Cover-Bild Die Schlange von Essex
10,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Eichborn
  • Themenbereich: Belletristik - Liebesroman: historisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 29.09.2017
  • ISBN: 9783732549306
  • Empfohlenes Alter: ab 16 Jahren
Sarah Perry

Die Schlange von Essex

London 1893. Als Cora Seaborne vom Gerücht hört, der mythische Lindwurm von Essex sei zurückgekehrt und fordere die ersten Menschenleben, macht sie sich auf den Weg in den Küstenort Aldwinter. Cora, eine Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins, vermutet hinter dem Sagengeschöpf eine bislang unbekannte Tierart. Auch der Vikar von Aldwinter, William Ransome, glaubt den Gerüchten nicht, und versucht, seine Gemeinde zu beruhigen. Zwischen Cora und Will entspinnt sich eine besondere Beziehung und obwohl sie in rein gar nichts einer Meinung sind, fühlen sie sich unausweichlich zueinander hingezogen.

Anmutig und intelligent erzählt dieser Roman - noch vor allem anderen - von der Liebe und den unzähligen Verkleidungen, in denen sie uns gegenübertritt.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.11.2017

Eine Wissenschaftlerin, ein Pfarrer und eine unheimliche Schlange

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England im Jahr 1893: Nach dem Krebstod ihres Mannes Michael verlässt Cora Seaborne die britische Hauptstadt London, um mit ihrem Sohn Francis und dem Kindermädchen Martha in den Küstenort Aldwinter zu ...

England im Jahr 1893: Nach dem Krebstod ihres Mannes Michael verlässt Cora Seaborne die britische Hauptstadt London, um mit ihrem Sohn Francis und dem Kindermädchen Martha in den Küstenort Aldwinter zu reisen. Die Witwe ist Naturwissenschaftlerin und eine Anhängerin der Thesen von Charles Darwin. Sie hört von der Geschichte um die ominöse Schlange von Essex, die dort gesehen wurde. Ihr Interesse ist geweckt, denn sie hofft auf eine wissenschaftliche Sensation. Doch sie gerät dort auch mit Pfarrer William Ransome aneinander. Obwohl beide in ihren Meinungen grundverschieden sind, fühlen sie sich stark zueinander hingezogen…

Mit „Die Schlange von Essex“ ist Sarah Perry ein preisgekrönter, ungewöhnlicher Roman gelungen.

Meine Meinung:

Mich hat der Roman schon nach wenigen Seiten in seinen Bann gezogen, sodass ich das Buch nur ungern zur Seite legen wollte. Das liegt unter anderem daran, dass die Geschichte sprachlich meisterhaft umgesetzt wurde. Sehr eindringlich und lebhaft sind die Beschreibungen, teilweise sogar poetisch. Durch schöne Sprachbilder entsteht viel Stimmung und Atmosphäre. Trotz der anspruchsvollen Sprache ist der Erzählstil flüssig und angenehm, sodass mein Lesefluss nicht ins Stocken geriet.

Die Handlung beginnt im Januar und setzt sich im Folgenden in den weiteren Monaten des Jahres fort. Dies drückt sich in der Aufteilung der Hauptkapitel aus.

Anders als vermutet geht es in der Geschichte nicht nur um die Protagonisten Cora und Will. Immer wieder springt die Erzählperspektive auch auf die anderen, teils ziemlich speziellen Charaktere, die sehr detailliert geschildert werden und deren Innenleben für mich gut vorstellbar wurde. Durch diesen Umstand entstehen zudem mehrere Handlungsstränge, was die Geschichte für mich reizvoll gemacht hat.

Wer eine seichte, reine Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht. Kunstvoll wird das Thema Liebe mit anderen Lebensbereichen wie Glaube und Wissenschaft verwoben. Auch weitere gesellschaftliche Aspekte der viktorianischen Zeit in England tauchen auf, was für mich sehr interessant und teilweise auch lehrreich war.

Positiv hervorzuheben ist meiner Ansicht nach außerdem das sehr hübsche Cover. Gut gefallen hat mir auch, dass der englische Titel 1:1 übersetzt und somit übernommen wurde.

Mein Fazit:

„Die Schlange von Essex“ ist sicherlich ein historischer Roman, der polarisiert und vom Leser einiges fordert. Zwar hatte ich anfangs andere Erwartungen an die Geschichte. Mich allerdings konnte das Buch von Sarah Perry mit seiner toller Sprache und seiner Tiefgründigkeit absolut begeistern.

Veröffentlicht am 15.10.2017

Ein ganz besonderes Leseerlebnis!

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Das Buch ist mir als erstes durch das Cover aufgefallen - eigentlich gar nicht meins durch diese vielen Details und den Stil, andererseits aber gerade dadurch wieder etwas ausgefallenes, was ins Auge ...

Das Buch ist mir als erstes durch das Cover aufgefallen - eigentlich gar nicht meins durch diese vielen Details und den Stil, andererseits aber gerade dadurch wieder etwas ausgefallenes, was ins Auge sticht. Vor allem auch unter dem Schutzumschlag ist das Buch in dunklem Grün mit so einer Oberfläche wie Schlangenhaut. Eine originelle Idee!

Der Titel und der Klappentext haben mich dann noch neugieriger gemacht, und ich habe wieder einmal etwas ganz anderes bekommen, als ich erwartet hatte: und zum Glück war es eine positive Überraschung!

Das viktorianische England wird hier ganz anders dargestellt, wie in vielen anderen Geschichten. Die Autorin merkt das auch in ihrem Nachwort an, dass sie von anderen Werken inspiriert wurde, die das gesellschaftliche Leben im 19. Jahrhundert ganz anders interpretiert haben. Ich war immer wieder erstaunt und hab mich köstlich amüsiert, welchen Umgangston, welche Gedanken und Gefühle die Figuren in dieser Geschichte widergespiegelt haben.
Ob arroganter Gentleman, vermögender Kavalier, vom Ehrgeiz zerfressener Arzt oder resolute Freundin aus der Unterschicht ... dieses Buch beinhaltet ein wahres Sammelsurium an unterschiedlichen Charakteren, die allesamt einen vielleicht negativen Touch haben aber auch etwas anrühriges, so dass sie einem doch irgendwie ans Herz wachsen.

Man kann sich in jede der Figuren sehr gut hineinversetzen, denn es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und dabei jedem genug Raum gegeben um zu zeigen, dass jeder von ihnen trotz einiger unvorteilhafter Charakterzüge ein wunderbarer Begleiter und Freund sein kann.

Vor allem natürlich Cora Seaborne, die Witwe, die nicht trauert - sondern erleichtert ist, endlich dem Joch der Ehe entkommen zu sein. Sie musste sehr leiden unter ihrem hartherzigen Mann, der ihr jahrelang eingebläut hat, wie schwach und unzulänglich eine Frau ist. Gerade deshalb will sie jetzt diese "Fraulichkeit" abstreifen, trägt einen viel zu großen Herrenmantel und plumpe Stiefel und begiebt sich auf die Spuren Charles Darwins.
Mit dem Pfarrer William Ransome und dessen Familie, die sie während ihrer Suche nach der Schlange von Essex kennenlernt (die immer wieder als Legende und Gerücht auftaucht und für all die schlimmen Unglücke zur Verantwortung gezogen wird), verbindet sie sofort eine gewisse Verbundenheit.
Zuviel will ich dazu aber nicht verraten, nur dass sich alles anders entwickelt, als man vielleicht erwartet hat.

Die Geschichte wird nie langweilig, denn nicht nur die sonderbare Beziehung zwischen Cora und William steht im Mittelpunkt, auch die anderen Figuren, ihre Wünsche und Sehnsüchte und die geltenden Klassenunterschiede in und um London geben dem ganzen eine kurzweilige Abwechslung, aber auch einige berührende und zum Nachdenken anregende Momente.
Das Ganze wird vor allem durch den Schreibstil zu etwas besonderem - ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Sarah Perry benutzt viele Metaphern, die aber nicht abgenutzt wirken sondern frisch und lebendig; sie hauchen dem Leben der Figuren eine ganz besondere Atmosphäre ein und trotz vieler sprunghafter Wechsel von einem Geschehen zum anderen, hatte es einen angenehmen Rhythmus, der flüssig zu lesen war.

Wer gerne mal in die viktorianische Zeit eintauchen will, ohne sich mit den üblichen Mustern zu belasten, sollte das Buch auf jeden Fall ausprobieren. Es hat eine ungewohnte gesellschaftliche Spielart, außergewöhnliche Charaktere und eine Tiefe, über die man hinwegliest und der man sich erst einige Augenblicke später so richtig bewusst wird. Dabei ist es auch amüsant, unterhaltsam, mit vielen grundsätzlichen Fragen, die man überlesen, aber auch etwas mehr darüber nachdenken kann.
Aberglaube, Gott und die Wissenschaft, Neigungen und Hoffnungen, die Leichtigkeit des Lebens und die Schwermut und natürlich die Liebe ... das alles vereint ergibt es ein wunderschönes Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 24.10.2017

Ein Buch, das verstört und dennoch begeistert

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Gesamteindruck:
Was für ein Cover, was für ein Buch!
Wo fange ich an, wo höre ich auf? Diese Geschichte ist verstörend, tiefgründig und dennoch teilweise für mich sehr grenzwertig. Sie ist schonungslos, ...

Gesamteindruck:
Was für ein Cover, was für ein Buch!
Wo fange ich an, wo höre ich auf? Diese Geschichte ist verstörend, tiefgründig und dennoch teilweise für mich sehr grenzwertig. Sie ist schonungslos, irgendwie skurril und trotzdem konnte ich sie nicht aus der Hand legen.
Sarah Perry hat einen sehr eindrücklichen und symbolreichen Schreibstil. Sehr authentisch vermittelt sie mit ihren Worten nicht nur die Bilder, sondern auch die damals vorherrschende Stimmung. Man hat das Gefühl, ein Teil der Geschichte zu sein, die Dinge, die sie erzählt, nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen, zu schmecken – zu erleben. Die Handlung besteht aus verschiedenen Metaebenen, die, je nachdem, wer dieses Buch liest, unterschiedlich wirken. Philosophie, Glauben, Wissenschaft – so viele Betrachtungsmöglichkeiten, die mich nachhaltig beschäftigen, weil man, je länger man darüber nachdenkt, noch so viele kleine Details entdeckt.
Der Roman wird sehr kontrovers besprochen – die einen lieben es, die anderen finden keinen Zugang. Ich verstehe beide Seiten, denn man muss sich auf dieses literarische Erlebnis einlassen.
Zu Beginn war ich mir nicht sicher, ob mir das gelingen wird, denn die Abfolgen sind schnell, während den Szenen gibt es immer wieder Blickwechsel, als würde eine Kamera einen speziellen Moment betrachten und dann, unabhängig von der Distanz, die zwischen den einzelnen Figuren liegt, gibt es eine Art Bestandsaufnahme, was die einzelnen Protagonisten genau in diesem Moment erleben.
Neben den beiden Hauptprotagonisten Cora und William gibt es eine Fülle an weiteren Handelnden, von denen einer seltsamer als der andere ist. Ich weiß, diese Aussage ist sehr anmaßend, aber sie haben irgendwie alle – vorsichtig gesagt – ihre Eigenheiten und Probleme (normalerweise würde ich das anders nennen .-) )
Und genau diese speziellen Charaktere und ihr Handeln machen aus dieser Story etwas Besonderes – ob das jetzt gut ist oder nicht, ob es einem gefällt oder nicht, das muss jeder für sich entscheiden. Mir waren manche Szenen zu hart, manches hat mich geekelt, manches erschien mir geschmacklos, und dennoch konnte ich nicht wegsehen, mich dem entziehen. Ich wollte, nein, musste erfahren, wie es weitergeht, wie es endet.

Mein Fazit:
Dieser Roman spaltet die Gemüter, absolut verständlich. Mich hat er fasziniert, mitgerissen, zum Nachdenken angeregt. Er hat mir verschiedene Blickwinkel eröffnet, von denen manche wirklich schwer (für mich zumindest) zu ertragen waren, aber ich konnte es nicht weglegen. Hut ab, Sarah Perry, für diesen unglaublichen Einblick in eine Welt, die sich mir so noch nie gezeigt hat.
Im Buch gibt es eine Szene, in der es in einem Gespräch um ein Wort geht, das in der gleichen Schreibweise, bei gleicher Aussprache, komplett gegensätzliche Bedeutung haben kann: geteilt.
Und ich denke, es ist sehr zutreffend und beschreibt diesen unglaublichen (auch so ein Wort) Roman recht gut, denn über „Die Schlange von Essex“ gibt es geteilte Meinungen – die einen teilen sie die anderen teilt es Mir hat es gefallen, auch wenn ich immer wieder gefordert wurde, aber ich denke, ihr müsst für euch entscheiden, ob es etwas für euch ist oder nicht.

Veröffentlicht am 29.09.2017

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung

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Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: B07143NJZZ
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Originaltitel: The Essex Serpent
Seitenzahl: 496 Seiten
Preis: 24€ (gebundene Ausgabe)
17,99€ (Kindle-Edition)
!Britischer Buchpreis für den besten Roman des Jahres 2016!



Inhalt:

London im Jahr 1893:

Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Cora Seaborne vom Gerücht hört, der mythische Lindwurm von Essex sei zurückgekehrt und fordere die ersten Menschenleben, muss sie sich das unbedingt ansehen. Cora, eine Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins, vermutet hinter dem Sagengeschöpf eine bislang unbekannte Tierart. Auch der Vikar von Aldwinter, William Ransome, glaubt den Gerüchten nicht, und versucht, seine Gemeinde zu beruhigen. Zwischen Cora und Will entspinnt sich eine besondere Beziehung und obwohl sie in rein gar nichts einer Meinung sind, fühlen sie sich unausweichlich zueinander hingezogen...


Bewertung:

Seltsam! Das war das Wort, das mir schon beim Betrachten des Covers durch den Kopf ging, sich während des Lesens des ersten Satzes bestätigt und mich durch das ganze Buch hinweg begleitet hat. Dabei wechselten sich gleichermaßen in positiven wie auch negativem Sinne interessant-seltsame, gruselig-seltsame sowie nervig-seltsame Situationen ab, die aber insgesamt ein so stimmiges und spezielles Gesamtbild ergeben, sodass ich nicht wirklich weiß, wie ich diesen Roman bewerten soll.

Denn dies ist absolut kein Buch, dass man einfach für Zwischendurch mal schnell lesen kann - teilweise ist das Vorrankommen schon fast Arbeit und ich habe auch über zwei Wochen an den gerade mal 500 Seiten gelesen, was für mich eine ellenlange Zeit ist. Um nicht den Anschluss in den poetischen, verschnörkelten Darstellungen zu verlieren, muss man ganz genau aufpassen, zwischen den Zeilen lesen und viel darüber nachdenken, wie etwas gemeint sein könnte. Dabei gehen schillernde Außergewöhnlichkeit und atmosphärische Widersprüche so einzigartig einher, dass man von all den Eindrücken geradezu erschlagen wird. Gerade dafür hat das englischsprachige Original den Preis für das beste Buch des Jahres bekommen und die deutsche Leserschaft erwartet die Veröffentlichung am heutigen Tag gespannt. Ich bin noch am Überlegen, ob ich dieses Werk nun wirklich genial und des Preises würdig sehen oder als mir persönlich zu seltsam abtun soll, doch Genialität und Verrücktheit liegen ja oft sehr nah beieinander...


Erster Satz: "Ein junger Mann geht unter dem kalten Vollmond am Ufer des Blackwaters spazieren."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover, dass mit seinem wilden, einzigartigen und doch irgendwie friedlich wirkendem Muster perfekt ins Gesamtbild passt. Ich würde es nicht wirklich als schön bezeichnen - mit den orangenen Pflanzen und der grünen Schlange auf dem schwarzen Untergrund wirkt es mir irgendwie zu unruhig - doch es hat etwas hypnotisierendes, etwas einzigartiges, was auch das Buch an sich hat. Man fühlt sich sofort an die rauen Salzwiesen Aldwinters erinnert, an das Ungeheuer, das dort droht. Es ist dem englischen Original und allen anderen Übersetzungen sehr ähnlich gestaltet. Auch der Titel passt sehr gut und ist dem englischen direkt nachempfunden. Unter dem bedruckten Schutzumschlag der gebundenen Ausgabe findet man einen dunkelgrünen Buchdeckel mit geriffeltem Schlangenmuster zusehen, wenn man das buch in der Hand hält, kann man die einzelnen Schuppen spüren. Unterstrichen wird der Gesamteindruck dann noch durch das orangene Lesebändchen und die weißen Blumenranken auf orangenem Untergrund, die ähnlich denen auf dem Cover, die Innenseite des Buches verzieren. Eine wirklich wunderbar runde und besondere Gestaltung! Ob so etwas sein muss, damit das Buch dann 24€ kosten darf, ist eine andere Frage, über die man diskutieren könnte...

Ich gebe ganz offen zu, dass ich mich beim Anfragen dieses Buches auf meinen ersten Eindruck und auf den erhaltenen Preis verlassen habe und nach dem ersten Drittel recht enttäuscht war.
Die Geschichte von Cora, William und der Schlange von Essex beginnt sehr langsam und wird in sehr ruhigen und intensiven Tönen erzählt. Zuerst befasst ich die Autorin damit, uns ihre sehr speziellen und einzigartigen (man kann auch "seltsamen" sagen) Charaktere nahezubringen, ohne sie uns jemals durchschauen zu lassen. Auch wenn der Einstieg durchaus gut gemacht ist, habe ich sehr lange gebraucht, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen bin. Wir werden der starrsinnigen Witwe Cora Seaborne zur Seite gestellt, die versucht, sich nach dem Tod ihres Mannes selbst zu verwirklichen. Zusammen mit ihrer sozialistisch überzeugten Freundin und Haushälterin Martha und ihrem leicht autistischen Sohn zieht es sie aufs Land hinaus, wo sie ihre neuen Freiheiten zu genießen versucht. Als überzeugte Hobby- Paläontologin entpuppt sich Essex, bald als Goldgrube, denn dort wird ein Volksmärchen anscheinend lebendig: im Blackwater soll eine gruselige Kreatur hausen, die Kinder klaut, Männer ertränkt und die Bewohner von Aldwinter für ihre Sünden büßen lassen soll - die Schlange von Essex. Ganz zum Leiden des Aldwinter Pfarrers William Ransome, der diese Geschichte für Unfug hält und Cora anhält, seine Gemeinde nicht mit solchen Spinnereien zu verunsichern. Aus einer ersten Meinungsverschiedenheit entwickelt sich bald eine Beziehung in der redegewandten Opposition und unausgesprochenen Anziehungskraft miteinander ringen...

Durchaus spannend geht es nach dem Einstieg weiter - dabei hat dieser historische Roman nichts von einem Abenteuer, mehr von einem leisen Selbstfindungsbuch einer Frau, die nicht in die Gesellschaft passen zu scheint. Eigentlich nicht so ganz mein Genre - etwas hat mich aber so fasziniert, dass ich es trotzdem spannend fand. Diese sonderbare Art und Weise des Feingefühls, mit dem die Autorin Szenen kreiert, sodass sie gleichzeitig sehr fremd und fern, wie auch vertraut und berührend wirken, ist wirklich einzigartig. Durch die eigenwillige Erzählweise, in der die Szenen ineinander übergehen, die Perspektiven so fließend wechseln, große Zeitspannen schnell überbrückt werden und die Handlung so schnell vorbeizieht, dass man es gar nicht bemerkt, ist es sehr schwierig mit dem Lesen aufzuhören und nicht zu vermeiden, dass man dann irgendwie doch hinabgezogen wird, in die Dunkelheit Aldwinters und die geheimnisvollen Tiefen des Blackwaters. Das Buch lebt nicht von der packenden Handlung, sondern viel mehr von den sehr speziellen und einzigartigen Charakteren, die Sarah Perry mit sehr viel Liebe, Kreativität und Engagement erschaffen hat. Sarah Perry hat keinen wilden, spannungsgeladenen „Page Turner“ geschrieben, sondern einen sehr atmosphärischen und bisweilen düsteren, ungewöhnlichen historischen Roman, der einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Der Schreibstil der Autorin ist wirklich einmalig und ich denke im englischen Original viel eindrucksvoller. So sind einige Kleinigkeiten etwas seltsam übersetzt und man stockt ein wenig, wenn von "die Strand" die Rede ist, was dann eine Straße meint oder irgendwelche Zeitkugeln herunterfallen. Ansonsten werden vor allem Landschaften sehr atmosphärisch beschrieben und zeitweise verdichtete schon poetisch anmutende Formulierungen entführen uns in das kleine Städtchen Aldwinter.


"Wichtig ist nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle. Ich kann den Äther nicht sehen, und doch spüre ich ihn bei jedem Atemzug und brauche ihn zum Leben. Ich fühle es, da kommt etwas auf uns zu, früher oder später; merken Sie sich meine Worte. Es war schon einmal hier, wie Sie selbst wissen, und es wird sich wieder zeigen - wenn nicht zu meinen Lebzeiten, dann zu Ihren, oder denen Ihrer Kinder oder Kindeskinder; und deshalb werde ich mich rüsten, Hochwürden, und ich würde Ihnen raten, es mir gleichzutun."


Das Geheimnis der Schlange in Essex nimmt leider nur eine gewisse Nebenrolle ein. Ich habe mich natürlich die ganze Zeit über gefragt, was es denn jetzt mit diesem mysteriösen Ungeheuer auf sich hat, das Cover, Titel und Klapptext so eindeutig beschreibt. Gibt es sie wirklich, oder ist sie nur ein Sinnbild für die Angst der Leute, die eine Erklärung für die Geschehnisse brauchen, die sie sich nicht erklären können. Seit der Entdeckung eines Ertrunkenen an Neujahr, fühlt sich das Dorf unsicher und unter Beobachtung. Warum ist die Schlange, die der Legende nach die Gegend schon 1669 mit seinen ledernen Flügeln und schnappendem Schnabel terrorisierte, nun zurückgekehrt? Was haben die Dorfbewohner falsch gemacht? Wo haben sie sich versündigt? An dieser Stelle nutzt Perry die symbolische Wirkung ihres Ungeheuers aus, um eine Gesellschaft zu zeichnen, die immer noch weit hinter der Aufklärung zurück hängt und charakterisiert durch die Reaktionen auf sie die Charaktere.

Für Cora, die gerne ein echtes Ungeheuer sehen würde, verkörpert die Schlange ein Wenig von der Überraschung, dem Entzücken, der Freiheit, der Entlassung aus der Welt, die nun durch den Tod ihres Mannes greifbar scheint. Für Will hingehen bedeutet die Schlange nur Ärger, ebenso wie die Wissenschaft. Menschen bräuchten die Sicherheit der Religion, oder sie beginnen, Dämonen zu erfinden - Geologie und Evolution seien nur in Mode, Theorien kommen und gehen, Gott bleibt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie ständig aneinander geraten, der gläubige, gebildete Dorfpfarrer mit dem gesicherten Leben und die modern denkende Cora, die zwar reich und attraktiv ist, sich aber kleidet wie ein Mann und gerne im Dreck herumwühlt.

Ihre angeregten Konversationen und Diskussionen werden dem Leser zu einem großen Teil in Briefform präsentiert. Das verleiht der Handlung noch einmal einen sehr viel persönlicheren Charakter, und wir erfahren viel über Cora und ihre Person, da der Briefwechsel nicht nur zwischen William und ihr, sondern auch zwischen Cora und ihren anderen Freunden stattfindet. Dieser rege Briefwechsel ermöglicht es, größere Zeitspannen elegant zu überbrücken und zeigt außerdem, welchen Stellenwert Freundschaft einnehmen kann, wenn die Auffassungen grundverschieden sind. Denn trotz der vielen Diskussionen fliegen bald die Funken zwischen den beiden, wie wir natürlich von Anfang an geahnt hatten.


"Was suchen Sie hier?" "Das weiß ich noch nicht. Meine Freiheit vielleicht. Ich habe zu lange mit Hemmnissen gelebt. Sie fragen mich, warum ich im Schlamm wühle? Weil ich es aus meiner Kindheit kenne. Ich habe kaum jemals Schuhe getragen, ich habe Ginster für den Kräuterlikör gepflückt und Teiche gesehen, die vor Frösche brodelten. Aber dann kam Michael... (..) Aber jetzt bin ich frei!"


Gut gefallen hat mir, dass wir hier nicht die typische Liebesgeschichte präsentiert bekommen, denn Will ist glücklich verheiratet und auch Cora nicht gewillt eine Beziehung einzugehen - es ist von Anfang an klar, dass da nichts daraus werden kann.
In ihren verzweifelten Versuchen, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu leugnen, bringen die beiden auch ihre Freunde durcheinander und immer wieder wird gezeigt, dass Liebe auch zerstören kann: Luke Garrett, Londons bester junger Chirurg, verliert in seiner verzweifelten Verliebtheit zu Cora seine operativen Fähigkeiten bei einem Unfall; George Spencer, der reiche Freund Lukes versucht, sich durch den Sozialismus Coras Begleiterin Martha zu nähern, deren Herz nur für die Gerechtigkeit schlägt; Williams schöne Ehefrau Stella, die an einer Krankheit sterbend die Herzen ihrer Familie bricht; Martha, die Cora auf eine gewisse Art liebt und Angst hat, sie als Freundin zu verlieren, Charles und Katherine Ambrose, die konservativen Freunde aus der High Society, die großzügig ihr Bestes tun, um ihren Freunden zu helfen und mitleiden müssen, Francis, Coras autistischer Sohn, der mit Liebe und Verständnis wenig anfangen kann und sich gerne mit seinen gesammelten Kostbarkeiten zurückzieht,... die verschiedenen Arten von Liebe, die hier in diesem Buch gezeigt werden sind vielfältig und haben doch alle etwas gemeinsam: sie verursachen viel Schmerz.

Im Mittelpunkt des Ganzen stehen also eindeutig Cora und ihre Beziehungen zu verschiedenen Leuten, die alle auf sehr verschiedene Art und Weisen intensiv sind. Cora an sich ist eine super Protagonistin - hier ein großes Lob an die Autorin, die es geschafft hat einen Charakter zu kreieren, der gleichzeitig echt, widersprüchlich, eigenwillig, liebenswert, seltsam, störrisch, schön, hässlich und einfach nur glaubwürdig erscheint. Ihre Vergangenheit ist höchst fragwürdig, es gibt einige Andeutungen, die aber nie ganz geklärt werden. Früh ist sie an einen älteren Mann geraten, der sie nach seinen Wünschen formen wollte und es sogar geschafft hat. Obwohl er Cora nicht gut behandelt hat, hat sie ihn auf ihre Art geliebt, was sie nicht davon abhält, eine gewisse Art der Erleichterung zu verspüren, als er verstirbt. Denn jetzt kann sie endlich sich selbst sein. Dass sie noch nicht so genau weiß, wer dieser neue Jemand sein soll, stellt man allzu bald fest, denn sich widerspricht ich ständig selbst, lässt sich nur von ihren Gefühlen leiten und bringt dadurch ihr ganzes Umfeld ganz schön durcheinander.

Auch die anderen Charaktere sind sehr gut und authentisch dargestellt, alle verkörpern ein kleines Stück der Mentalität dieser Zeit um 1893 herum - dem Viktorianischen Zeitalter. Immer wieder springt das Buch zwischen der Stadt London mit seinen zivilisierten Gesellschaftsregeln und Problemen und den Salzwiesen Aldwinters umher. Dabei wird medizinischer Fortschritt im Gegensatz zum Glauben thematisiert, Feminismus, aber auch die sozialistische Ideen, die nach der Industrialisierung entstanden. Man bekommt viele Armenviertel gezeigt, sieht dass die Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer leidet, Wohnungen fehlen, hat aber auch einen Einblick in das Leben der reicheren und in ihre Gedanken. So redet zum Beispiel Charles Ambrose, der sonst ein anständiger Mann ist, von den niedrigen Wesen, die es zu nichts besserem gebracht haben, und eine andere Art behandelt zu werden gar nicht verdienen.


"Unvorstellbar, dass er jahrelang den ihm zugewiesenen Platz eingenommen und sich ohne zu Murren in die riesige malmende Maschinerie namens London eingefügt hatte. Wenn er heute um sich blickte, sah er einen kranken Körper in den letzten Fieberzuckungen - die Krankheit strömte durch Verkehrsadern zu Wasser und zu Lande, und in den Hallen und Fabriken sammelt sich das Gift. Nun war er aufgewacht."


Auch gesellschaftliche Strukturen, von denen Cora absolut kein Freund ist, werden thematisiert. Sehr interessant ist, dass Cora, die eigentlich offen gegen diese Strukturen und Rollenbilder rebelliert, indem sie unanständige Dinge tun, sich unweiblich kleidet, manchmal aber wieder davon eingeholt zu werden scheint und dann ein Seidenkleid trägt und Dinner Partys veranstaltet - sie also Anflüge von Scham empfindet, eben weil sie sich nicht verhält oder nicht so fühlt, wie von ihr erwartet wird. Und wie sie das wiederum dann so lächerlich findet, dass sie diese Gedanken wieder verwirft.

Insgesamt ergibt sich also ein vielfältiges Bild, die diese vergangene Zeit nicht nur als verklemmte und von Religion und Etikette versklavten Ära darstellt, sondern auch hervorhebt, dass es viele Menschen gab, die begonnen haben anders zu denken und einen Sinn für das Absonderliche entwickelt haben.

Und nur durch diesen Sinn für das Absonderliche muss ich schlussendlich auch sagen, dass ich das Buch doch faszinierend und empfehlenswert fand, auch wenn es wirklich seltsam ist. Gerade das sehr unkonventionelle Ende hat mir wieder sehr gut gefallen. Also zählt hier auch, was wir von den tausend komischen Schullektüren aus den vorherigen Jahrhunderten mitgenommen haben: Gute Literatur muss eben manchmal ein wenig abstrus sein!



Fazit:

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung - eine etwas andere Darstellung des Viktorianischen Zeitalters, die ich nur jedem empfehlen kann!

Veröffentlicht am 08.11.2017

Faszinierend

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Protagonistin Cora Seaborne ist Witwe und zieht Ende des 19. Jahrhunderts von London nach Aldwinter an die Küste. Cora ist für ihr Zeitalter fortschrittlich und emanzipiert. Sie ist Naturwissenschaftlerin ...

Protagonistin Cora Seaborne ist Witwe und zieht Ende des 19. Jahrhunderts von London nach Aldwinter an die Küste. Cora ist für ihr Zeitalter fortschrittlich und emanzipiert. Sie ist Naturwissenschaftlerin und kennt sich mit den Forschungen von Charles Darwin aus, die durchaus nicht unumstritten waren und vielen als zu provokant galten, so auch dem Pfarrer William Ransome, mit dem sie immer wieder in Streit gerät, doch andererseits gibt es zwischen diesen beiden unterschiedlichen Menschen eine nicht zu leugnende Anziehungskraft.
Nicht zu unrecht wird dieses Buch hochgelobt. Ein faszinierender Schreibstil und eine interessante Geschichte. Die detaillierten Beschreibungen und die Art der Erzählungen haben mir gut gefallen.