Es brennt!
T.C. Boyles Romane greifen häufig aktuelle wissenschaftliche und gesellschaftlich drängende Themen auf wie z.B. Migration („America“), die Besiedlung des Mars („Terranauten“) oder Tierversuche („Sprich ...
T.C. Boyles Romane greifen häufig aktuelle wissenschaftliche und gesellschaftlich drängende Themen auf wie z.B. Migration („America“), die Besiedlung des Mars („Terranauten“) oder Tierversuche („Sprich mit mir“). Doch in seinem neuen Werk „Blue Skies“ behandelt er nun ein Problem, das im wahrsten Sinne des Wortes brennender nicht sein könnte: den Klimawandel und dessen Konsequenzen für Mensch und Natur.
Die Handlung spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft in den USA. Während es in Kalifornien aufgrund des drastischen Temperaturanstiegs und der vom wolkenfreien Himmel glühenden Sonne brennt, kämpft die Bevölkerung Floridas mit Überschwemmungen und Hurrikans. Inmitten dieser klimatischen Dystopie findet sich die Familie Cullen wieder, in der Sohn Cooper das Verhalten seiner Eltern und seiner Schwester gegenüber der Natur kritisiert und scheinbar als einziger die Bedrohungen der Umwelt wahrnimmt.
Schockierend ist dieser grandiose und brandaktuelle Roman vor allem aufgrund der Tatsache, dass die dystopische Handlung in eine nahe Zukunft versetzt wird, die vom Autor äußerst realistisch dargestellt ist. Viele der angesprochenen Erneuerungen oder Erfindungen gibt es so bereits und dürften in den kommenden Jahren immer alltäglicher werden, wie etwa das Essen von Insekten oder Elektroautos mit Solardächern. Doch ebenso wie die positiven Innovationen realistisch anmuten, sind es auch die katastrophalen klimatischen Veränderungen, die der Autor eindringlich beschreibt. Das gelingt ihm so gut, dass man die Hitze der sengenden kalifornischen Sonne oder die schwülfeuchte Luft in Florida beim Lesen fast schon fühlen kann.
Und obwohl es bereits „brennt“, scheinen die meisten Protagonisten im Roman die warnenden Anzeichen der klimatischen Apokalypse zu ignorieren. Sie ändern kaum oder nur innerhalb ihrer persönlichen Komfortzone ihren Lebensstil. Die Kalifornier nehmen mehr oder weniger naiv das schöne Wetter und den strahlend blauen Himmel wahr und Schwester Cat, die in Florida lebt, sieht die Natur eher als Spielzeug und verkennt, dass die Umwelt nicht nach Belieben vom Menschen dressiert werden kann. Es rüttelt bei der Lektüre auf, dass man sich teilweise in den Handlungen der Charaktere wiedererkennt und realisiert, dass man selbst auch schon längst hätte anfangen müssen, etwas gegen den Klimawandel zu tun und die Bedrohung ernster zu nehmen. T.C. Boyle erschafft dieses hohe Identifikationspotenzial in „Blue Skies“ nicht nur thematischer, sondern auch in literarischer Hinsicht, indem er die Leser in einer Art „Stream of Consciouness“ direkt in die Köpfe, Gedanken und Gefühle der Protagonisten schauen lässt. So wird wie bereits oben erwähnt, nicht nur die Natur sehr plastisch beschrieben, auch die Romanfiguren wirken sehr lebensecht und lassen die Leser das Geschehen hautnah mitfühlen.
T.C. Boyle macht in seinem Roman deutlich, dass zwar die Natur mit all ihren Gewalten, sei es Feuer, Wasser, Wind oder die Fauna, eine Bedrohung für die menschliche Existenz darstellt. Aber ebenso ist der Mensch eine Bedrohung für die Umwelt und hat die dramatischen Konsequenzen seines Eingreifens in die Natur selbst zu verschulden. Beispielhaft lässt sich das am Thema „Insekten“ veranschaulichen, die zum einen im Roman als Fleischersatz eine Nahrungsgrundlage der Zukunft sind und somit Überleben sichern, andererseits aber die Menschen durch Krankheiten „vernichten“ können. Sie sind scheinbar klein und unbedeutend, können sich aber bereits über Millionen oder Milliarden von Jahren auf der Welt behaupten. Dagegen scheint die menschliche Existenz nichtig und sein Anspruch, die Krone der Schöpfung zu sein, arrogant. Als Fazit ließe sich ein Songtitel von Björk mit einer Ergänzung anführen: „Nature is ancient – humans not.“ Die Natur schlägt zurück.
Meiner Meinung nach hat T.C. Boyle mit „Blue Skies“ seinen wichtigsten, da so brandaktuellen Roman geschrieben. Sowohl literarisch als auch thematisch fesselt die Lektüre und schockiert zugleich. Eindringlich führt der Autor vor Augen, dass die Natur erbarmungslos zurückschlägt und wir die warnenden Anzeichen nicht länger ignorieren oder verdrängen dürfen, wie es die Charaktere im Roman tun, wenn wir die Dystopie in „Blue Skies“ nicht Realität werden lassen wollen. Wohin es führen kann, wenn man nur eitel Sonnenschein und den blauen, wolkenlosen Himmel sieht und entgegen aller Vernunft die Fassade eines scheinbar normalen Lebens aufrechterhält, zeigt sich anhand der Schicksale der Familie Cullen und all ihrer Mitmenschen. Ich brenne für diesen Roman und empfehle ihn unbedingt zu lesen!