sehr genaue Vorstellung, wie sie gestaltet, geformt und kreiert werden.

.Die Handlung ist raffinert gesponnen und extrem gut durchdacht, überzeugt mit vielen Details, die auf den ersten Blick nur Staffage sind und sich beim genaueren Hinsehen als geniale Idee entpuppen (Milchtüte am Kühlschrank). Es verschwimmt die Grenze von Realität und Fiktion und Ungewissheit, Panik und Bedrohung sind die Weggefährten, die sich an der Seite der Lesenden einfinden. Die Wahrnehmung verschiebt sich, Wirklichkeit und Täuschung gehen eine perfekte Symbiose ein und erzeugen eine spannungsgeladene Atmosphäre.





Nygard und Anna müssen einen Sozipaten dingfest machen, der Frauen zu Marionetten werden lässt. Allein der Gedanke dran ist schauderhaft, aber in der Präzision und Perfektion seiner Ausführung schon auf eine gewisse Art faszinierend, sodass die Lesenden gebannt und schockiert zu gleich die Erschaffung der Kunstwerke verfolgen.

Der Autor zeigt eine sehr realistische Hölle, durch die die Opfer gehen müssen. Es sind demütigende und zerstörerische Szenen, die sie durchleben und in denen sich unglaublich Schockmomente wiederfinden.

Die Situation droht mehrmals zu eskalieren und Nygard steht scheinbar vor dem Nichts – alle Spuren, die er mühsam zusammensucht, führen dazu, dass er sich selbst in größte Gefahr begibt und dem Puppenmacher ausgeliefert ist.

Es entsteht ein klaustrophobisches Gefühl, wenn chirurgische Bohrer sirren, die Betäubung langsam nachlässt und die ersten mechanischen Hilfsmittel implantiert sind. Der „Bauplan“ des Täters zeugt von krankhafter Genialität und fordert Fingerfertigkeit und Präzision.



Die Leser:innen werden selbst zur Marionette, denn sie können nicht anders, als noch eine und noch eine Seite umzublättern und gierig die Buchstaben zu verschlingen. Die intelligente Handlungsabfolge bietet Sackgassen, irre Twists und authentische Figuren, die zu jederzeit überzeugen.



Erwähnenswert ist auch die optische und haptische Gestaltung des Thrillers – das Cover mit der reliefartig ausgearbeiteten Schneeflocke (weist übrigens auch auf den gleichnamigen Schreibstil des Buches hin – genial!!) und der neongrüne Buchschnitt fallen sofort ins Auge und machen auf einen Thriller aufmerksam, der in meinen Augen ein echtes Meisterwerk ist.



Chapeau !

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  • Spannung
Veröffentlicht am 09.10.2022

Leider überwiegt die Enttäuschung

Püttchen und der Himmelskönig
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Im großen Reich des Himmelskönigs flattert ein freches kleines Engelchen umher und stellt Fragen über Fragen. Püttchen ist nämlich das kleinste Engelchen und will es ganz genau wissen...warum ist der Himmelskönig ...

Im großen Reich des Himmelskönigs flattert ein freches kleines Engelchen umher und stellt Fragen über Fragen. Püttchen ist nämlich das kleinste Engelchen und will es ganz genau wissen...warum ist der Himmelskönig eigentlich der Himmelskönig und Püttchen ein Engelchen...


Ich muss gestehen, dass ich mich Herz über Kopf in das zauberhafte Cover verliebt habe. Wie Püttchen da auf seiner watteweichen Wolke liegt und schläft...ach, da geht mir direkt das Herz auf.

Die ersten Seiten des Buches sind auch schnell gelesen, denn hier liegt der Fokus eindeutig auf den Illustrationen und nicht auf dem Text, obwohl dieser eigentlich sehr tiefgründig und ausführlich sein könnte. Ich wähle den Konjunktiv deshalb, weil sich Maite Kelly leider nur sehr oberflächlich mit der Thematik befasst, die den Liedtext von Jürgen Werth "Du bist du " interpretiert und Kindern die Botschaft vermitteln soll, dass sie gewollt und geliebt sind und ohne sie etwas fehlen würde.

Ich bin so hin und her gerissen, schwanke zwischen zwei und drei Sternchen, aber mein Herz blutet, wenn ich hier eine negative Bewertung abgeben muss. Ich mag die Idee wirklich sehr, denn sie zeigt, dass sich Maite Kelly Gedanken darüber macht, wie sich die christlichen Werte kindgerecht in den Alltag transportieren lassen. Nichtsdestotrotz macht sich Enttäuschung breit, denn von einer himmlischen Geschichte erwarte ich auch eine entsprechende Qualität.


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