Authentisch und fesselnd
Meine Meinung
>>Wenn der Schlaf der kleine Bruder des Todes ist, gehört er zu der Sorte Geschwister, die man am besten in den Schrank sperrt und erst wieder befreit, wenn sie ...
Meine Meinung
>>Wenn der Schlaf der kleine Bruder des Todes ist, gehört er zu der Sorte Geschwister, die man am besten in den Schrank sperrt und erst wieder befreit, wenn sie Demut gelernt haben. Ich würde ihn am liebsten dort verrotten lassen.<< (Zitat aus dem Buch)
Tamar Noort hat sich hier einem Problem gewidmet, von dem allein in Deutschland sechs Millionen Menschen betroffen sind. Schlaflosigkeit (Insomnie) macht wirklich vielen Menschen das Leben zur Hölle. Es handelt sich hier um keinen Ratgeber, sondern vielmehr um eine Geschichte, bei der sich jeder Betroffene verstanden fühlen dürfte. Ich habe einer Person, die schon jahrelang an Schlafstörungen leidet, einige Passagen vorgelesen. Sie meinte, die Frau weiß, wovon sie schreibt.
Janis ist Krankenschwester, die ein Schlaflabor überwacht. Sie schaut Menschen beim Schlafen zu, während sie selbst damit kämpft, wach zu bleiben. Einst war sie Krankenschwester auf der Orthopädie. Warum sie das nicht mehr machen will, erfährt man im Laufe der Geschichte. Im Schlaflabor ist es immer der gleiche Trott. Das ändert sich, als die Lehrerin Sina eine Nacht im Labor verbringt. Janis verhält sich ihr gegenüber ziemlich unprofessionell, was Sina nicht zu stören scheint.
Alles in der Geschichte wirkt unaufgeregt und sehr einfühlsam. Das Schlaflabor kann Sina nicht helfen, da das Gefühl von Einsamkeit, mitten in der eigenen Familie, kein Gerät aufzeichnen kann. Aber diese eine Nacht hat zwei Frauen auf eine besondere Art zusammengebracht. Es entsteht eine Freundschaft, die die Frauen dazu animiert, ihr Leben zu überdenken. Sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob ihr Leben wirklich das ist, dass sie wollen.
Sina hat einen Mann und zwei Kinder, mit denen sie ein schönes Haus bewohnt. Auch der Mann ist Lehrer. Sinas Mutter wirkt sehr verständnisvoll, was die schlimme Schlafstörung ihrer Tochter betrifft. Warum nur fühlt sie sich dann so einsam?
Janis ist ganz allein. Keine Familie, Partner und sozialen Kontakte. Ihre Tage füllt sie mit dem Schlaf, der ihr in der Nacht nicht möglich ist.
Dieses Buch hat mich durchgehend gefesselt. Es zeigt, was mit einem Menschen passiert, wenn er nie den nötigen Schlaf bekommen kann und wie wenig diese Problematik von sämtlichen Mitmenschen ernst genommen wird. Sina realisiert einmal nicht mehr, dass eine Ampel auf Rot geschaltet hat. Sie hat es gesehen, aber dennoch nicht mehr wahr genommen. Sie entwickelt nach dem Schlaflabor eine Strategie, um am helllichten Tag schlafen zu können. Dies solltet ihr selbst entdecken. Es lohnt sich.
Alle Figuren sind authentisch gezeichnet. Der Schreibstil bringt die Müdigkeit von Sina sehr gut rüber und ich hatte mehrmals das Gefühl von Müdigkeit. Ich konnte Sinas Erschöpfung spüren.
Es gibt humorvolle Szenen, die mir ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert haben.
Das Ende hätte ich anders erwartet. Auf den ersten Blick hatte ich das Gefühl, es hat sich nicht viel geändert. Aber das hat es. Ganz leise und unspektakulär.
Eine klare Empfehlung. Danke, Tamar Noort.