Cover-Bild Niemand ist bei den Kälbern
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20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Arche Literatur Verlag AG
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 10.02.2017
  • ISBN: 9783716027622
Alina Herbing

Niemand ist bei den Kälbern

Sommer in Schattin, Landkreis Nordwestmecklenburg. Christin ist gerade auf den Bauernhof ihres langjährigen Freundes Jan gezogen. Die Aufbruchstimmung der Nachwendejahre, die ihre Jugend prägten, ist längst dahin, doch für Jan ist der väterliche Betrieb trotz sinkender Milchpreise noch immer das Wichtigste im Leben. Christin hingegen will nur weg. Sie träumt von der Großstadt und einem Job im Büro. Aber wo soll sie hin ohne Ausbildung? Unüberwindbar scheinen die Grenzen, und so bleiben die immer gleichen Dorffeste, die immer gleichen Freunde, der arbeitslose Vater und der Kirsch aus dem Konsum. Bis Windkrafttechniker Klaus aus Hamburg auftaucht und Christin glaubt, einen Fluchtweg gefunden zu haben.
Unerschrocken und mit großer Wucht erzählt Alina Herbing vom Landleben, wie es wirklich ist, von einer Jugend ohne Zukunft und einer vergessenen Region zwischen Ost und West.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.04.2017

Landleben abseits der Hauptstrasse

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Der Roman "Niemand ist bei den Kälbern" von Alina Herbing vermittelt im Gegensatz zu der verbreiteten romantischen Meinung über das Landleben ein ungleich schmutzigeres, raueres und komplett unromantisches ...

Der Roman "Niemand ist bei den Kälbern" von Alina Herbing vermittelt im Gegensatz zu der verbreiteten romantischen Meinung über das Landleben ein ungleich schmutzigeres, raueres und komplett unromantisches Bild vom Leben in einem Dorf abseits der Hauptstraße im ehemaligen Zonenrandgebiet Mecklenburg-Vorpommerns. Mit gewaltiger, vereinnahmender, bildhafter aber auch wundervoll poetischer Sprache erzählt die Autorin ganz nah an den Figuren eine Geschichte, die Abscheu und Mitleid, Verunsicherung und Ratlosigkeit, aber auch Hoffnung und nicht zuletzt intensives Nachdenken hervorruft.

Christin lebt in Schattin, einem winzigen Dorf am westlichen Rand Mecklenburg-Vorpommerns auf dem Bauernhof ihres Freundes Jan und dessen Vaters. Gestank, Schmutz, ein am Milchvieh orientierter Tagesablauf und ewige Langeweile und Trostlosigkeit bestimmen in flirrender hochsommerlicher Hitze ihr Leben. Von Alkoholismus, Rechtspopulismus und den ewig gleichen Dorffesten im Nachbarort erzählt die Geschichte ihres dumpfen und ausweglosen Lebens genauso wie vom schwer alkoholkranken Vater, der von der übrigen Dorfgemeinschaft geächtet wird.
Sie träumt von Stöckelschuhen und schönen Kleidern in der Großstadt und kann der Arbeit auf dem Hof und dem Leben mit Jan nichts abgewinnen. Als der Windkrafttechniker Klaus auftaucht, scheint Christin endlich einen Ausweg zur Flucht aus der Einöde gefunden zu haben, doch alles kommt noch viel schlimmer...

Es ist fast unheimlich, wie treffend die Autorin die Figuren, insbesondere Christin, gezeichnet hat. Keiner der Charakter ist ein Sympathieträger, alle kämpfen mit ihrer Existenz oder sind schon gescheitert und haben den Kampf aufgegeben. Merkmale wie Ignoranz, Dummheit, Respektlosigkeit und mangelnde Liebe zum Leben und zu sich selbst gab die Autorin ihren Figuren mit und lässt sie in geballter Ladung auf den Leser los, so dass man beim Lesen keinen Abstand hat.
Und genau das fasziniert an diesem Roman. Trotz allen Schmutzes und der aufkeimenden Antipathie für Christin hofft man beim Lesen darauf, dass sie den Absprung schafft und ihr Leben in die Hand nimmt, weggeht und für sich einen neuen Anfang finden kann.

In dichter Sprache mit fast blitzlichtartigen Bildern und hohem Symbolgehalt treibt die Autorin den Leser fast atemlos durch den Roman. Rückblicke zur Vergangenheit gibt es nur als kleine Andeutungen und Episoden, manchmal glücklich, oft genauso verzweifelt und aussichtslos wie die Gegenwart. Dennoch zeichnet sich ein rundes und für mich recht vollständiges Bild von Christin und ihrer Umgebung.

Nach dem Zuklappen des Buches war ich fast etwas paralysiert und sehr froh, dass ich nicht in dieser Gegend Deutschlands aufgewachsen bin und nur darüber gelesen habe. Man merkt nicht, dass es sich um ein Debüt handelt. Handlungsstruktur, Dramatik und Sprache sind sehr gut durchdacht und künden von der Kraft, die in dieser Geschichte steckt. Mir hat das Buch ausgezeichnet gefallen, und wer keine Angst vor Blicken über den ordentlich-bürgerlichen Tellerrand hat, sollte diesen Roman unbedingt lesen.

Veröffentlicht am 16.02.2017

200 Milchkühe und doch kein Idyll

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„Sonnenlicht strahlt zwischen den Vorhängen ins Zimmer. Es ist vollkommen still. Ich hab geträumt, dass ich in Hamburg war, in einem riesigen Karussell immer im Kreis gefahren bin und über die gesamte ...

„Sonnenlicht strahlt zwischen den Vorhängen ins Zimmer. Es ist vollkommen still. Ich hab geträumt, dass ich in Hamburg war, in einem riesigen Karussell immer im Kreis gefahren bin und über die gesamte Stadt gucken konnte.“

Inhalt

Christin möchte so gerne weg, hinaus in ein freies, selbstbestimmtes Leben abseits der Einöde und Verantwortlichkeiten, die der heimische Bauernhof ihr tagtäglich auferlegt. Sie kauft sich teure Schminke, träumt sich in die Großstadt und steckt doch irgendwie fest – gefangen zwischen 200 Milchkühen und einer Landschaftsidylle, der sie rein gar nichts abgewinnen kann. Ihr langjähriger Freund Jan ist ein Bauernsohn und schon jetzt mit dem Hof verheiratet, so dass Christin mit offenen Augen nach einem neuen Partner Ausschau hält, einen, der ihr die Welt zeigt, der sie mitnimmt in ein anderes Leben. Als in ihrem Heimatort die Männer der Windkraftanlage auftauchen, stürzt sie sich voller Vergnügen in ein Abenteuer, dass sie teuer zu stehen bekommt. Denn die aufkeimende Hoffnung ihrerseits wird bitter enttäuscht, nicht ein anderer Mann kann sie mobilisieren, sondern allein ihre eigene Entschlusskraft, wenn sie diese denn aufbringt …

Meinung

Auf diesen Debütroman der jungen deutschen Autorin Alina Herbing bin ich aufmerksam geworden, nachdem ich viele begeisterte Leserstimmen in der Romane Challenge auf lovelybooks wahrgenommen habe. Vielleicht auch, weil ich persönlichen Bezug dazu habe und mittlerweile selbst auf dem Land lebe. Dass es sich hier nicht um ein Loblied auf die ländliche Idylle handelt, war mir bereits zu Lesebeginn bewusst und so konnte ich mich umso intensiver mit den Charakteren des Romans auseinandersetzen.

Die Autorin schafft hier ein kleines Meisterstück, dem man nicht anmerkt, dass es sich um ein Debüt handelt. In fast alltäglichen Situationsbeschreibungen lässt sie Menschen sprechen, die sich nicht mit ihrem Leben identifizieren. Sie schreibt nicht nur von Perspektivlosigkeit, nein sie schildert das mühevolle Leben mit schlecht bezahlten Jobs und daraus resultierender Kleinkriminalität. Sie beschreibt die Problematik des Alkoholismus nicht nur damit, dass man keinen Lebenssinn gefunden hat, sondern auch als Möglichkeit, sich von den tatsächlichen Problemen zu distanzieren. Und was mir besonders gefällt, ist die gewählte Ich-Erzählperspektive, die es möglich macht, zumindest zeitweise eine Hauptprotagonistin zu erleben, die kämpft. Die gegen ihr Leben rebellieren möchte, verzweifelt einen Ausweg sucht und sich doch verdrossen in die Alltagsroutine zwischen Kühe melken und Ernte einholen integriert. Ihre mutwilligen Sabotageakte wirken echt und lassen die zunehmende Verzweiflung ihrerseits zum Vorschein kommen.

Darüber hinaus gefiel mir die Aussage hinter der eigentlichen Handlung, die durchaus sehr tiefsinnig und bestimmend war. Ich mochte es, wie Frau Herbing einen Zusammenhang zwischen all den trübsinnigen Handlungen, den Exzessen, der generellen Lebenseinstellung und der Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln schafft. Damit wird ganz klar deutlich, dass man sich als unbeteiligter Dritter für Christin etwas Anderes wünscht, dass man aber auch einsieht, dass es im Leben nur dann vorwärts geht, wenn man selbst die Initiative ergreift und sich nicht in ein von außen vorgefertigtes Schema pressen lässt. Was für den einen die Erfüllung ist, grenzt für den anderen an absolute Sinnlosigkeit.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen Debütroman mit einer ungewöhnlichen, wenn auch nicht absonderlichen Thematik, der nicht nur das Landleben kritisiert, sondern den Leser sehr einfühlsam in das Innere seiner Protagonisten schauen lässt. Wer bereit ist, etwas über den Tellerrand zu schauen und sich von der Gutbürgerlichkeit zumindest während des Lesens trennen kann, erlebt interessante Ausflüge in ein Leben, welches man dennoch nicht geschenkt haben möchte.

Veröffentlicht am 26.01.2017

Auf der Suche nach einem besseren Leben

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„Niemand ist bei den Kälbern“ ist ein Buch, das mich auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt, sogar verstört hat. Hier hat die Autorin einen Nerv getroffen und das ist für mich ein Zeichen, dass Literatur ...

„Niemand ist bei den Kälbern“ ist ein Buch, das mich auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt, sogar verstört hat. Hier hat die Autorin einen Nerv getroffen und das ist für mich ein Zeichen, dass Literatur auch immer eine gesellschaftliche Relevanz hat.


Die Autorin erzählt vom Landleben, aber kein Idyll, wie es so gern verklärt von Zeitschriften und Büchern dargestellt wird, sondern harte ungeschminkte Realität. In einer Region, die von Landflucht, Verarmung und fehlender Infrastruktur geplagt wird, lebt Christin auf dem Milchhof von Jan und seinen Eltern in Mecklenburg-Vorpommern. Die Lebensumstände sind hart, niedrige Milchpreise, fehlende Perspektiven, tagtäglich ein Lebenskampf. Die Beziehung zu Jan ist geprägt von Lieblosigkeit und Misstrauen, sie bleibt dort, weil sie einfach keine andere Möglichkeit für sich sieht. Christin träumt von einem anderen Leben, aber antriebslos lässt sie sich treiben und wartet. Ihre innere Zerrissenheit ist schmerzhaft spürbar.

Es gibt kaum Figuren mit Empathie in diesem Buch, grade das macht die Lektüre so intensiv. Es zwingt mich dazu, mich mit Menschen auseinanderzusetzen, die so in meiner Lebenswirklichkeit nicht vorkommen. Alkoholmissbrauch, akzeptierte Kriminalität und das Fehlen von moralischen Leitlinien ist ein Ausdruck des Gefühls, abgehängt zu sein von einer lebenswerten Zukunft.


Die Hauptfigur, Christin, wurde mir im Lauf der Lektüre immer unsympathischer, erstaunlich, dass eine „Papierfigur“ diese Reaktion auslöste, für mich aber auch ein Beweis, wie gelungen Alina Herbing sie darstellte und wie genau sie beobachtet.


Das ist keine ländliche Idylle, das eine harte, raue Wirklichkeit, die in Sprache und Stil adäquat umgesetzt wurde.

Veröffentlicht am 30.01.2017

Bedrückendes Portrait mit Tiefgang

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"Niemand ist bei den Kälbern" ist das Debüt der Autorin Alina Herbing. Es handelt sich um die Studie einer jungen Frau, die aus der Ich-Perspektive von ihrem Leben auf dem Land berichtet. Leider handelt ...

"Niemand ist bei den Kälbern" ist das Debüt der Autorin Alina Herbing. Es handelt sich um die Studie einer jungen Frau, die aus der Ich-Perspektive von ihrem Leben auf dem Land berichtet. Leider handelt es sich hierbei nicht um das idyllische Landleben, wie es häufig idealisiert wird, sondern um die bittere Realität aus Perspektivlosigkeit und Überforderung.
Christin ist im Ort Schattin nicht nur aufgewachsen, sondern auch gestrandet und der Autorin gelingt es sehr gut, ihre Wahrnehmung und fehlende Perspektive einzufangen.
Als Leserin habe ich zu Beginn eine Eingewöhnungsphase benötigt, denn der Schreibstil ist sehr unverblümt und frei heraus. Durch die Ich-Perspektive werden auch nicht alle Zusammenhänge sofort deutlich.
Es schließt sich ein recht starker Mitteilteil an, in dem gerade psychologisch sehr viel passiert und die oft schockierenden Vorgänge wirklich unheimlich interessant beschrieben sind.
Der letzte Teil des Buches war für mich dann etwas zu dick aufgetragen: die Protagonistin verliert zunehmend die Kontrolle und die Ereignisse waren schockierend, wirkten aber teilweise für mich konstruiert.
Die schonungslose Sprache in diesem Roman fand ich teilweise interessant, zunehmend hatte ich jedoch auch die Vermutung, dass sie bewusst provokant eingesetzt wurde.
Zum Ende sollte sich jeder Leser seine eigene Meinung bilden. Es passte für mich zwar, ich hätte mir aber mehr Eindeutigkeit gewünscht.

Ein insgesamt beachtenswertes Debüt mit einigen Schwächen, daher für mich solide 3 Sterne.