Eine gelungene Mischung aus klassischem Märchen und moderner Phantastik
Ich bin ein großer Fan von Märchenadaptionen und da die Bücher von Christian Handel schon längere Zeit auf meiner Wunschliste stehen, habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und mir ein Exemplar ...
Ich bin ein großer Fan von Märchenadaptionen und da die Bücher von Christian Handel schon längere Zeit auf meiner Wunschliste stehen, habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und mir ein Exemplar seiner brandneuen düster-atmosphärischen Neuerzählung des Märchens „Rumpelstilzchen“ angefragt. "Schattengold" ist eine gelungene Mischung aus klassischem Märchen und moderner Phantastik - Christian Handel füllt hier das bekannte Handlungskonstrukt mit neuen Ideen und hat mir damit schauerlich-schöne Lesestunden bereitet.
Zunächst wie immer einige Worte zum Cover. Zu sehen ist die schwarz-goldene Silhouette einer Frau in wallendem Kleid vor einem staubig-grauen Hintergrund. Im Vordergrund ragen knorrige Äste und dünne Klauen scherenschnittartig ins Bild und geben der Szenerie zusammen mit dem goldenen Vollmond und den Spinnennetzen einen schaurigen Touch. Die Motive - der Mond, die Äste und Spinnennetze - lassen sich auch innerhalb des Buches an den Kapitelanfängen finden und ziehen sich über den Farbschnitt meiner limitierten Ausgabe hinweg. Neben dem Buch hat mir der Verlag passend zum Buch goldene Schokoladenmünzen, ein Lavendelkissen und Postkarten mitgesendet. Das "Feengold" wurde gleich verspeist, das Lavendelkissen liegt nun auf meinem Nachttisch, um mich vor dem Dunklen Volk zu beschützen. Insgesamt gibt´s also einen Daumen hoch für die Gestaltung!
Erster Satz: "Der Geist meiner Mutter lebte an einem kleinen Weiher mitten im Firnwald, direkt an der Grenze zum Feenreich."
Christian Handel erzählt in "Schattengold" aufgeteilt in zwei Teile, wie die junge Müllerstochter Farah beschuldigt wird, Feengold zu besitzen, vor die Königin zitiert wird und als Wiedergutmachung ihre "goldenen Hände" dazu einsetzen muss, Stroh zu Gold zu spinnen. Da sie selbst diese Gabe nicht besitzt, muss sie sich Hilfe aus dem Feenreich holen und geht dafür drei schicksalshafte Handel mit einem dunklen Feenwesen ein, die sie schon bald bereuen wird... Mit diesem kurzen Rundumschlag ist schon klar, dass die Handlung in groben Zügen dem klassischen Märchen um Rumpelstilzchen folgt. Der Verlauf der Geschichte sowie einige Schlüsselszenen werden einem beim Lesen also nicht neu erscheinen. Der Autor füllt das bekannte Handlungskonstrukt jedoch mit neuen Ideen und Abwandlungen und kleidet das stereotype Märchenschema mit Details zum Setting sowie eine genaue Charakterzeichnung aus, sodass ein mitreißendes Gesamtbild entsteht.
"Über mich gebeugt stand das Wesen aus dem Wald, der Spinnenmann. Groß und hager, die knochigen Gliedmaßen an den Gelenken seltsam verdreht, als sei er ein zum Leben erwachter Baum. Seine Augen leuchteten gespenstisch. "Erinnerst du dich", flüsterte das Wesen, ohne seine Lippen zu bewegen. Ich war mir nicht sicher, ob ich seine Stimme mit den Ohren oder nur mit dem Kopf hörte. "Farah...?"
Das Worldbuilding ist dabei eher zurückhaltend gestaltet, wir lernen jedoch ein menschliches Königreich, dessen südlicher Nachbar und die zweigeteilte Feenwelt im Firnwald kennen. Vor allem die Beziehungen zwischen den Menschen und dem Lichten und dem Dunklen Volk bieten viele Kontraste und Konflikte, welche als Hintergrund für dieses Märchen sehr spannend sind. Auch das Magiesystem ist eher minimalistisch erklärt und bis zum Ende bleibt lange Zeit unklar, welche Art von Magie Farah nun eigentlich besitzt, welche Rolle ihre Ziehmutter Berit spielt und in welcher Beziehung sie zu den Feen steht. Diese geheimnisvolle Unklarheit war für mich der Hauptspannungsgeber der Geschichte und trägt zur tollen Atmosphäre des Romans bei.
"Winzige Spinnen huschten über den Stein. Wie poliertes Ebenholz glänzten ihre fingernagelgroßen Leiber in der Dunkelheit. Es mussten Dutzende sein, Hunderte, die durch das Fenster hineinströmten. Vor dem Zinnteller teilte sich der Strom, ehe er sich auf der anderen Seite wieder zusammenfand. Die Spinnen erinnerten an eine Armee tierischer Soldaten und sie waren auf dem Weg zu... mir. "Farah", flüsterte die Stimme des Monsters hinter mir, und ich wirbelte so schnell herum, dass mir schwindelig wurde."
Apropos Atmosphäre... Wir lesen hier von Pilzgnomen, Geistern im Wasser, verbotenem Feengold, blutenden Wäldern, brennenden Katzen und einem geheimnisvollen Mann ohne Namen auf einer einsamen Lichtung. Zieht man von der so entstehenden Märchenatmosphäre noch den Kitschfaktor ab und addiert den dezentem Horroreinschlag dazu, erinnert die Geschichte stark an einen Tim-Burton-Film: mystisch, gruselig, romantisch und verträumt zu gleich - eben durch und durch märchenhaft! Zum Leben erweckt wird diese Mischung durch den Schreibstil von Christian Handel, der genau wie in seinem Handlungskonzept moderne Sprache mit altertümlicher mischt. Besonders das Ende hat mich sehr verzaubert und auch überrascht, sodass ich seine anderen Märchenadaptionen definitiv weiterverfolgen werde - besonders "Becoming Elektra" und "Rowan & Ash" stehen schon länger auf meiner Wunschliste.
"In meinem Reich kennt man keine Namen", sagte die Mottenfrau. Sie drehte sich schneller und schneller, und mit jeder Drehung stiegen mehr Falter von ihrem Kleid auf und bildeten um sie herum eine Wolke. "Wenn er einen Namen besaß, dann in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben", rief sie über das Pfeifen des Windes hinweg. "Wenn er einen besaß, so ist er lange vergessen. Nicht einmal mehr die Knochen und Steine erinnern sich an ihn. Und selbst das Dunkel Volk besitzt nicht die Macht, in der Zeit zurückzureisen und einen verlorenen Namen zu finden."
Mein einziger Kritikpunkt an "Schattengold" ist, dass die Geschichte mit etwa einem Jahr eine recht große Zeitspanne abdeckt und zwischen dem ersten Teil mit dem Handel um das gesponnene Gold und dem etwa neun Monate späteren zweiten Teil mit dem Showdown im Feenwald alles wie im Zeitraffer abzulaufen scheint. Das beeinflusst die Liebesgeschichte, aber auch die Figuren, die sich sehr schnell entwickeln und dabei auch einige Sprünge machen, die man ich nicht ganz nachfühlen konnte. Darunter leiden in meinen Augen besonders die Nebenfiguren, welche allesamt sehr interessant gestaltet sind, aber zum Teil bloß Hilfsfiguren der Hauptperson bleiben. Vor allem Prinz Magnus, die geheimnisvolle Berit und Farahs queerer Bruder Thomas hätten noch mehr Potenzial gehabt, das durch die beiden temporeichen Handlungsblöcke und dem großen Zeitsprung dazwischen allerdings nicht genutzt werden konnte.
"Manchmal geht es nicht darum, dass wir Angst haben", sagte ich leise. "Sondern darum, dass wir trotz dieser Angst tun, was nötig ist."
Auch Tierfiguren wie ein Waschbär und eine Eule kommen hier vor, was ich sehr süß und in diesem Märchensetting passend fand. Ich habe allerdings bis zum Ende darauf gewartet, das aufgelöst wird, was es mit den beiden auf sich hat, und war etwas enttäuscht, als die beiden einfach Tiere blieben. Dafür macht dann unterm Strich aber die Hauptfigur Farah wieder wett, die mir als starke Heldin sehr gut gefallen hat. Den Sprung zum Highlight hat "Schattengold" also haarscharf verpasst, eine ausdrückliche Leseempfehlung mag ich aber trotzdem aussprechen!
Fazit:
"Schattengold" ist eine gelungene Mischung aus klassischem Märchen und moderner Phantastik - Christian Handel füllt hier das bekannte Handlungskonstrukt mit neuen Ideen und hat mir damit schauerlich-schöne Lesestunden bereitet.