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Veröffentlicht am 09.04.2025

Wunderschön gestaltet und mit vielen hilfreichen Tipps für neurodivergente Menschen

Dein ADHS-Wohlfühl-Guide
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In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für Neurodiversität sehr angestiegen und immer mehr Menschen finden auf der Suche nach Erklärungen für die Herausforderungen, die sie schon ihr ganzes Leben mit ...

In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für Neurodiversität sehr angestiegen und immer mehr Menschen finden auf der Suche nach Erklärungen für die Herausforderungen, die sie schon ihr ganzes Leben mit sich tragen, zu Informationen über ADHS, das autistische Spektrum, Hochsensibilität und Hochbegabung und vieles mehr, erkennen sich als neurodivergent wieder. Auch im psychologischen und medizinischen Bereich steigt die Nachfrage nach Diagnostik, Beratung und Behandlung in diesem Bereich.

Mit dem ADHS-Wohlfühl-Guide gibt die Autorin, selbst ADHS-Betroffene und erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, Betroffenen ein sehr ansprechendes, buntes und übersichtlich gestaltetes, inspirierendes Werkzeug-Buch in die Hand. Darin können sie Tipps und Tools für verschiedenste Herausforderungen finden, mit denen sie im Alltag zu tun haben.

Eingeteilt ist das Buch in sieben große Kapitel. Im ersten geht es um die Grundlagen und darum, was ADHS überhaupt ist, welche verschiedenen Unterkategorien davon es gibt, warum es sich bei Mädchen und Frauen oft anders äußerst als bei Jungen und Männern und erstere deshalb oft unterdiagnostiziert bleiben, sowie um Gemeinsamkeiten mit anderen Neurodivergenzen wie Hochsensibilität oder dem autistischen Spektrum. Auch auf typische ADHS-assoziierte Herausforderungen im Alltag wie die ADHS-Paralyse, den Tunnelblick oder Brain Fog wird eingegangen.

In den restlichen sechs Kapiteln steht jeweils ein ADHS--spezifisches Schwerpunktthema im Vordergrund, das erklärt wird und für das es dann verschiedene praktische Tipps, Tools und Übungen gibt, um die damit verbundenen Herausforderungen zu überwinden. Die Kapitel heißen (bis auf das letzte) "Ich brauche..." und dann folgt z.B. "Ruhe & Entspannung", "Sicherheit & Geborgenheit", "Fokus & Klarheit", "Inspiration & Lebensfreude" oder "Energie und Motivation". Im letzten Kapitel geht es darum, in Balance zu kommen und zu bleiben. Jedes Kapitel ist in einer anderen Trägerfarbe gestaltet, sodass man leicht erkennt, wo im Buch man sich gerade befindet.

Sehr sympathisch an diesem Ansatz ist der positive Fokus: wer dieses Buch liest, wird nicht ständig daran erinnert, was mit einem selbst falsch sein könnte, sondern kommt in Kontakt mit den eigenen Bedürfnissen und Ressourcen. Dabei legt das Buch insgesamt einen Schwerpunkt auf den für ADHS-Betroffene oft herausfordernden Übergang zwischen Stimulation und Entspannung und gibt viele wertvolle Tipps für Experimente zu diesem Thema.

Vieles, was im Buch an Methoden vorgestellt wird, sind allgemein Tipps für eine gesunde, balancierte und entspannte Lebensführung, von denen auch Menschen ohne ADHS profitieren können, z.B. Achtsamkeitsübungen, das bewusste Wählen wohltuender Hobbys, eine gesunde Ernährung, die Gestaltung einer angenehmen Umgebung, wertschätzende Rituale für sich selbst, Verbundenheit mit anderen pflegen, Journaling, Visionboards und vieles mehr. Damit sind das inhaltlich überwiegend keine unbekannten oder neuartigen Methoden - der neuartige Ansatz ist, sie in den ADHS-Kontext zu stellen und bewusst nach ADHS-spezifischen Bedürfnissen und Themen zu gliedern.

Sehr ansprechend habe ich auch gefunden, dass die Autorin immer wieder kleine Einblicke in ihre eigene Geschichte und ihren Umgang mit dem Thema gibt, das macht das Buch persönlich und nahbar. Beispielsweise ist es ihr gelungen, trotz ADHS nicht nur ein Studium, sondern sogar eine Promotion zu absolvieren, auf ihre ganz eigene, individuelle Weise und mit anderen Arbeitstechniken als sonst dafür üblich sind.

Insgesamt ist es ein wunderschön gestaltetes, inspirierendes, persönliches und wohltuendes Buch, das ich allen ADHS-Betroffenen, aber auch sonst neurodivergenten Menschen und auch allen, die sich insgesamt für Tools zur balancierten und gesunden Lebensgestaltung interessieren, bestens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 06.04.2025

Enttäuschend langweilig, langatmig und unplausibel

Flusslinien
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"Flusslinien", das neue Buch von Katharina Hagena, hätte ich so gerne gemocht. So ansprechend waren das schöne Cover mit der Flusslandschaft und die Kurzbeschreibung. Ich habe mich auf ein witziges, lebenskluges ...

"Flusslinien", das neue Buch von Katharina Hagena, hätte ich so gerne gemocht. So ansprechend waren das schöne Cover mit der Flusslandschaft und die Kurzbeschreibung. Ich habe mich auf ein witziges, lebenskluges und unterhaltsames Buch gefreut, doch wurden meine Erwartungen nicht erfüllt. Damit ich ein Buch mit nur zwei Sternen beurteile, muss schon einiges zusammenkommen, denn ich bemühe mich immer, Bücher so großzügig wie möglich zu betrachten und zu beurteilen. Deshalb werde ich nun genau darauf eingehen, in welchen Bereichen mich dieses Buch enttäuscht hat.

Was schätze ich am Lesen?

1) Eine interessante, glaubwürdige Geschichte:

Hier haben wir die 102-jährige Margrit, die in einer noblen Seniorenresidenz in Hamburg lebt. Ihre 18-jährige Enkelin Luzie, die aufgrund des Traumas eines Vergewaltigung bei einem Auslandsaufenthalt in Australien (wo ihr Vater lebt) die Schule abgebrochen hat und Tätowiererin werden will. Arthur, in seinen 20ern, der seinen Zwillingsbruder Theo verloren hat, als Taucher gearbeitet hat und außerdem Kunstsprachen erfindet und verkauft, aber nebenbei in der Seniorenresidenz als Fahrer jobbt. Abwechselnd erleben wir die Geschichte aus den Perspektiven dieser drei Personen mit. Das wusste ich schon aus der Kurzbeschreibung und das hätte eine nette Geschichte werden können. Leider passiert aber sehr wenig und das Buch ist voll von irrelevanten, ausgiebig erzählten, langweiligen Szenen, die für mich nirgendwo hingeführt haben. Dieses fast vierhundert Seiten lange Buch reiht Szene an Szene an Szenen, ohne wirklichen Spannungsaufbau oder Höhepunkt.

2) Gut gezeichnete, glaubwürdige Figuren, die tiefgründig und authentisch dargestellt sind und eine interessante Entwicklung aufweisen:

Wir lernen die oben erwähnten Figuren kennen und dann noch einige weitere in ihrem Umfeld, z.B. Mutter und Vater von Luzie (sind getrennt) Arthurs Zwillingsbruder Theo, oder Gregor, einen Mitbewohner Margrits in der Seniorenresidenz. Sowohl die drei Hauptfiguren als auch alle Nebenfiguren blieben für mich aber sehr blass charakterisiert. Nach der Lektüre des Buches könnte ich kaum jemanden von ihnen abseits von sehr plumpen Stereotypen (Luzie ist verletzt und rebellisch aufgrund des Traumas, Margrit ist weise und gütig,....) charakterlich tiefgehender beschreiben. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Figuren eine sonderliche Entwicklung durchgemacht hätten und sie bleiben für mich sehr blass. Auch habe ich mich während der Lektüre den meisten von ihnen innerlich nicht nahe gefühlt, was mir normalerweise bei gut geschriebenen Büchern sehr schnell gelingt, selbst bei unsympathischen Figuren, wenn diese authentisch gezeichnet sind.

3) Eine besondere, schöne und einprägsame Sprache:

Insgesamt zeichnet sich dieses Buch dadurch auch nicht sonderlich aus. Gelegentlich gibt es schöne und einprägsame Sätze insbesondere in den Margrit-Kapiteln, die ja als weise dargestellt werden soll, so z.B. auf S. 44: "Nun, da die Schatten länger und die Risse tiefer werden, muss sie noch einmal ihre letzten Bilder einordnen." In diesem Bereich schneidet das Buch also für mich weder bemerkenswert noch besonders schlecht ab.

4) Ausgiebige Recherche, sodass man beim Lesen auch etwas über die beschriebenen Themen lernt oder diese zumindest nicht komplett unglaubwürdig wirken:

Das ist ein weiterer Punkt, der mich in diesem Buch sehr enttäuscht hat. Plakativ werden so gut wie alle Zeitgeistthemen (Coronazeit, Ukrainekrieg, Klimawandel, Fridays for Future,...) oberflächlich genannt und eingebaut, ohne sie aber tiefer mit dem Buch zu verbinden. Das wirkt auf mich, als ob die Autorin regelrecht eine Liste all dieser Themen abgearbeitet hätte. Ich mag durchaus Romane mit aktuellem Bezug, aber hier wäre es mir lieber gewesen, die Autorin hätte sich auf wenige dieser Themen beschränkt, diese aber authentischer und tiefgehender in das Buch eingebaut. Überhaupt empfinde ich das Buch über weite Strecken als sehr oberflächlich: immer wieder kamen durchaus interessante Themen auf, z.B. zur Umweltproblematik, die mit der immer weiter betriebenen industriellen Elbvertiefung für die Schifffahrt verbunden ist, aber diese wurden meistens nur kurz gestreift, bis das nächste von gefühlt hunderten Themen kurz angeschnitten wurde. Manches war auch schlicht extrem klischeehaft beschrieben, z.B. reist Arthur nach Belarus, wo sich eine Gruppe für eine seiner Kunstsprachen interessiert, diese Gruppe hat die Kunstsprache in kürzester Zeit nahezu perfekt gelernt, hält darin komplexe faschistische Vorträge und Arthur flieht angeekelt und reist mit dem nächsten Flieger um 4000 Euro zurück nach Deutschland, wobei er die gesamten Ersparnisse von sich und noch welche von seinem Bruder aufbraucht. Hier hatte ich nicht das Gefühl, dass sich die Autorin mit Belarus, mit Kunstsprachen oder mit sonst etwas näher auseinandergesetzt hat. Auch das Tätowieren alter Menschen in der Seniorenresidenz wirkte auf mich nicht sehr glaubwürdig und authentisch geschildert. Damit hat mich das Buch auch in dieser Hinsicht sehr unzufrieden zurückgelassen.

5) Gut unterhalten zu werden:

Wenn ein Buch schon nicht sonderlich glaubwürdig ist, literarisch kein hohes Niveau aufweist, keine besondere Figurenentwicklung hat und ich auch nicht wirklich was dabei lernen kann, dann wäre es schön, wenn es wenigstens so spannend oder witzig geschrieben wäre, dass ich mich dabei gut unterhalten würde. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Autorin versucht hat, humorvoll und weise rüberzukommen, aber, wie gesagt, über weite Strecken hat mich das Buch mangels wirklich interessanter Handlung sehr gelangweilt.

6) Interessante historische Bezüge:

Was mich wirklich gewundert hat, war das Nachwort. In diesem gibt die Autorin an, dass sie speziell über die Gestalterin des Römischen Gartens in Hamburg, Else Hoffa, schreiben habe wollen, da sie festgestellt habe, dass einiges, was über diese zu finden sei, korrigiert und ergänzt werden könnte. Ja, zu Else Hoffa gibt es immer wieder Exkurse, speziell in den Erinnerungen der alten Margrit, denn Else Hoffa wird fiktiv als lesbische Partnerin von deren Mutter Johanne dargestellt. Allerdings haben diese Elemente für mich als Fremdkörper im Roman gewirkt, nicht wirklich mit dem Rest der Geschichte verbunden, und ich wäre allein aufgrund der Lektüre nie draufgekommen, dass das ein zentrales Element des Buches sein sollte, dazu war es als Thema viel zu wenig präsent.

Fazit: Ich nehme der Autorin nicht ab, über sehr alte Menschen, Kunstsprachen oder sonstige der im Buch behandelten Themen wirklich tiefgründig recherchiert zu haben. Die Geschichte an sich war für mich langatmig und langweilig erzählt, die Figurencharakterisierung blass, kaum Charakterentwicklung da und das Leseerleben unbefriedigend und langweilig. Schade. 2 Sterne für die Bemühung, eine humorvolle, berührende Geschichte zu schreiben, und für stellenweise gute Ansätze dazu. Keine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 05.04.2025

Tiefgründige Darstellung eines Milieus, in dem Narzissmus floriert

Der Einfluss der Fasane
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Hervorragend geschriebene Bücher, solche von Autorinnen und Autoren, die Buchpreise gewinnen, zeichnen sich meist durch ihre Vielschichtigkeit aus. Sie wirken emotional und intellektuell noch länger nach, ...

Hervorragend geschriebene Bücher, solche von Autorinnen und Autoren, die Buchpreise gewinnen, zeichnen sich meist durch ihre Vielschichtigkeit aus. Sie wirken emotional und intellektuell noch länger nach, bieten Stoff für tiefgehende Diskussionen, bilden und regen zum Nachdenken an. Manchen dieser Bücher gelingt es dann auch noch, zusätzlich angenehm und unterhaltsam zu lesen zu sein.

"Der Einfluss der Fasane", das neue Buch der Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021, Antje Rávik Strubel, ist so ein Buch. Vordergründig liest sich die Geschichte leicht, schnell und unterhaltsam, doch regt sie gleichzeitig tief zum Nachdenken und Diskutieren an.

Worum geht es? Hella Renata Karl hat beruflich im Leben viel erreicht, sie ist Feuilletonchefin einer großen Zeitung und bewegt sich souverän auf dem gesellschaftlichen Parkett. Bei einer lieblosen Mutter in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, hat sie den großen Aufstieg geschafft: eine intelligente, selbstbewusste und erfolgreiche Frau. Doch nun ist ihre Position bedroht: sie hat aufgedeckt, dass ein beliebter Theaterdirektor, Kai Hochwerth, seine Geliebte geschwängert hatte und diese zur Abtreibung drängen wollte, und darüber einen Artikel verfasst. Kurz darauf nimmt sich der Beschuldigte das Leben, und die Medienlandschaft und das Internet fallen über Hella her und meinen, in ihr die Schuldige für den Suizid gefunden zu haben. Sie bekommt anonyme Drohungen und wird beruflich von ihrem Posten erst einmal auf unbestimmte Zeit beurlaubt.

Soweit zur wichtigsten Rahmenhandlung. Wirklich interessant an diesem Buch finde ich aber die Psychogramme sowohl Hellas als auch des Verstorbenen und weiterer sich im beruflichen Umfeld zwischen Theater und Medien bewegender Menschen. Das Buch zeichnet ein deutliches Bild der Scheinwelt, die gerade in höheren gesellschaftlichen Kreisen herrscht: wie wichtig Status, Auftreten und der schöne Schein sind und wie schnell man nach einem scheinbar kleinen Fauxpas sehr tief fallen kann... das betrifft sowohl Hella als auch Hochwerth.

Überhaupt spiegeln sich beide sehr stark ineinander, Hochwerth ist ein offenkundiger Narzisst, der andere Menschen für seine Zwecke ausnützt, auch sexuell, und manipuliert, während sich Hellas narzisstische Tendenzen erst auf den zweiten Blick offenbaren. Doch erlebt man ihre Gedanken und Handlungsmotive mit, so wie wir das als Lesende des Buches können (denn das ganze Buch ist aus ihrer Innenperspektive geschrieben), so erleben wir sie als eine vom Wunsch nach Erfolg und Status Getriebene mit gleichzeitig instabilem Selbstwert, die mit anderen Menschen nur oberflächliche Beziehungen eingeht, zu wahrer Intimität kaum fähig ist, und ebenfalls dazu neigt, andere auf ihre Funktion für sich zu reduzieren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die beiden sich durchaus sympathisch waren... zumindest bis zu Hellas Artikel über Kai Hochwerth.

Besonders interessant finde ich an dem Buch aber nicht nur die Frage, ob und in welchem Ausmaß diese beiden nun narzisstisch sind oder nicht, sondern die weitergehende Perspektive, inwieweit das Milieu, in dem sie sich bewegen, Narzissten regelrecht anzieht, heranzieht und fördert bzw. gewisse Persönlichkeitstendenzen in diese Richtung möglicherweise sogar erforderlich sind, um eine solche Karriere zu machen. Auch das wird in dem Buch sehr anschaulich dargestellt, wie ich finde. Somit regt es auch zur Reflexion über die Wechselwirkung zwischen individueller Persönlichkeitsentwicklung und dem jeweiligen Milieu an, genauso wie darüber, welche Werte wir in unserer medien- und darstellungszentrierten Gesellschaft fördern (möchten) und welche nicht.

Damit ist es insgesamt ein nicht nur angenehm lesbares und unterhaltsames, sondern auch sehr intelligentes und tiefgründiges Buch, das ich allen Interessierten sehr empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 04.04.2025

Horizonterweiternd, spannend und vielschichtig

Dream Count
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"Dream Count", das neue Buch von Chimamanda Ngozi Adichie, ist ein faszinierendes Buch, das zu vielseitigen Diskussionen einlädt, in dem ich viel über Nigeria gelernt habe und das eine unglaubliche Fülle ...

"Dream Count", das neue Buch von Chimamanda Ngozi Adichie, ist ein faszinierendes Buch, das zu vielseitigen Diskussionen einlädt, in dem ich viel über Nigeria gelernt habe und das eine unglaubliche Fülle an Themen in spannende Geschichten vier afrikanischer Frauen verpackt, die miteinander verwoben sind.

Eingerahmt wird die Geschichte und auch das Frauengespann von Chiamaka: Tochter reicher Eltern aus Nigeria, sehr privilegiert aufgewachsen, lebt in großen Villen, hat eine Hausangestellte, reist um die Welt und träumt von der Selbstverwirklichung als erfolgreiche Reiseautorin... und von dem einen perfekten Mann, mit dem sie die perfekte Beziehung führen könnte, in der sie sich wirklich gesehen und erkannt fühlen würde. Von ihr und ihren Träumen leitet sich auch der Titel des Buches ab: Dream Count statt Body Count, jeder neue Mann, auf den sie sich einlässt, verkörpert einen Traum von ihr, dass sie nun den Richtigen gefunden haben könnte.

Nahbar aus der Ich-Perspektive geschrieben, lernen wir Chiamakas Leben und Sicht der Dinge in einem langen Kapitel am Anfang und einem kürzeren am Ende ausgiebig kennen und begleiten sie durch ihre Zeit zwischen ihren frühen 20ern bis etwa Anfang 40 durch verschiedene, nicht immer chronologisch erzählte, Episoden mit unterschiedlichen Männern, die die verschiedensten Hintergründe in Bezug auf geografische Herkunft und Race haben, und Chia mehr oder weniger gut behandeln. Deutlich wird dabei auch, wie stark die gesellschaftlichen sozialen Erwartungen, einen guten Mann zu finden, zu heiraten und Kinder zu kriegen, in Nigeria auch heutzutage noch sind, auch für eine privilegierte Frau, und wie Chia diese internalisiert hat und zu verwirklichen versucht.

Auf die eine oder andere Weise nah mit Chia verbunden sind auch die anderen drei Frauen, deren Leben ausführlich porträtiert wird. Da gibt es die Anwältin Zikora, zwei Jahre älter als Chia und in der Nähe dieser in Nigeria aufgewachsen, lebt sie nun auch in den USA, wo die beiden Frauen enge Freundinnen geworden sind. Leider erfährt man im Roman so gut wie nichts über Zikoras praktische Anwaltstätigkeit, auch in diesem Kapitel liegt der Schwerpunkt auf Zikoras Wunsch nach Familie. Dieser erfüllt sich, wenn auch anders als geplant und mit einer großen Enttäuschung verbunden... am Ende steht Zikora als Single-Mutter alleine da, nähert sich dafür aber ihrer eigenen Mutter wieder an. Ausführlich und authentisch wird auch Zikoras Erfahrung bei der Geburt ihres Sohnes geschildert. Dieses Kapitel ist interessanterweise nicht aus der Ich-Perspektive, sondern aus der dritten Person geschrieben und macht sehr nachdenklich über die Einschränkungen und inneren Zwänge, denen auch sehr gebildete und beruflich erfolgreiche Frauen noch unterliegen können.

Die dritte Frau, Kadiatou, stammt nicht wie die drei anderen aus einer Igbo-Familie aus Nigeria, sondern ist aus Guinea. Doch das ist nicht der einzige Unterschied: außerdem ist sie in bitterer Armut aufgewachsen, hat schon früh Vater und Schwester verloren, bald nach ihrer Hochzeit auch den Ehemann, wurde als Kind beschnitten, später Opfer von sexuellen Übergriffen und hat es schließlich geschafft, gemeinsam mit ihrer Tochter Asyl in den USA zu bekommen, wo sie fleißig als Chias Hausangestellte sowie in einem Hotel als Zimmermädchen arbeitet. Die offene, herzliche Chia sieht Kadia als Freundin an, während letztere sich der Ungleichheit der Positionen beider deutlich bewusster ist. Das stellt die interessante Frage nach der Möglichkeit und Gestaltung von Freundschaft bei so unterschiedlich privilegierten Ausgangspositionen. Kadiatou wird bei der Arbeit im Hotel Opfer eines sexuellen Übergriffs eines sehr mächtigen Mannes, und von Arbeitskollegen dazu gedrängt, ein Gerichtsverfahren gegen diesen anzustreben, was sie auch macht, und wobei sie von Chia und den anderen beiden Frauen unterstützt wird. Auch dieses Kapitel ist aus der 3.-Person-Perspektive geschrieben.

Die vierte Frau, Omelogor, ist Chias Cousine, und sie lebt überwiegend in Nigeria, wo sie im Bankenbereich tätig ist, dabei zwiespältige Geschäfte unterstützt, in moralische Konflikte gerät und versucht, diese zu bewältigen, indem sie von den Reichen Geld abzweigt und dieses armen Frauen für Mikrozuschüsse für ihre Geschäfte zukommen lässt. Omelogor ist, neben der benachteiligten Kadiatou, eine der interessantesten Personen dieses Romans: sie ist hochintelligent, unabhängig, gestaltet ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen, kann sich in einer rauen Männergeschäftswelt ausgezeichnet behaupten und hat dabei aber immer noch eigene ethische Vorstellungen, die sie nicht komplett über Bord wirft. Zwar wird auch sie immer wieder von ihrer Verwandtschaft unter Druck gesetzt, ein Kind zu bekommen, oder, wenn sie irgendwann zu alt dafür sei, zumindest eines zu adoptieren, doch gelingt es ihr letztlich sehr gut, wieder zu sich zurückzufinden und zu spüren, was sie wirklich von ihrem Leben will. Ihr Kapitel ist wiederum aus der Ich-Perspektive geschrieben.

Sehr interessant an dem Buch sind die verschiedenen Stimmen und wie wir die Leben und Freundschaften der Frauen aus unterschiedlichen Perspektiven kennen lernen. Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass etwa Chia zum Romantisieren und Verklären neigt - nicht nur in Bezug auf ihre Männerbekanntschaften, sondern auch auf die Natur der Freundschaft des Viererfrauengespanns. Zikora und Omelogor wiederum können sich eigentlich gegenseitig gar nicht so gut leiden und werden nur durch Chia lose miteinander verbunden. Und in Bezug auf Kadiatou spielt eben der sehr unterschiedliche soziale Hintergrund und die Tatsache, dass diese Chias Hausangestellte ist, ebenfalls eine prägende Rolle in der Beziehung.

Das Buch regt also zum Nachdenken über Frauenfreundschaften, Partnerschaften, Kinder-Kriegen oder nicht, Emanzipation, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung, Träume, Privilegien, Klassenunterschiede, Race, Rassismus und vieles mehr an, und behandelt damit überraschend universale Themen, die so nicht nur im nigerianischen Umfeld, sondern überall auf der Welt eine Rolle spielen. Damit zeigt es die Universalität der grundlegenden Menschheitserfahrung an, und wirkt damit auch empathieschaffend und verbindend. Gleichzeitig sind aber in die Geschichten auch viele Hintergrundinformationen über Nigeria eingebunden und ich habe bei der Lektüre wie nebenbei viel über die dort herrschende Gesellschaftsstruktur mit ihren vielfältigen Ethnien und Religionen gelernt.

Besonders interessant war für mich der "Blick von außen" auf so einige scheinbare Gewissheiten, die wir im globalen Norden und in westlich sozialisierten Ländern zu haben scheinen, etwa, wenn Omelogor für einige Zeit in die USA zieht, um dort ein Masterstudium zu machen und Pornographie zu untersuchen, und die sehr starren und einheitlichen Vorstellungen der liberalen, aber wenig lebenserfahrenen, jungen amerikanischen Studierenden kritisch hinterfragt. Da wird so einiger Scheinheiligkeit ein Spiegel vorgehalten, wie auch an so manchen anderen Stellen im Buch.

Sprachlich ist das Buch sehr unterhaltsam, dabei aber auf durchaus hohem sprachlichem Niveau, geschrieben und ich habe immer gerne und mit Spannung weitergelesen, mit den Frauen mitgefiebert und war neugierig, wie es weitergeht. Auf mehr als 500 Seiten habe ich mich nie gelangweilt.

Chimamanda Ngozi Adichie gehört für mich insgesamt zu den großen Stimmen der Literatur und ich schätze es besonders, wie sie mir einen für mich sehr unbekannten Kulturkreis mit ihren Romanen nahebringt. Große Leseempfehlung, und ich möchte demnächst alle weiteren Bücher von ihr lesen!

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Veröffentlicht am 03.04.2025

Ein vieldeutiges Buch voller schwierig entschlüsselbarer Symbolik

Übung in Gehorsam
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Von einem Buch, das wie "Übung in Gehorsam" von Sarah Bernstein auf der Shortlist des Booker Prize gelandet ist, kann man auf jeden Fall anspruchsvolle Literatur erwarten. Dennoch gibt es so einige Booker-Prize-Short-Bücher ...

Von einem Buch, das wie "Übung in Gehorsam" von Sarah Bernstein auf der Shortlist des Booker Prize gelandet ist, kann man auf jeden Fall anspruchsvolle Literatur erwarten. Dennoch gibt es so einige Booker-Prize-Short-Bücher oder sogar -Preisträger, denen das Kunststück gelungen ist, nicht nur anspruchsvolle Literatur in wunderschöner Sprache zu sein, sondern auch angenehm lesbar und zugänglich. Das kann man von diesem Buch nicht sagen.

Zwar hat das Buch nur um die 150 Seiten und man könnte meinen, es sei schnell gelesen... wer das denkt, täuscht sich aber. Es handelt sich hier um ein hochkomplex konstruiertes Werk voll von geheimnisvoller Symbolik, Metaphern und Hinweisen, die sich bei der ersten Lektüre zumindest ohne umfangreiches Vorwissen nicht so leicht erschließen, sodass es für das tiefere Verständnis dieses Buches auf jeden Fall eine sorgfältige Zweit- (und besser auch Dritt-, Viert- und Fünftlektüre) samt begleitender Konsultation weiterer Fachbücher zu jüdischer und anderer Symbolik, Notieren von unklaren Stellen und Suche nach Zusammenhängen und Diskussion mit anderen braucht.

Dann können sich immer mehr und tiefere Ebenen von dem, was möglicherweise die Aussagen des Buches sein könnten (sicher werden wir es - ohne die Autorin zu befragen - wohl nie wissen, dafür ist das Buch zu mysteriös) erschließen. Aber selbst dann wird wahrscheinlich einiges unklar oder zumindest mehrdeutig bleiben. Das Buch hat in sich eine Tiefe, mit der sich bestens ein semesterlanges, spezialisiertes Uniseminar füllen lassen könnte.

Das hier ist also definitiv kein Buch, das man zur Unterhaltung und Entspannung lesen kann. Und doch bin ich froh, es gelesen zu haben, denn horizonterweiternd, das ist es. Ich mag das Vielschichtige, Mehrdeutige und Mysteriöse durchaus gerne und liebe beispielsweise die geheimnisvoll-lyrische Musik von Leonard Cohen, an die mich dieses Buch erinnert... viele seiner Lieder sind ebenfalls voll von mystischen, religiösen und symbolischen Bezügen, die sich nur bei einem sehr guten Hintergrundwissen vollständig erschließen können, wenn überhaupt. Ähnlich ist es mit diesem Buch hier. Mögen könnten es auch alle, die vielschichtige und nicht eindeutig interpretierbare Kunst schätzen.

Worum geht es nun in diesem Buch? Das ist gar nicht leicht zu sagen. Ich kann ein paar Sätze zur Handlung im Vordergrund schreiben, doch diese stellt offensichtlich nur die Kulisse für ein tiefer liegendes Thema dar. Das Buch ist ausschließlich aus der Perspektive der Ich-Erzählerin erzählt, einer jungen Frau in der heutigen Zeit (das zeigt sich durch viele Bezüge zu moderner Technologie), die ein relativ isoliertes Leben führt und für eine Anwaltskanzlei Sekretariatsarbeiten erledigt.

Als ihr Bruder von Frau und Kindern verlassen wird und nach ihrer Unterstützung ruft, zieht sie bei ihm ein und erledigt nicht nur den Haushalt, sondern kümmert sich auch um die Körperpflege des (zumindest anfangs sehr fitten, vitalen und nicht kranken) Bruders und noch so einiges mehr, in absolutem Gehorsam. Man könnte glauben, dass es im Buch hauptsächlich um die Unterwerfung dieser Frau unter die Herrschaft dieses Bruders geht, so habe ich das aber nicht wahrgenommen. Über weite Strecken ist der Bruder nämlich nicht einmal da und auch sonst wirkte er auf mich weit weniger despotisch als vermutet.

Dahinter ist aber noch ein weiteres Thema, das sich etwa im Umgang mit der Umgebung des Hauses des Bruders und mit den dort lebenden Menschen zeigt. Von diesen ist die Ich-Erzählerin isoliert, sie spricht deren Sprache nicht, kann sie auch - obwohl sonst sprachbegabt und mehrsprachig - nicht lernen, wird von ihnen (zumindest aus ihrer Sicht, eine andere haben wir nicht) gemieden und diese misstrauen ihr. Wir erfahren auch, dass ihre Vorfahren in diesem, einem nördlichen Land, lebten und von dort wohl vertrieben wurden. Viele seltsame Dinge geschehen, z.B. die Begegnung mit einer Frau, von der nicht klar ist, wie sie überhaupt in den Garten des Hauses gekommen ist, die vorwurfsvoll erscheint und eine scheinträchtige Hündin mit sich führt.

Weiters gibt es immer wieder Bezüge zur jüdischen Religion, die klar machen, dass es hier offenbar um eine jüdische Familie geht, der sowohl die Schwester als auch ihr Bruder angehören. Implizit gibt es so einige Hinweise auf den Holocaust und auf die transgenerationalen und kollektiven Traumatisierungen, die sich bis heute und somit auch auf die Ich-Erzählerin auswirken. Es stellen sich Fragen nach Schuld und Verantwortung, nach der Möglichkeit, sich dieser zu entziehen, nach Zugehörigkeit und Ausgeschlossen-Werden, nach Stigmatisierung, Geschlechterverhältnissen und nach vielem mehr.

Auch nach ausgiebiger Beschäftigung mit diesem Buch über mehrere Wochen vermute ich, dass ich mir maximal 10 Prozent des darin Verborgenen erschlossen habe. Es ist also durchaus eine lohnenswerte Arbeit für Geheimnissuchende, sich damit zu beschäftigen, aber eine, die viel Zeit, Energie, Austausch und die Bereitschaft zu anstrengender symbolischer Entschlüsselungsarbeit braucht. Leseempfehlung also nur für diesen Personenkreis.

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