Cover-Bild Die Gabe
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16,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Heyne
  • Themenbereich: Belletristik - SciFi: Nahe Zukunft
  • Genre: Fantasy & Science Fiction / Science Fiction
  • Seitenzahl: 480
  • Ersterscheinung: 12.02.2018
  • ISBN: 9783453319110
Naomi Alderman

Die Gabe

Roman
Sabine Thiele (Übersetzer)

Wenn Ohnmacht zur Macht wird - die Zukunft gehört den Frauen

Es sind scheinbar gewöhnliche Alltagsszenen: ein nigerianisches Mädchen am Pool. Die Tochter einer Londoner Gangsterfamilie. Eine US-amerikanische Politikerin. Doch sie alle verbindet ein Geheimnis: Von heute auf morgen haben Frauen weltweit die Gabe – sie können mit ihren Händen starke elektrische Stromstöße aussenden. Ein Ereignis, das die Machtverhältnisse und das Zusammenleben aller Menschen unaufhaltsam, unwiederbringlich und auf schmerzvolle Weise verändern wird.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.07.2018

lesenswert, mit Vorbehalt

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Eingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige ...

Eingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige Verdrehung unserer Realität. In den Briefen wird klar, dass die Welt der fiktiven Autoren unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verdreht entwickelt hat. Frauen sind stark, hart, dominierend, Männer weich, zurückhaltend, unterdrückt. So interessant das Gedankenspiel auch ist, fand ich schon hier beklemmend, dass diese Methode die Unterschiede, die unsere Welt zwischen den Geschlechtern annimmt, tatsächlich verstärkt. Die „Verdrehung“ lässt uns sofort aufhorchen, die binären Zuschreibungen ploppen geradezu auf und ordnen die Verhältnisse in zwei Lager.
Die Handlung des Romans berichtet von verschiedenen Frauenfiguren, die allesamt ihre persönlichen Erfahrungen durch männliche Unterdrückung gemacht haben. Vergewaltigungen, körperliche Gewalt, politische Macht – geradezu stereotypisch wird die Frau dabei zum Opfer klassifiziert, der Mann zum Bösen. Der einzige männliche Part auf Protagonistenseite ist der „rasende Reporter“, der selbstgemachte Investigativjournalist, der in der plötzlichen „übernatürlichen“ Fähigkeit der Frauen sofort seine Chance sieht. Diese Fähigkeit besteht darin, elektrische Impulse auszusenden. Von kleinen Funken bis hin zu tödlichen Stromstößen, von manipulierenden Effekten bis zur regelrechten Folter. Eine biologische Erklärung wird nachgeliefert.
Was anfänglich vor allem dazu genutzt wird, der Unterdrückung und Gewalt von Männern zu entkommen, gerät natürlich außer Kontrolle. Statt einem Umdenken erfolgt, was in den Briefen eigentlich schon angedeutet war, der Umwurf. A ist nun B, Frauen übernehmen die politische Macht, die militärische, sogar die sexuelle. Bedenken wir, dass damit gleichzeitig impliziert wird, dass eben diese Macht eigentlich eine „männliche“ ist, wird auch klar, wo mein Problem mit dem Buch liegt. Statt Balance wechseln von Beginn an Extreme und die Darstellung selbst verleiht Frauen in der Realität per se die Rolle von unterdrückten, misshandelten Opfern.
Dabei zeigt der Roman nichts weiter als den großen Topos „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“ (ja, das sagte ein Mann, der Onkel von Peter Parker, aber genau darum geht es hier eben). Die Versuche, mit der neuen „Gewalt“ umzugehen und daraus Resultate zu erzeugen passen in die weltlichen Regeln, die wir kennen. Doch auch das Entstehen von neuen Religionen passt nach meinem Verständnis zum Umgang der Menschen mit Unbekannten. Im Fokus stehen dabei tiefe Psychologisierungen von Figuren. Das erzeugt nicht nur Nähe, sondern auch immer wieder viel Spannung. Der Handlungsverlauf spitzt sich immer wieder zu bis zu einem wahren Crescendo, das gleichzeitig viel verhüllt und doch so viel aussagt.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Gute Geschichte mit viel Luft nach oben

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Nachdem bereits so viele Blogger von "Die Gabe" geschwärmt haben und das Buch immer wieder mit "Der Report der Magd" von Margaret Atwood verglichen wurde, hatte ich sehr hohe Erwartungen an die Geschichte. ...

Nachdem bereits so viele Blogger von "Die Gabe" geschwärmt haben und das Buch immer wieder mit "Der Report der Magd" von Margaret Atwood verglichen wurde, hatte ich sehr hohe Erwartungen an die Geschichte. Letztendlich konnten diese zwar nicht gänzlich erfüllt werden, allerdings hat mir die Geschichte dennoch insgesamt gut, wenn auch nicht überragend, gefallen.

"Die Gabe" ist anspruchsvoll, besitzt stellenweise sehr brutale Szenen, liest sich aber dennoch flüssig und spannend, sodass ich nur so durch die Seiten geflogen bin. Die Dialoge sind gut ausgearbeitet, gleiches gilt für die Figuren, die man ausreichend kennen lernt und mit denen man durchaus mitfühlen kann - auch wenn diese durchaus mehr Tiefe benötigt hätten.

Die Geschichte ist dabei schnell zusammengefasst: Nachdem auf der Welt die Männer schon immer die Oberhand hatten und stets bevorzugt wurden, wird der Spieß schlagartig umgedreht, denn plötzlich entdecken weltweit Frauen und junge Mädchen, dass sie plötzlich mit Gaben gesegnet sind, die ihnen nicht nur Macht verleihen, sondern sogar tödlich sei können. Dadurch merken die Frauen, dass sie mittlerweile die Oberhand haben und eine Welt nach ihren Vorstellungen schaffen können, ohne dabei unterdrückt zu werden. Dabei werden auch einzelne Schicksale thematisiert, die mich berühren, aber auch zum Nachdenken angeregen konnten.

Wenn man bedenkt, wie stark derzeit Debatten rund um das Thema "MeToo" abgehalten werden, kommt dieses Buch gerade recht, denn dieses fasst das Problem, dass Frauen in einigen Teilen der Welt nach wie vor unterdrückt werden, perfekt zusammen, gleichzeitig wird das Thema Gleichberechtigung aber ebenfalls angeschnitten, was mir gut gefallen hat. Zwar ist die Geschichte insgesamt brutaler und gewalttätiger, als ich zuvor erwartet habe, allerdings befinden sich diese Szenen noch durchaus im Rahmen.

Dennoch muss ich sagen, dass die Geschichte nicht so gut ist, wie ich es zuvor erhofft habe. Sie ist zwar an sich gut geschrieben und besitzt viele gute und spannende Momente, allerdings hat mir insgesamt das gewisse Etwas gefehlt, was ich sehr schade finde. Hier hätte man ein noch besseres Bild der Gesellschaft aufbauen und zudem den Figuren noch mehr Tiefe verleihen können. Dennoch: Die Geschichte ist gut, auch wenn der ganz große Kracher ausgeblieben ist.

Das Cover wirkt auf den ersten Blick schlicht, kann mich allerdings dennoch insgesamt überzeugen, da ich die Hand und die Verzweigungen für sehr gelungen halte. Auch die Kurzbeschreibung konnte mich direkt überzeugen, sodass ich dem Buch sehr gerne eine Chance gegeben habe.

Kurz gesagt: "Die Gabe" ist insgesamt eine gute und spannende Geschichte, die perfekt in die derzeitige MeToo-Debatte passt und dabei oftmals mit sehr brutalen Szenen daherkommt. Zwar bin ich der Meinung, dass man hier noch mehr hätte rausholen können und die Figuren etwas mehr Tiefe gebraucht hätten, allerdings ist die Geschichte doch insgesamt gut gelungen, sodass ich diese nur empfehlen kann.

Veröffentlicht am 18.02.2018

Die Gabe, ein Segen oder Teifelswerk ?

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Inhalt :

Schlagartig ändern sich die Zeiten, auf der ganzen Welt entwickeln Frauen eine Besonderheit, durch ihren Händen fliest Elektrizität. Zunächst zeigt sich dieses Phänomen nur bei Jugendlichen, ...

Inhalt :

Schlagartig ändern sich die Zeiten, auf der ganzen Welt entwickeln Frauen eine Besonderheit, durch ihren Händen fliest Elektrizität. Zunächst zeigt sich dieses Phänomen nur bei Jugendlichen, doch diese können die Gabe bei anderen Frauen erwecken. Rasant verbreitet sie sich und Männer leben in ständiger Gefahr verletzt oder sogar getötet zu werden.

Meinung :

Puh, das Buch ist schon eine Nummer , ich war selten bei einem Buch so verwirrt und schockiert gleichermaßen. Die Geschichte wird aus verschiedene Sichtweisen erzählt , die unterschiedlicher nicht sein könnten. Allie, das Waisenkind, Jocelyn, die Tochter der Bürgermeisterin ( wobei ihre Mutter Margot , mehr Platz in der Geschichte einnimmt) , Roxy, die Tochter eines Mafiosos und Tunde, der einzige Mann der zu Wort kommt. Am besten haben mir die Passagen von Roxy und Tunde gefallen . Roxy ist skrupellos und weiß um ihre Kraft, sie zwingt jeden in die Knie , doch bei ihr merkt man eine starke Wandlung . Tunde ist unglaublich mutig, trotz der Gefahr , die von den Frauen ausgeht, versucht er alles zu dokumentieren. Ich fand seine Sicht der Dinge super spannend . Auf einmal sind Männer nichts mehr wert, sie werden erniedrigt , brutal vergewaltig und danach getötet . Beim lesen musste ich schon das eine und andere mal schlucken, die Vorstellung solch ein Leben zu führen ist gruselig. Das die Männer versuchen eine Rebellion anzuzetteln ist mehr als verständlich.

Ist solch ein Machtverhältnis wirklich vorstellbar ? Ich hoffe nicht, das Buch zeigt einmal mehr wie wichtig die Gleichberechtigung ist. Auf der anderen Seite, gibt es immer noch Länder, in denen man als Frau nicht viel wert ist.

Der Schreibstil ist wirklich sehr gut , ich habe das Buch innerhalb von 2 Tage gelesen. Ab und zu findet man kleine Zeichnungen von Apparaten oder Statuen , ich habe leider nicht ganz verstanden wozu diese dienen soll ? Vielleicht kann mich da ein anderer Leser aufklären . Das Buch ist sehr authentisch geschrieben, was ich wirklich irre fand.

Das Cover gefällt mir sehr gut.

Fazit :

Eine Welt wie ich sie mir nicht vorstellen möchte, ich denke es wäre nicht verkehrt das Buch noch einmal zu lesen .

Veröffentlicht am 23.07.2017

Ein nachdenklicher stimmender Gender-Roman, der uns schonungslos den Spiegel vorhält

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Überall auf der Welt entdecken Mädchen und Frauen, dass eine besondere Kraft / Gabe in ihnen erwacht. Sie können ohne weitere Hilfsmittel, nur mit der Kraft ihrer Hände, ihres Körpers, schmerzhafte Stromstöße ...

Überall auf der Welt entdecken Mädchen und Frauen, dass eine besondere Kraft / Gabe in ihnen erwacht. Sie können ohne weitere Hilfsmittel, nur mit der Kraft ihrer Hände, ihres Körpers, schmerzhafte Stromstöße senden.
Es fängt parallel an mit Allie, einem Mädchen aus einer Pflegefamilie in den USA, das eine schwierige Kindheit hat, mit Roxy aus einer Gangsterfamilie in London und mit Mädchen im Umfeld des jungen Mannes Tunde, der sich journalistischer Arbeit verschrieben hat. Im Laufe der Zeit greift die „Power“ immer weiter um sich und führt zu einer deutlichen Umkehr der Machtverhältnisse in der Gesellschaft, in der es Männer zunehmend schwerer haben. Sie müssen sich in einigen Ländern der Welt gegen Diskriminierung wehren, während sich die weltweite politische Lage weiter zuspitzt.

Der Roman „The Power“ von Naomi Alderman ist keine leichte Kost.
Die Geschichte wechselt in der Sichtweise zwischen den einzelnen handelnden Personen, d.h. es werden Kapitel aus der Sicht von Allie, Roxy und Tunde erzählt, sowie aus der Sicht der amerikanischen Politikerin Margot und ihrer Tochter Jocelyn.
Die Erzählweise ist sehr dicht und verlangt konzentriertes Lesen. Es ist kein Buch, das man zwischendurch zur Entspannung „weglesen“ kann.
In der Art und Weise, wie die Autorin die aktuelle Genderthematik aus unserer Gesellschaft aufgreift und uns durch eine schockierende Umkehr extremer Diskriminierungen zwischen Frauen und Männern einen Spiegel vorhält, ist der Roman extrem aufrüttelnd. Durch die sehr subtile und doch krasse Konstruktion wird man zum Nachdenken angeregt und hinterfragt manche Aufteilung von Rollen der Geschlechter, die uns zum Teil selbstverständlich erscheinen.
Die Handlung ist selbstverständlich vollkommen fiktiv.

Aus meiner Sicht ein guter und aufrüttelnder Roman zu einem wichtigen Thema, der zu Recht den „Baileys‘ Women’s Prize for Fiction“ 2017 erhalten hat.

(Ich habe den Roman in der englischen Originalausgabe gelesen.)

Veröffentlicht am 16.08.2023

Geniale Grundidee, aber man hätte so viel mehr daraus machen können!

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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Auf der ganzen Welt entwickeln Mädchen und Frauen plötzlich die „Gabe“, sie können mit ihren Händen starke Stromstöße abgeben und sind auf einmal das körperlich stärkere ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Auf der ganzen Welt entwickeln Mädchen und Frauen plötzlich die „Gabe“, sie können mit ihren Händen starke Stromstöße abgeben und sind auf einmal das körperlich stärkere Geschlecht. Wie wird das die Welt, die Gesellschaften und die Machtverhältnisse verändern?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präsens
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang

Inhaltswarnung: Tod von Menschen, explizite Gewalt, Blut, Drogenmissbrauch, sexualisierte Gewalt (bis Vergew+ltigung, Missbrauch von Minderjährigen), Tod von Tieren, Tierversuche, Tierquälerei, Menschenhandel, Sexismus, Misogynie, Operationen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schl+mpe, Fo+++ (mehrmals), H+re,

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- Feminismus
- Gesellschaftskritik
- historical fiction (= fiktive Geschichte)
- Gedankenexperimente
- viele verschiedene POVs (dt. Perspektiven / Sicht)
- schonungslose Brutalität
- nüchterner Schreibstil

Meine Rezension

„Abertausende von Lichtpunkten senden eine neue Botschaft aus. Wenn sich die Menschen verändern, kann der Palast nicht standhalten. Denn so steht es geschrieben: ‚Der Blitz ruht in ihrer Hand, und sie befiehlt ihm einzuschlagen.‘“ Seite 7

Als ich vor vielen Jahren den Klappentext von „Die Gabe“ gesehen habe, wusste ich sofort, dass ich es lesen musste. Beim ersten Versuch habe ich das Buch schon nach wenigen Seiten weggelegt, weil ich einfach nicht reingekommen bin. Doch da es mir immer wieder mit einem gewissen Nachdruck empfohlen wurde und auch vor kurzem die dazugehörige Serie auf Prime erschienen ist, war diesen Sommer der perfekte Zeitpunkt für eine zweite Chance. Dieses Mal habe ich es dann auch wirklich durchgezogen. Doch hat sich das denn gelohnt? Von mir gibt es ein klares… JEIN.

Was hat mir denn gefallen? Begeistert haben mich hier die kreative Grundidee, das Worldbuilding und die philosophischen Fragen, die immer wieder gestellt werden und mich zum Nachdenken gebracht haben: Wie würde es Gesellschaften auf der ganzen Welt verändern, wenn plötzlich Frauen durch die Gabe, starke Stromstöße abgeben zu können, das körperlich stärkere Geschlecht wären? Wenn Frauen plötzlich Rache nehmen könnten für all das, was ihnen angetan wird? Wenn sie es plötzlich wären, die herrschen würden? Wäre die Welt eine bessere, eine friedlichere – oder wäre sie genau wie die heutige, nur mit umgekehrten Geschlechterrollen? Autorin Naomi Alderman, die in Margaret Adwood eine Mentorin gefunden hat, zeichnet jedenfalls ein düsteres, dystopisches Bild dieser neuen Weltordnung. Themen wie Macht und ihr Missbrauch, Rache, Ungerechtigkeiten, Fraussein, Sexismus, Gewalt gegen Frauen (und Männer), Religion und Politik werden tiefgründig behandelt.

„‘Jetzt werden sie wissen‘, brüllt eine Frau in Tundes Kamera, ‚dass sie nachts nicht mehr allein aus dem Haus gehen sollten. Dass sie es jetzt sind, die Angst haben sollten.“ Seite 195

Plötzlich sind es Burschen und Männer, die abends nicht mehr alleine das Haus verlassen sollen, plötzlich werden sie vergewaltigt, überfallen, getötet, plötzlich werden ihre Genitalien verstümmelt. Nicht nur einmal habe ich mir hier beim Lesen gedacht: „Wie grausam, wie schrecklich, wie krank, wie gestört wäre das, wenn wir als Gesellschaft DAS mit Männern machen würden?“ – bis mir dann wieder eingefallen ist, dass ja GENAU das bereits gemacht wird. Nur halt mit Frauen. Nur, dass wir so daran gewöhnt sind, dass wir so abgestumpft sind, dass es für uns traurigerweise in gewisser Weise NORMAL geworden ist und wir gar nicht mehr sehen, was für ein Wahnsinn das eigentlich ist. Immer wieder hält Naomi Alderman so unserer Gesellschaft auf oft schmerzhafte Weise den Spiegel vor. Stellenweise fühlte es sich aber ehrlicherweise auch wie eine Form von Katharsis an, zu lesen, wie sich Zwangsprostituierte an ihren Tätern rächen, wie Frauen sich gegen das Unrecht, das ihnen widerfährt, endlich wehren.

„Man streitet darüber, ob dieses neue Organ schon immer im menschlichen Genom versteckt war und jetzt zum Leben erweckt wurde, oder ob es sich hier um eine Mutation handelt, eine schreckliche Deformierung.“ Seite 26

Stellenweise war ich aber auch schockiert und entsetzt von der Grausamkeit, mit der manche Frauen im Buch agieren, mit der sie ihre neu gewonnene Macht missbrauchen. Ob ein weltweites Matriarchat wirklich genauso schlimm wie das aktuell vorherrschende Patriarchat wäre, können wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, wohl aber zeichnen Berichte von Menschen, die matriarchalische Dörfer oder Städte besucht haben, ein anderes, friedlicheres Bild. (Hier ist aber natürlich auch wieder die Frage zu stellen, wie sich Frauen verändern würden, wenn die Machtverhältnisse über Generationen vertauscht wären, wenn sie eine ganz andere Erziehung bekämen.) Deshalb gehe ich bei Aldermans Zukunftsvision voller brutaler Schilderungen und Gewaltexzesse (bitte nicht unterschätzen!) nicht ganz mit, was mich aber nicht weiter gestört hat, weil ich mich gerne auf ihren Weltenentwurf eingelassen habe. Großartig fand ich übrigens die aus Briefen bestehende Rahmenhandlung (die in einer matriarchalischen Zukunft spielt) und das Ende, bei dem dann alle vier Handlungsstränge meisterhaft und spannend und mit einem großen Knall zusammengeführt werden. Das hat mich für vieles entschädigt!

Denn leider habe ich auch einige Kritikpunkte. Das größte Problem hatte ich von Anfang an mit dem sehr nüchternen, distanzierten Schreibstil – der wohl auch dazu geführt hat, dass ich wie beim ersten Versuch wieder sehr schwer ins Buch gefunden habe. Stellenweise finden sich im Text wirklich schöne Sätze und tiefgründige Passagen, aber die meiste Zeit blieben für mich leider die Gefühle vollkommen auf der Strecke. Und ein Buch, das mich emotional kaltlässt, kann niemals ein Lieblingsbuch sein. Das führte auch zu meinem nächsten Problem: den Figuren. Meiner Meinung nach blieben sie zu farblos, ich konnte zu ihnen einfach keine Verbindung aufbauen, nicht mit ihnen mitfühlen und mitfiebern, habe ihr Handeln eher neutral von einem Beobachtungsposten aus verfolgt. Dazu kommt, dass das Buch aus so vielen verschiedenen Perspektiven geschrieben ist, dass es irgendwann unübersichtlich wird. Der Gedanke dahinter ist mir klar, man wollte besonders viele Einzelschicksale zeigen und einen Überblick geben, was überall auf der Welt passiert, aber mir war es hier einfach irgendwann zu viel.

Der dritte Punkt, der mich gestört hat, waren das zu langsame Tempo mit den ungünstig platzierten Zeitsprüngen und der (einzelne Szenen sind ausgenommen) absolute Mangel an Spannung. Die Ereignisse an sich wären hochspannend und dramatisch gewesen, aber hier passieren sie eben so unspektakulär „vor sich hin“ – hier ein bisschen was, dort ein bisschen was –, dass einen das Buch einfach nicht fesselt. Stellenweise habe ich mich wirklich durchgequält und war dann auch froh, als ich das Ende erreicht hatte. Jetzt kann ich zumindest mitreden, wenn es um dieses immerhin oft als feministisch gefeierte, hochgelobte und auch prämierte Werk geht. Meiner Meinung nach hätte man SO viel mehr aus dieser grandiosen Grundidee machen können – hier wurde so viel Potential verschenkt, was ich unglaublich schade finde. Da fand ich „The Handmaid’s Tale“ (dt. Der Report der Magd) von Atwood, mit dem „Die Gabe“ ja immer wieder verglichen wird, schon deutlich stärker und überzeugender.

Mein Fazit

„Die Gabe“ ist ein Buch, über das ich im Vorfeld unglaublich viel Gutes gehört hatte. Mit dementsprechend hohen Erwartungen bin ich an die Lektüre herangegangen. Leider konnten diese trotz vieler guter Ansätze und einer grandiosen Grundidee nicht erfüllt werden, dafür sind mir die Emotionen einfach zu sehr auf der Strecke geblieben. Froh bin ich trotzdem, diese tiefgründige feministische Dystopie gelesen zu haben, weil sie mich stellenweise doch zum Nachdenken bringen konnte und ich jetzt endlich mitreden kann. Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht, ich verweise stattdessen auf die Leseprobe. Wenn die euch überzeugt, dann go for it!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonist:innen: 3 Sterne
Figuren: 2,5 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Tempo: 2 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Sterne!

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