Mein erstes Buch der Autorin. Ich mag den Bastei-Lübbe- bzw. den LYX-Verlag, und Titel, Cover und Klappentext wirkten interessant und weckten bei mir positive Assoziationen zum Auftakt der Liebesgeschichte in Grey’s Anatomy.
Chronologisch und kapitelweise wechselnd, ohne doppelte Szenenwiedergaben, wird die Geschichte über mehrere Monate aus Sicht der Protagonisten Lexia (28) und Adam (36) erzählt (Sie/Er in der Vergangenheitsform).
Erstaunt hat mich, dass das Thema Gewicht und hierauf aufbauend ein geringes Selbstwertgefühl die Handlung dominiert. Lexia ist übergewichtig und Adam hat ein hierzu kompatibles Schönheitsideal.
Ich habe Geduld benötigt, um in die Geschichte reinzukommen. Lexia mag ihren Körper überhaupt nicht, lässt sich mobben und flüchtet sich in Junkfood und Shopping-Orgien, bedient damit ein Negativklischee. Das um Mitleid heischende negative Selbstbild zerrt gehörig an den Nerven, während ihre Stärken, z. B. ihr Witz sowie Engagement und Leidenschaft als Werbetexterin, untergehen. Adam zu mögen, ist anfangs auch nicht leicht, weil er es sich zum Job gemacht hat, langjährigen Mitarbeitern zu kündigen.
Ist man über diese ersten Eindrücke hinweg und beginnt persönliche Hintergründe und Motivlagen zu ergründen, gelingt es immer besser, zu verstehen, zu sympathisieren und zu hoffen, dass die Liebe eine reelle Chance bekommt. Eine Distanz blieb für mich aber bestehen. Zum einen inhaltlich bedingt, weil ich mich in vielen Situationen anders verhalten hätte, zum anderen sprachlich bedingt, z. B. wird Lexias Mutter immerzu als Eva bezeichnet, wodurch es mir schwerer fällt, mich hineinzuversetzen und eine emotionale Bindung aufzubauen.
Ich empfinde die Geschichte über weite Strecken als langatmig. Die Gedankenwelt der Protagonisten dreht sich viel im Kreis. Es werden viele Banalitäten beschrieben. Zahlreiche Ausdrücke und Beschreibungen gleichen Inhalts kommen mehrfach vor. Ein kurzes Beispiel: „Dort wurde einem von einer Sekunde auf die andere fristlos gekündigt, man wurde gefeuert oder auf die Straße gesetzt“ (10 %).
Würde man kürzen, wären die Dramatik und das Prickeln wohl besser spürbar.
Ein paar Erotikszenen sind enthalten. Mehr als angedeutet, nicht ganz explizit, den Roman nicht dominierend. Ästhetisch, einfühlsam, ansprechend. Vergleichsweise vernünftig, da dürfen auch Körperhygiene und Verhütung nicht fehlen. Es spielt sich ansonsten viel im Kopf ab.
Es verleiht Authentizität, dass die Autorin die Handlung in ihrer Wahlheimat Stockholm verortet hat.
Nebenfiguren (insbesondere Siri, Dina, Bashir) wirken auflockernd, passen gut zur Rahmenhandlung und verleihen Würze. Erfrischenderweise konnten mich einige Nebenfiguren in ihrer Entwicklung überraschen.
Die Handlung entwickelt sich so, wie ich es erwartet hatte. Ich habe interessiert gelesen, aber große Überraschungen, die große Gefühlsachterbahn blieben leider aus.
Die Extreme zwischen weltoffenen und intoleranten, hetzenden Personen wird ausgereizt. Dem ist dadurch Boden bereitet, dass das berufliche Umfeld in der Werbebranche angesiedelt ist. In einem anderen Umfeld hätte ich die Darstellungen als realitätsfern bezeichnet, aber hier könnte sich die Handlung mit etwas gutem Willen tatsächlich so abspielen. Ein Buch, das kontroverse Meinungen hervorrufen kann.
Ich empfand den stimmig eingearbeiteten Aufruf, sich von Oberflächlichkeiten zu lösen, sich auf charakterliche Stärken zu konzentrieren, sich selbst zu lieben, seine eigenen Prioritäten zu ordnen und Personen abseits der Norm (allumfassend: Gewicht, Ethnie, sexuelle Orientierung, gesellschaftlicher Rang, …) gleichberechtigt zu behandeln und wahrzunehmen, als inspirierend. Gleiches gilt für das vermittelte Motto „du verkörperst mehr als nur die Summe deiner Eltern.“ (79 %).
Ich meine, gespürt zu haben, dass es dabei um eine Herzensbotschaft der Autorin geht.
Ich unterstütze diese Botschaft und nehme an, dass viele Leserinnen und Leser hieraus Mut und Selbstbewusstsein schöpfen können.
Wermutstropfen: Es wurde bis dato versäumt, die Stärke des Buches als solche zu vermarkten. Das Cover ist zweifelsohne schön anzusehen, zeigt jedoch die Rückseite einer Frau der Kleidergröße XS und damit das vermeintlich allgemeintaugliche Idealbild, dem doch eigentlich etwas entgegengesetzt werden soll. Zitat aus dem Buch: „Es gibt viele Leute, die sich in der Durchschnittswerbung nicht repräsentiert fühlen.“ Wenn der Mut aufgebracht wird, die Vermarktung – analog zur Handlung – anzupassen, vergebe ich mit Freuden nachträglich den vierten Stern.