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Veröffentlicht am 02.04.2025

Eine Familie, zwei vermisste Kinder

Der Gott des Waldes
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August 1975 in Camp Emerson in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York: Barbara Van Laar (13) nimmt zum ersten Mal am Sommercamp im Naturreservat ihrer reichen Familie teil. Anfangs verläuft ...

August 1975 in Camp Emerson in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York: Barbara Van Laar (13) nimmt zum ersten Mal am Sommercamp im Naturreservat ihrer reichen Familie teil. Anfangs verläuft alles normal. Doch eines Morgens ist die Jugendliche plötzlich verschwunden. Ist sie bloß abgehauen oder ist etwas Schreckliches passiert? Während der fieberhaften Suche kommen bei vielen die Erinnerungen an Barbaras Bruder hoch, der 14 Jahre zuvor vermisst gemeldet wurde und seitdem nicht mehr aufgetaucht ist. Hängen beide Fälle zusammen?

„Der Gott des Waldes“ ist ein Roman von Liz Moore.

Die Struktur des Romans ist sehr komplex: Er besteht aus sieben Teilen mit mehreren Kapiteln. Dabei gibt es drei Haupterzählstränge: einer betrifft den ersten Vermisstenfall, einer den zweiten und einer die Zeit vor dem Verschwinden des Erstgeborenen. Die Handlung spielt zu verschiedenen Zeitpunkten von der 1950er-Jahren bis zum September 1975. Dabei springt der Roman hin und her. Dennoch fällt es dank eines Zeitstrahls zu Beginn der Kapitel leicht, sich zurechtzufinden. Erzählt wird außerdem aus überraschend vielen Perspektiven. Die Landkarte in den Innenklappen hilft bei der räumlichen Orientierung.

Das Personal des Romans ist erstaunlich umfangreich: Immer wieder werden neue Charaktere eingeführt. Nicht nur die Mitglieder von Barbaras Familie, sondern auch die Angestellten und Teilnehmenden des Sommercamps sowie das Team der Ermittelnden und andere Figuren tauchen auf. So entsteht ein breites Gesellschaftspanorama. Trotz der vielen Personen werden alle handelnden Charaktere mit ihrem individuellen Hintergrund und mit psychologischer Tiefe dargestellt.

Vordergründig geht es in der Geschichte um zwei mysteriöse Vermisstenfälle. Diesbezüglich werden einige Fährten ausgelegt. Es gibt überraschende Enthüllungen und unerwartete Wendungen. Beeindruckend ist das Geflecht an Zusammenhängen, Beziehungen und Verknüpfungen. Obwohl der Roman knapp 600 Seiten umfasst, bleibt die Geschichte undurchsichtig, unterhaltsam und durchweg spannend. Sie kommt gänzlich ohne Wiederholungen oder langatmige Passagen aus. Zudem erscheinen die Handlung und die Auflösung der beiden Fälle stimmig.

Doch es greift zu kurz, die Geschichte bloß als Spannungsroman zu verstehen. Vielmehr wird hier ein umfangreiches Porträt der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten gezeichnet. Es geht um bedenkliche Strukturen in wohlhabenden Familien, die sich von Generation zu Generation fortsetzen, und das Verhalten einflussreicher Personen gegenüber finanziell Schwächeren. Es geht auch um innerfamiliäre Beziehungen und die Stellung der Frau.

So verschachtelt und facettenreich der Inhalt, so klar und schnörkellos ist die Sprache. Dennoch passen die authentischen Dialoge und anschaulichen Beschreibungen ebenfalls gut zur Geschichte.

Das ungewöhnliche, gelungene Covermotiv rundet den Roman ab. Nur der Titel, dessen deutsche Übersetzung nahe am englischsprachigen Original („The God of The Woods“) bleibt, erschließt sich mir nicht so ganz.

Mein Fazit:
Nach „Long Bright River“ hat mich Liz Moore erneut überzeugt. Auch mit „Der Gott des Waldes“ ist der Autorin ein spannender und vielschichtiger Roman mit Tiefgang und zugleich hohem Unterhaltungswert gelungen. Definitiv empfehlenswert!

Veröffentlicht am 02.04.2025

Franka und die Dorfnazis

Unter Grund
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München im Sommer 2017: Mit einer Klasse besucht Referendarin Franziska Zimmermann, genannt Franka, den NSU-Prozess. Dabei kommen plötzlich Erinnerungen an ihre Schulzeit hoch, als sie in rechte Kreise ...

München im Sommer 2017: Mit einer Klasse besucht Referendarin Franziska Zimmermann, genannt Franka, den NSU-Prozess. Dabei kommen plötzlich Erinnerungen an ihre Schulzeit hoch, als sie in rechte Kreise geraten ist…

„Unter Grund“ ist der Debütroman von Annegret Liepold.

Die äußere Struktur des Romans ist simpel: Es gibt neun Kapitel. Erzählt wird aus der Sicht von Franka allerdings auf zwei Zeitebenen: einerseits in Frankas Referendarzeit im Jahr 2017 und andererseits während ihrer Schulzeit im Jahr 2006. Die Handlung spielt in Bayern.

Die Sprache ist bildstark und sehr atmosphärisch. Die anschaulichen Beschreibungen und lebensnahen Dialoge haben mir gut gefallen.

Protagonistin Franka ist eine äußerst interessante Figur. Sie wird zwar mit psychologischer Tiefe dargestellt, kommt jedoch leider teilweise melodramatisch rüber und wirkt dadurch selbst im Jahr 2017 noch unreif.

Thematisch dominieren die Fragen, wie junge Leute in rassistische und rechtsextreme Kreise geraten können und wie der Absprung gelingen kann. Dargestellt wird, wie attraktiv die Gemeinschaft auf Außenseiter wie Franka wirken kann und wie empfänglich gerade unsichere Heranwachsende, insbesondere Mobbingopfer oder Personen mit instabilem Umfeld, für extreme politische Positionen sind. Diesbezüglich ist die Protagonistin ein gutes Beispiel. Zugleich wird in der Geschichte aufgezeigt, wie familiäre Einflüsse und Prägungen eine rechte Gesinnung begünstigen können.

Auf den rund 250 Seiten werden darüber hinaus weitere Themen angeschnitten, was den Roman vielschichtig und gehaltvoll macht, ihn zugleich aber zerfasert. Nach den zahlreichen Andeutungen in den ersten Kapiteln habe ich die Geschichte insgesamt zudem als etwas unspektakulär empfunden.

Das schöne Covermotiv ist sowohl in optischer als auch in inhaltlicher Hinsicht eine gute Wahl. Der mehrdeutige Titel passt ebenfalls hervorragend.

Mein Fazit:
Mit „Unter Grund“ ist Annegret Liepold ein empfehlenswerter Debütroman gelungen, der mich vor allem auf der sprachlichen Ebene überzeugt hat. Trotz kleinerer Schwächen hat mich auch der Inhalt nicht enttäuscht.

Veröffentlicht am 22.03.2025

Zusammenhalt ist der Deal

Wenn wir lächeln
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Mitte der Nullerjahre im Ruhrgebiet: Zufällig lernen sich die Jugendlichen Jara und Anto kennen, als sie 13 Jahre alt sind. Die heranwachsenden jungen Frauen wohnen als Einzelkinder bei ihren alleinerziehenden ...

Mitte der Nullerjahre im Ruhrgebiet: Zufällig lernen sich die Jugendlichen Jara und Anto kennen, als sie 13 Jahre alt sind. Die heranwachsenden jungen Frauen wohnen als Einzelkinder bei ihren alleinerziehenden Müttern. Während Anto keine Geldsorgen kennt, kommt Jara aus einfachen Verhältnissen. Dennoch halten beide sofort zusammen. Aus Langeweile streifen sie durch die Stadt, gehen feiern, konsumieren Alkohol, Zigaretten und Drogen. Mit dem Gesetz nehmen sie es nicht so genau. Kann das auf Dauer gutgehen?

„Wenn wir lächeln“ ist der Debütroman von Mascha Unterlehberg.

Die Struktur des Romans ist nur auf den ersten Blick simpel: Er gliedert sich - nach einem Prolog - in zwei Teile mit insgesamt 83 kurzen Kapiteln. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Jara, allerdings auf zwei Ebenen und nicht chronologisch. Es gibt immer wieder Zeitsprünge, Vorausdeutungen und Rückblenden. Sogar einzelne Szenen sind gesplittet und verteilen sich über mehrere Kapitel. Diese raffinierte Erzählstruktur funktioniert sehr gut.

Unklar bleibt, wo genau die Geschichte spielt und wie viel Zeit sie umfasst. Die vielen zeitgenössischen Referenzen, beispielsweise das Sparabo für Klingeltöne, die Mode, Lieder und Filme, bieten jedoch eine Menge Anknüpfungspunkte.

Die Sprache passt zum jugendlichen Alter der Protagonistinnen. Sie ist roh, ungekünstelt und direkt. Auffällig sind die vielen Dialoge, die sehr authentisch wirken. Verschiedene Stilmittel werten den Text literarisch auf.

Sowohl Jara als auch Anto werden vielschichtig und mit psychologischer Tiefe dargestellt. Ihre Zweifel, ihre Unsicherheiten, ihre teils widersprüchlichen Gefühle, ihre Fehler und Schwächen, all dies macht sie zu glaubwürdigen Figuren ihrer Altersgruppe. Ihre Entwicklung ist nachvollziehbar und stimmig.

Zwei Themen stehen im Vordergrund der Geschichte. Da ist einerseits die besondere Freundschaft zweier jungen Frauen, die auch in schwierigen Momenten füreinander einstehen. Sie verlassen sich aufeinander, beschützen sich gegenseitig, weil es sonst keiner tut. Und da ist andererseits der bedenkliche Umgang mit weiblichen Personen in der Gesellschaft. Immer wieder zeigt der Roman misogyne und sexistische Muster auf, die bereits Minderjährige mit voller Wucht treffen: unerwünschte Berührungen, anzügliche Blicke, vulgäre Sprüche, sexualisierte Gewalt und vieles mehr. Was machen diese tagtäglichen Erfahrungen in der Stadt mit weiblichen Jugendlichen, die gerade erst dabei sind, erwachsen zu werden? Wie fühlt es sich an, sich ständig damit konfrontiert zu sehen, meistens ohne dass jemand einschreitet? Das leuchtet der Roman aus und setzt damit feministische Denkimpulse.

Auf den rund 250 Seiten enthält die Geschichte überraschende Elemente und entfaltet einen zunehmend stärkeren Lesesog. Immer intensiver wird das Gefühl, dass es zwischen den beiden zum Konflikt kommen könnte oder etwas Dramatisches bevorsteht. Das Ende wird dieser Erwartung gerecht und ist absolut schlüssig. Gut gefallen hat mir auch, dass die Geschichte nicht bis ins kleinste Detail auserzählt wird.

Das Cover ist hübsch. Etwas passender hätte ich ein Motiv mit zwei Gesichtern empfunden. Der mehrdeutige Titel ist hingegen eine vorzügliche Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Wenn wir lächeln“ hat mich Mascha Unterlehberg in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Ein lesenswertes Debüt und eines meiner Highlights im Lesefrühjahr 2025!

Veröffentlicht am 21.03.2025

Keine perfekte Zweckgemeinschaft

Halbe Leben
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Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, ...

Klara Steiner (37) ist als Architektin erfolgreich. Sie lebt mit ihrem Mann Jakob, einem Fotografen, und der zehnjährigen Tochter Ada in einem schönen Haus im Kremstal (Österreich). Als ihre Mutter Irene, eine ehemalige Lehrerin, nach einem Schlaganfall unerwartet früh zum Pflegefall wird, muss sich Klara eingestehen, dass die Familie Hilfe benötigt. Über eine Agentur kommt Paulína (38) aus der Slowakei als Pflegekraft ins Haus. Zunächst scheint es, für alle Beteiligten die perfekte Lösung zu sein…

„Halbe Leben“ ist ein Roman von Susanne Gregor.

Untergliedert in drei Teile, wird im Präsens erzählt. Der Schluss der Geschichte ist an den Anfang gestellt. Davon abgesehen, wird in chronologischer Reihenfolge mit einigen Rückblenden erzählt.

Die Sprache ist atmosphärisch, eindringlich und einfühlsam, aber zugleich ungekünstelt. Der Schreibstil ist unaufgeregt und gleichzeitig einnehmend.

Drei Frauen stehen im Vordergrund der Geschichte. Vor allem die Protagonistinnen Klara und Paulína stechen hervor. Ihre Charaktere verfügen über viel psychologische Tiefe und wirken lebensnah. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich, man kommt ihnen sehr nahe. Keine der beiden ist frei von Fehlern. Auch Irene bleibt nicht eindimensional. Sie sowie die übrigen Figuren werden ebenfalls authentisch dargestellt.

Was bedeutet es, für die häusliche Pflege auf jemand anderen angewiesen zu sein? Was macht die anspruchsvolle, anstrengende Arbeit im Ausland mit den Pflegekräften und ihren Familien? Diese beiden Fragen leuchtet die Geschichte eindrucksvoll aus. Sicherlich: Die Geschehnisse im Roman sind zugespitzt. Dennoch legt die Geschichte einen Finger in die Wunde, macht die Missstände im Pflegesystem deutlich und richtet den Fokus auf ein wichtiges gesellschaftsrelevantes Thema. Sie rüttelt auf, stimmt nachdenklich.

Dass der Roman weitere Themen wie familiäre Beziehungen und die Vereinbarkeit von Job und Familie beinhaltet, macht ihn vielschichtig. Auf den nur rund 190 Seiten ist der Text dennoch nicht inhaltlich überladen.

Der Titel des Romans passt sehr gut zur Geschichte. Auch das künstlerisch anmutende Cover mit den unscharfen Frauenfiguren ist stimmig.

Mein Fazit:
Mit „Halbe Leben“ hat mich Susanne Gregor in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Eines der besten Bücher des Frühjahrs 2025. Sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 20.03.2025

Wie der Faschismus alltäglich wurde

Ginsterburg
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Auch in der Kleinstadt Ginsterburg hat der Nationalsozialismus Einzug gehalten. Während Blumenhändler Otto Gürckel zum Kreisleiter aufgestiegen ist, hat es Buchhändlerin Merle Siebert zunehmend schwer. ...

Auch in der Kleinstadt Ginsterburg hat der Nationalsozialismus Einzug gehalten. Während Blumenhändler Otto Gürckel zum Kreisleiter aufgestiegen ist, hat es Buchhändlerin Merle Siebert zunehmend schwer. Sie zieht ihren Sohn Lothar alleine groß und hat den Überblick verloren, welche Bücher mittlerweile verboten sind. Auch Redakteur Eugen von Wieland muss auf der Hut sein. Sie ahnen noch nicht, wie viel Leiden und Probleme sie erwarten…

„Ginsterburg“ ist ein Roman von Arno Frank.

Die Geschichte ist komplex, aber nicht zu kompliziert komponiert. Die Handlung umfasst die Jahre 1935, 1940 und 1945. Dementsprechend gliedert sich der Roman in drei Teile, die wiederum in jeweils vier Kapitel unterteilt sind. Dazwischen gibt es Einschübe des Absturzes eines englischen Fliegers, Briefe und andere Dokumente. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überwiegend begeistert. Starke Sprachbilder und gelungene Wortspiele sind einige seiner Pluspunkte. Die Dialoge wirken authentisch, die Beschreibungen sind eindrücklich und anschaulich. Gestört hat mich lediglich die unnötige Verwendung rassistischer Beleidigungen.

Mit seiner Geschichte entwirft Frank ein vielschichtiges Gesellschaftspanarama einer fiktiven deutschen Kleinstadt während der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt überzeugte Rassisten, Profiteure des neuen Regimes, Mitläufer, Kritiker und Opfer. Das Personal des Romans ist daher umfangreich. Dennoch fällt es nicht schwer, den Überblick zu behalten. Die Hauptfiguren sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Mit nur einer einzigen Ausnahme sind sie zudem klischeefrei gestaltet. Neben rein fiktiven Charakteren tauchen historische Persönlichkeiten wie Lothar Sieber auf, die zum Teil verfälscht dargestellt werden. Ein Nachwort, das über solche Aspekte aufklärt, wäre hilfreich gewesen.

Wie kann es soweit kommen, dass sich eine Gesellschaft normaler, durchschnittlicher Leute zunehmend dem Faschismus verschreibt? Wie kann es sein, dass sich mehr und mehr Menschen schuldig machen und dass sie einen brutalen Krieg unterstützen? Solchen Fragen geht der Roman nach und liefert historische Details, die nicht jeder schon genüge von der NS-Zeit gehört hat. Parallelen zur Gegenwart können gezogen werden. So erscheint das Thema nach wie vor aktuell. Leider haben sich ein paar Fehler und Ungenauigkeiten bei den historischen Daten und Fakten eingeschlichen, beispielsweise wird Hitlers Berghof in Garmisch verortet.

Beeindruckt hat mich, dass die Geschichte trotz der knapp 430 Seiten ohne Längen und Redundanzen auskommt. Die Handlung bleibt außerdem durchweg stimmig. Auch das spektakuläre Ende wirkt schlüssig.

Sowohl der prägnante Titel als auch das Covermotiv, bedauerlicherweise von einer KI generiert, passen hervorragend. Sie runden den Roman ab.

Mein Fazit:
Mit „Ginsterburg“ ist Arno Frank ein empfehlenswerter Roman gelungen. Politisch und gesellschaftlich relevant, unterhaltsam, aufrüttelnd.