Cover-Bild Siegfried
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24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Claassen
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 256
  • Ersterscheinung: 23.02.2023
  • ISBN: 9783546100274
Antonia Baum

Siegfried

Roman | Eine der stärksten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur

Eine Frau zwischen alten Rollenverhältnissen und neuen Rollenansprüchen

Eine Frau – Mutter, Partnerin, Versorgerin – fährt eines Morgens nicht zur Arbeit, sondern in die Psychiatrie. Am Abend hat sie sich mit ihrem Partner gestritten, vielleicht ist etwas zerbrochen, jetzt muss sie den Tag beginnen, sie muss die Tochter anziehen, an alles denken, in der Wohnung und ihrem Leben aufräumen. Doch sie hat Angst: das Geld, die Deadline, die Beziehung, nichts ist unter Kontrolle, und vor allem ist da die Angst um ihren Stiefvater, der früher die Welt für sie geordnet und ihr einen Platz darin zugewiesen hat. In der Psychiatrie, denkt sie, wird jemand sein, der ihr sagt, wie ihr Problem heißt. Dort darf sie sich ausruhen.

Siegfried ist ein Roman über alte Ordnungen und neue Ansprüche, über Gewalt und das Schweigen darüber, über eine Generation, deren Eltern nach dem Krieg geboren wurden und deshalb glaubten, er sei vorbei.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.04.2023

Beeindruckend

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Neun Lettern, die von Macht sprechen, von altem Geld, von Regeln. Davon, nach dem Besten zu streben, keine Kompromisse: Siegfried. Alle Wege führen zu ihm, denn er war immer da gewesen im Leben der Protagonistin ...

Neun Lettern, die von Macht sprechen, von altem Geld, von Regeln. Davon, nach dem Besten zu streben, keine Kompromisse: Siegfried. Alle Wege führen zu ihm, denn er war immer da gewesen im Leben der Protagonistin aus Antonia Baums neuem Roman „Siegfried“, körperlich wie geistig, in ihren Gedanken, in ihren Handlungen – Siegfried. Das personifizierte Patriarchat, der Macher.

Sie ist fahrig und aufgewühlt, die namenlose Protagonistin, ihr Leben am Rand einer Klippe, im Fallen begriffen, doch sie kann sich nicht halten. Seit einem Jahr hat sie eine Schreibblockade, ihr Buchprojekt ein ruheloses Blinken des Cursors auf dem Display, und sie hat Angst: dass das Geld ausgeht, vor der Reaktion ihrer Verlegerin, vor Alex. Geld war schon immer ein Streitpunkt ihrer Beziehung. Denn Geld bedeutet für sie Sicherheit. Das war etwas, das er – anders als sie – von seinen Eltern nicht mitbekommen hatte. Sie wuchsen in der DDR auf, die Wende hatte etwas mit ihnen gemacht. Alex schämte sich für sie, die Platte, den Nippes, ihre Kleingeistigkeit; dafür, dass sie kein Geld und keine Ambitionen zu haben schienen: „Sie kämen ihm vor die Kinder, die sich erschreckt hätten, als die Mauer fiel, und sich von dem Schreck nicht mehr erholten. Es ging bei uns nur um Angst. Die haben alles aus Angst gemacht. Das Höchste, was man erreichen konnte, war Sicherheit. Es gab nichts, was ich nachmachen konnte. Oder wollte.“ (S. 125)
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Angst, das war etwas, ihrer Familie auch nicht unbekannt war. Sie blickt zurück, in ihre Kindheit, die Wochen, die sie im Sommer bei Hilde, der Mutter ihres Stiefvaters Siegfried, verbrachte. Hilde ist eine Marke, anders kann man es nicht sagen. Sie vergöttert ihren Sohn, doch liebevoll ist sie nicht, in ihrem Haus wohnt Traurigkeit. Ein wenig kauzig, sonderbar, liebt raffinierte Dinge, eine Macht- und Respektsperson, die sich nach der Sicherheit und Stabilität der 80er Jahre sehnt, immer wieder ihre Erinnerungen an den Krieg nebenbei ins alltägliche Gespräch einfließen lässt. Das Mädchen bekommt jeden Tag die Enttäuschung darüber zu spüren, dass sie eben das ist: kein Junge. Sie wird gefordert, ihre Fortschritte gemessen, klein gehalten; der Blick in den Spiegel wird ihr verwehrt, der offenbaren würde, dass sie älter wird, als könne es den Lauf der Dinge aufhalten.
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Angst auch in ihrem Elternhaus: häusliche Gewalt, Berechnung, patriarchale Macht. Und Angst, als sie – ihr Elternhaus hatte sie lange verlassen – Alex kennenlernt. Sie sehnte sich nach jemandem, der anders ist, anders, als sie es kennengelernt, von Hilde gelehrt bekommen hatte, und fand all das in Alex: Er schien sorglos, was das Leben angeht, seine Zukunft, wollte sich lösen von alten Mustern, seinem Zuhause, doch sie wurde immer wieder befallen von den Zügen, die sie ihr Leben lang vorgelebt bekam. Neurotische Ordnungssucht, genug Waschpulver, Brot. Geld. Das große Streitthema. Und immer wieder scheint Alex sich wie Siegfried zu sein, ihre Beziehung wie die ihrer Eltern: „Ich zitterte, er sah mich lächelnd an, und ich war voller Glück. Ich sah ihn an und dachte, dass er überhaupt keine Ahnung hatte und vor allem keine Angst. Nicht davor, bei mir zu sein, auch nicht davor, allein zu sein. Als ich Jahre später in der Psychiatrie saß, fragte ich mich, was aus Alex und mir geworden war, wie es sein konnte, dass es dem so ähnelte, was meine Eltern miteinander veranstaltet hatten, die Lügen, die Kälte, die Brutalität. Ich konnte es nicht sagen, aber ich hatte eine Ahnung." (S. 113)
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Schicht um Schicht legt Baum mit einer gewissen Kühle, in Gedanken – Erkenntnissen – schwebend, Traumata frei, Motive, die sich transgenerational durch den Familienstammbaum ziehen, von Hilde über Siegfried hin zu der namenlosen Protagonistin. Eindrücklich zeigt sie die Beziehungen der einzelnen Protagonisten auf, ihre jeweiligen Charakterzüge. Anhand dessen beschreibt sie kraftvoll, wie Gewohnheiten, wie Gewalterfahrungen fortbestehen und in den Menschen weiterleben, weitergegeben werden, Machtstrukturen überdauern, alte Ideale bleiben – ebenso wie Ängste. Siegfried ist das Kondensat all dessen, die Machtfigur, doch die Zeit ist auch ihm nicht gnädig, ewig jung bleibt niemand. Der König wankt, krank und alternd, doch seine Präsenz schwindet nicht.
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"Siegfried" ist so viel mehr als das, was ich erwartet hatte zu lesen, mehr und anders (!) als das, was der Klappentext suggerierte. Eine eindrückliche, lebendige Charakterdarstellung, eine innere Reise, eine Auf- und Verarbeitung - und ein richtig gutes Buch. Und: Props an Hilde!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein ungewöhnliches Buch mit speziellem Sprachsound

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Die Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ...

Die Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ist ihr gesamtes Lebenskonstrukt in sich zusammengefallen und die Angst, dass etwas unwiederbringlich zerbrochen sei, lässt sie schier verzweifeln.

Und während sie auf dem roten Metallstuhl in der Psychiatrie wartet, dass sie an die Reihe kommt, läuft vor ihrem inneren Auge ihr Leben wie ein selbstgedrehter Familienfilm ab.


Meine persönlichen Leseeindrücke

Dieses knapp 260 Seiten lange Büchlein hat es in sich und wer einen harmonischen Familienroman erwartet, möge gleich die Finger davon lassen. Die Ich-Erzählerin erzählt über ihr Leben, in dem Siegfried, ihr Stiefvater und Ex-Ehemann ihrer Mutter, überraschenderweise eine passive Rolle einnimmt. Es dauert schon eine ganze Weile bis ich verstehe, warum das Buch den Titel „Siegfried“ trägt.
Das Buch ist ein Versuch zu erklären inwiefern das Umfeld und äußere Einflüsse ein Leben beeinflussen und ein Dasein prägen können. Und es geht um Angst oder besser um die Frage, ob Hilde und Siegfried Schuld an ihrer Angst sind.
Hier ist ein Mädchen, das wie ein Schwamm Sinneseindrücke und Informationen ihres Umfeldes aufsaugt und Verhaltensmuster verinnerlicht. In einem entscheidenden Moment ihres Wachstums gerät die Mutter aus ihrem Blickfeld und Siegfried füllt diese emotionale Leere vollständig aus, obwohl er physisch kaum anwesend ist.
Die Kleine ist auf sich alleine gestellt und emotional nicht stabil genug, um mit dem Verlust der Mutter fertig zu werden. Vielleicht ist das die Schlüsselstelle des Romans, der Keim der Angst, der später die Panikattacke auslösen und gleichzeitig erklären wird.
Ob sich Siegfried bewusst ist, welche Rolle er im Leben seiner Stieftochter einnimmt, erfahre ich nicht. Über ihn weiß ich nur, was seine Stieftochter erzählt und ich verlasse mich auf kindliche Erinnerungen.

„Siegfried“ ist ein ungewöhnliches Buch. Was es ausmacht, ist neben einer psychologisch durchaus interessanten Geschichte ein melodisch monotoner Sprachsound, der mich wie ein gregorianischer Gesang einlullt und von dem ich nicht wegkomme. Ich möchte das Buch in einem fort lesen und doch gleichzeitig atmen können. Obwohl so viel Ungeheuerliches geschieht, wirkt alles beruhigend und unheimlich, und ich wundere mich nicht, als dieses Lebenskonstrukt einstürzt und die Protagonistin in die Psychiatrie flieht. Es ist ein letztes Aufbäumen gegen die Angst, ihrem ständigen Begleiter.

Fazit

„Siegfried“ von Antonia Baum beschäftigt sich mit dem Thema Angst und Erziehung und ob ein Zusammenhang zwischen beiden bestehen kann. Der Roman überzeugt mit einem tollen Plott, speziellem Sprachsound und guter psychologischer Recherche.

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Veröffentlicht am 24.02.2023

Zustandsbeschreibung

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Antonia Baum vermochte schon durch ihre Bücher Stillleben und Eminem zu beeindrucken, vor allen durch Präzession, Genauigkeit und der Fähigkeit Innenleben und Gemütszustände ihrer Protagonistinnen zu zeigen.
Das ...

Antonia Baum vermochte schon durch ihre Bücher Stillleben und Eminem zu beeindrucken, vor allen durch Präzession, Genauigkeit und der Fähigkeit Innenleben und Gemütszustände ihrer Protagonistinnen zu zeigen.
Das alles trifft auch auf ihren Roman Siegfried zu, der auch eine Art Familienroman ist. Jedoch ist es eine problematische Familiensituation.

Die Erzählerin ist Schriftstellerin, junge Mutter und schon lange mit Alex zusammen. Jetzt haben sie aber eine Beziehungskrise.
Siegfried war ihr Stiefvater, dem sie sich immer sehr nahe fühlte. Intensiv und ausführlich wird aber auch ihre schwierige Beziehung zu Hilde, Siegfried Mutter, gezeigt. Hilde war ziemlich exzentrisch.

Der Weg führte die Erzählerin in die Psychiatrie, denn sie fühlt sich überlastet, wobei auch das Vorgefallene in ihrer Kindheit eine große Rolle spielt. Der psychologische Unterbau der Handlung ist zwingend.

Antonia Baum hat ihren Roman geschickt gestaltet. Nicht alles ist auf den ersten Blick gleich verständlich, aber als Leser fühlt man mit. Durchaus eine große Qualität von Literatur!

Veröffentlicht am 23.02.2023

Bittere Kontrasten

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Eine junge Frau sitzt in Psychiatrie im Wartezimmer und denkt über ihre Leben und ihre Probleme und besonders viel denkt über ihren Stiefvater Siegfried und seiner Mutter Hilde und über den großen Einfluss ...

Eine junge Frau sitzt in Psychiatrie im Wartezimmer und denkt über ihre Leben und ihre Probleme und besonders viel denkt über ihren Stiefvater Siegfried und seiner Mutter Hilde und über den großen Einfluss von die beiden Personen auf ihre Leben.

Eigentlich hier passiert nicht viel, kein Spannung, keine Tempo und doch das Buch fesselt wie die beste Thriller, wir haben hier eine genaue psychologische Studie über eine junge Frau zerrissen zwischen Liebe , Hass und Wut , die junge Frau obwohl schon erwachen und selbständig ist , trägt in sich der Schatten aus der Vergangenheit , der Schatten trägt ein Name - Siegfried und der Schatten "zwingt" sie ihre Leben so gestallten wie er das wollte, sie ist an einem Punkt gekommen wo sie selber fragt sich ob sie eigentlich normal ist ?

Berührend , tiefgründig authentisch und schonungslos beschreibt die Autorin das Leben von die Protagonistin, von Demütigung bis zum Gewalt und von Sehnsucht nach eigenem Leben , sie lebt zwischen großen Kontrasten und die Kontraste prägen sehr ihre Leben, sie kann nicht loslassen und sie plagt sich immer mit mehr Vorwürfen bis nicht mehr geht`s, sie vergleicht immer wieder die alte mit den neuen ( besonders ist das bemerkbar bei Alex, sie vergleicht ihn ständig mit Siegfried ) und ihre Gedanken sind nur auf die eine Person fokussiert , egal was sie macht.

Bitter , beklemmend und doch so schön zu lesen, ein großartiges Buch .

Veröffentlicht am 20.02.2023

Das innere Kind

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Die Ich-Erzählerin begibt sich in die Psychiatrie, wo sie sich Lebenshilfe erhofft. in Rückblicken erzählt sie von ihrer Kindheit, dem Einfluss ihrer Stief-Großmutter, des Stiefvaters, fehlender Bindung ...

Die Ich-Erzählerin begibt sich in die Psychiatrie, wo sie sich Lebenshilfe erhofft. in Rückblicken erzählt sie von ihrer Kindheit, dem Einfluss ihrer Stief-Großmutter, des Stiefvaters, fehlender Bindung zur Mutter sowie ihrer Beziehung zu ihrem Mann.

Ich fand das Buch oft unangenehm zu lesen und habe auch einige Seite gebraucht, um reinzukommen. Dann aber überzeugt mich die hochemotionale Geschichte. Man sieht die Welt durch die Augen des Kindes, wie sie in einem gewaltbelasteten Elternhaus groß wird, in der die Bezugspersonen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind. Aus Selbstschutz entwickelt sie früh in feine Antennen und ist ständig auf der Hut. Auf der einen Seite schildert sie ihr intensives Kopfkino und auf der anderen Seite versucht sie ihre eigenen Gedanken vor allen zu verschleiern und zu funktionieren.
Vieles wird in dem Roman nur angeschnitten und ich hätte gerne mehr gewusst. Der Roman berührt und macht mich traurig. So viele Kinder, die in prekären Verhältnissen aufwachsen und keine Hilfe bekommen - es ist schließlich die Realität, nicht nur ein Roman.

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