Erstes Highlight des Jahres 2025
Als ich die Inhaltsangabe zu "Portrait meiner Mutter mit Geistern" las, war mir sofort klar, dass ich den Roman unbedingt lesen möchte. Ich wollte erfahren, was es mit Martha und ihrer Familie auf sich ...
Als ich die Inhaltsangabe zu "Portrait meiner Mutter mit Geistern" las, war mir sofort klar, dass ich den Roman unbedingt lesen möchte. Ich wollte erfahren, was es mit Martha und ihrer Familie auf sich hatte und warum sie so lange schwieg. Nun, nachdem ich den Roman gelesen habe, fühle ich mich hilflos, denn mir fehlen die Worte, um Rabea Edels "Portrait meiner Mutter mit Geistern" gerecht zu werden.
"Jakob stand im Feld und sah zu Selma hinüber. Seit mehr als sechzig Jahren".
Zunächst einmal bewundere ich Rabea Edels Entschluss, keinen Gefälligkeitsroman zu schreiben. Sie hätte die Geschichte, die sie erzählt, für die Leserinnen wesentlich einfacher gestalten können, sie hätte ohne Ende Antworten auf all die Fragen liefern können, die sich mir als Leserin gestellt haben.
Stattdessen liefert sie ein Puzzle, das nach und nach zusammengefügt wird. Und am Ende bleiben trotzdem viele Leerstellen. Das mag für viele Leserinnen unbefriedigend sein, denn natürlich sind wir neugierig und möchten möglichst viel erfahren. Aber für mich fühlt es sich konsequent an, dass manche Fragen nicht beantwortet wurden. Es ist wie im echten Leben.
Ausgehend von Raisa, die sich nicht mit dem Schweigen ihrer Mutter Martha abfinden möchte, erfahren wir nach und nach bruchstückhaft die Geschichte der Familie. Vieles bleibt vage, wie das eben oft sie ist bei weit zurückliegenden Ereignissen innerhalb einer Familie. Vieles wird ganz bewusst verschwiegen - die Traumata, die diese Familie erlitten hat, vor allem die Frauen, sitzen tief. Und was die Frauen durchgestanden haben!
Umso schöner ist es, dass Martha, obwohl sie ebenso wie die anderen Familienmitglieder (zunächst) schweigt, versucht, einen anderen Weg zu gehen und im wahrsten Sinne des Wortes versucht auszubrechen, sich nicht damit abzufinden, dass sich alles wiederholt, sondern alles daran setzt, dass sich nichts wiederholt.
"Portrait meiner Mutter mit Geistern" basiert auf der Familiengeschichte der Autorin, ist aber keine reine Nacherzählung, sondern auch und vor allem Fiktion. Aber die Geschichte könnte sich tatsächlich so zugetragen haben, woraus sich für mich Mitgefühl und Grauen ergeben haben, die ich so nicht erwartet hatte. Dabei hält sich Rabea Edel zurück. Der Roman ist frei von Pathos und sentimentalen Kitsch. Gerade das aber habe ich als ausgesprochen wirkungsvoll empfunden.
Mir hat auch der Umgang mit Worten gefallen. Immer wieder schmuggelt die Autorin neue Umschreibungen für altbekannte Ereignisse ein, wodurch sie sich noch einmal anders in meinem Bewusstsein eingenistet haben und nicht nebenbei abgehakt wurden.
"Es gab Dinge, die unsagbar bleiben sollten, weil das Aussprechen sie real werden ließ. Ein Leben konnte kaputt erzählt werden. Aber es konnte auch gesund erzählt werden, (...)".
Das war für mich das Schönste: dass am Ende Martha ihr Mantra "nichts wiederholt sich" - das genaue Gegenteil dessen, was ihre Mutter Selma ihr ständig predigte ("alles wiederholt sich") - zu einem Erfolg und damit wahr werden lässt. Egal, welches Grauen diese Familie im Lauf des Jahrhunderts erlebt hat, am Ende gibt es Hoffnung. Und Liebe.