Tiefsinnige Beschäftigung mit dem eigenen Leben
Die Mitternachtsbibliothek ist der erste Roman, den ich von Matt Haig gelesen habe und schon nach den ersten Kapiteln war ich begeistert. Nora Seed hat keinen Grund mehr zu leben, ihre Katze ist tot, ihr ...
Die Mitternachtsbibliothek ist der erste Roman, den ich von Matt Haig gelesen habe und schon nach den ersten Kapiteln war ich begeistert. Nora Seed hat keinen Grund mehr zu leben, ihre Katze ist tot, ihr Job ist weg, sie hat keine Freunde und auch keinen Kontakt zu ihrem Bruder. Also beschließt sie, das Ende herbeizuführen. Doch so einfach ist es nicht: Sie kommt in ihre persönliche Zwischenwelt - die Mitternachtsbibliothek. Dort kann sie mit Hilfe ihres "Engels" in Form der alten Schulbibliothekarin alle möglichen Leben ausprobieren, die hätten eintreten können. Macht sie eins davon glücklich?
Ich bin wirklich begeistert von der Tiefgründigkeit des Buches: alle Leben, die man hätte leben können, auszuprobieren. Das ist schon ein faszinierender Gedanke. Klar ist, dass nicht alle Leben glücklich verlaufen und dass muss die Protagonistin am eigenen Leib erfahren. Eigentlich ein ganz tröstlicher Gedanke: So toll, wie man es sich immer vorgestellt hat, ist es dann doch gar nicht. In jedem Leben gibt es etwas, das nicht funktioniert und Nora kann das am eigenen Leib erfahren.
Ich finde es auch ganz interessant, dass sie einen Gleichgesinnten trifft, einen Mann, der ebenfalls alle möglichen Leben probiert. Doch schon da wird deutlich, dass es gar nicht einfach ist, das perfekte Leben zu finden. Auch Nora erfährt das am eigenen Leib. Zu Beginn werden die Leben noch ausführlich beschrieben. Im Verlauf sind es nur noch eine Aneinanderreihung von Sätzen, nichts scheint besonders genug zu sein. Mehrfach gerät die Bibliothek ins Wanken, Nora ist unentschlossen: Will sie so weitermachen? Gibt es ein gutes Leben für sie? Ich finde es sehr gut, dass auch alle möglichen negativen Emotionen von der Protagonistin erlebt werden (Angst, Zweifel, Wut). Auch, dass sie selbst ins Grübeln und Nachdenken kommt ist klasse. Sie entwickelt sich so sehr weiter und hinterfragt sich und ihr bisherigen Leben.
Das Ende war für mich vorhersehbar, denn das ist die Moral von der Geschichte (hier aber kein weiterer Spoiler). Dennoch war es schön, den Weg von Nora mitzuverfolgen und für mich selbst den Gedanken zu fassen: "Mein Leben ist toll, so wie es ist - mit allen Ecken und Kanten - denn nicht perfekt sein ist menschlich."