INHALT:
Tom und Anna haben das Schlimmste erlebt, was sich Eltern vorstellen können: Ihre 13-jährige Tochter Julie wurde entführt, alle Suchaktionen waren vergebens, die Polizei hat den Fall längst zu den Akten gelegt. Acht Jahre später taucht plötzlich eine junge Frau auf und behauptet, die vermisste Tochter zu sein. Die Familie kann ihr Glück kaum fassen. Doch schon bald spüren alle, dass die Geschichte der Verschwundenen nicht aufgeht. Anna hegt einen furchtbaren Verdacht. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit über die junge Frau, von der sie inständig hofft, dass es ihre Tochter ist, die ihr gleichzeitig aber auch fremd erscheint und das gesamte Familiengefüge gefährlich ins Wanken bringt …
MEINUNG:
Auf dem Buch steht „Roman“, aber es mehr als nur ein Roman. Es als Thriller einzuordnen ist vielleicht auch nicht richtig, aber von einem psychologischen Spannungsroman kann man hier definitiv reden. Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt.
Der Haupterzählstrang wird von Anna, der Mutter von Julie, in Ich-Form erzählt. Hinzu kommt dann noch die Sicht von Julie. Nach dem ersten Kapitel aus Julies Sicht, dachte ich eigentlich bereits alles zu wissen und vor allem auch zu wissen in welche Richtung die Geschichte gehen wird. Ich war fast ein wenig enttäuscht, aber umso weiter ich gelesen habe, desto mehr merkte ich, wie ich mich getäuscht habe. Die Autorin führt uns immer wieder aufs Glatteis. Mal ist man sich ganz sicher, dass dieses zurück gekehrte Mädchen auf keinen Fall Julie sein kann und ein anderes Mal säht sie wieder durch einen Halbsatz Zweifel. Es erinnert mich ein wenig an die Romane von Melanie Rabe. Amy Gentry weiß genau, welche Knöpfe sie beim Leser drücken muss.
Es ist kaum zu glauben, dass es sich hier um einen Debütroman handelt, denn sie Schreib- und Erzählweise der Autorin hat mich schwer begeistert. Ich mochte es sehr, wie sie Dinge formuliert hat und damit von einer typischen linearen Erzählweise abgewichen ist. Sie transportiert, durch ihre Erzählweise auch ganz viel zwischen den Zeilen, vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene. Die Autorin macht wunderbar deutlich, dass wir häufig, von Menschen, die wir lieben, ein Bild haben, welches mehr Illusion als Realität ist und das man irgendwann die Augen öffnen muss.
Völlig eindrucksvoll zeichnet die Autorin auch das Bild der Familie. Tom und Anna sind noch verheiratet, aber man merkt, dass die Familie nach Julies Verschwinden nicht mehr dieselbe war. Man kann schon sagen, dass sie ein Stück weit auch den Zugang zueinander verloren haben, in dem sie der anderen Person nicht zu nahe treten wollten oder bzw. auch einfach nicht nachgefragt haben. Besonders darunter gelitten hat Jane, Julies jüngere Schwester, die die Entführung aus dem Schrank heraus verfolgt hat. Man spürt, dass sie mit dieser „Schuld“ versucht zu leben, aber trotzdem auch gesehen werde möchte, nachdem Julies Verschwinden so ein Loch in die Familie gerissen hat. Ein Loch, welche tagtäglich spürbar ist und fast greifbar ist. Anna mochte ich sehr gerne. Ich habe sie einerseits als stark, aber andererseits auch an den richtigen Stellen als verletzlich wahrgenommen. Man spürt ihre Unsicherheit gegenüber der Rückkehr von Julie, aber sie steht trotz Zweifel immer hinter Julie. Selbst als die Zweifel am größten sind, steht sie für sie ein.
Das Buch ist auch nichts für Zartbesaitete. Es gab Stellen, da musste ich wirklich durchatmen und schlucken. Amy Gentry beschönigt nichts und genau damit erzeugt sie eine ungeheure Intensität. Sie schafft es immer wieder, dass man mitfühlt, dass man schockiert ist und dass man einfach hofft, dass doch jetzt endlich alles gut werden möge.
FAZIT:
Für mich ist das Buch ein absoluter Pageturner, der gleichzeitig einen hohen Spannungsbogen hält, aber auch viel Tiefgang aufweist. Die Autorin schafft es, den Leser fast jedes Mal aufs Neue in die Irre zu führen, so dass man am Ende an allen Theorien zweifelt. Für mich ein grandioses Debüt, dass sehr gerne weiter empfehlen möchte.
Ich vergebe 5 von 5 Sternen.