Cover-Bild Der Halbbart
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26,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Historische Romane
  • Seitenzahl: 688
  • Ersterscheinung: 26.08.2020
  • ISBN: 9783257071368
Charles Lewinsky

Der Halbbart

Der Sebi ist nicht gemacht für die Feldarbeit oder das Soldatenleben. Viel lieber mag er Geschichten. Im Jahr 1313 hat so einer es nicht leicht in einem Dorf in der Talschaft Schwyz, wo Engel kaum von Teufeln zu unterscheiden sind. Vom Halbbart, einem Fremden von weit her, erfährt er, was die Menschen im Guten wie im Bösen auszeichnet – und wie man auch in rauen Zeiten das Beste aus sich macht.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.02.2021

Nichts als die Wahrheit

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Talschaft Schwyz, um 1313: Der 13-jährige Ich-Erzähler und „Finöggel“ Eusebius, genannt Sebi, ist ein aufgewecktes Kerlchen, aber eher nicht für härtere Arbeit geeignet – ab und an hilft er dem Totengräber ...

Talschaft Schwyz, um 1313: Der 13-jährige Ich-Erzähler und „Finöggel“ Eusebius, genannt Sebi, ist ein aufgewecktes Kerlchen, aber eher nicht für härtere Arbeit geeignet – ab und an hilft er dem Totengräber im Dorf bei der Arbeit. Der Vater ist schon gestorben, Bruder Poli ist ein dumpfer Haudegen und „eher nur über Umwegen nett“, aber mit Bruder Geni pflegt er eine feinfühlige Beziehung. Sebi ist ein aufmerksamer Beobachter, mit seiner kindlich-naiven Art beäugt er das Dorfleben und erläutert dieses – und stellt so manches Fehlverhalten lakonisch dar. Es waren raue, blutige und brutale Zeiten im Mittelalter, besonders wenn auch noch der Marchenstreit zwischen Schwyz, den Habsburgern und dem mächtigen Benediktinerkloster Einsiedeln über Grenzgebiete herrscht. Einen Mentor und Lehrer findet Sebi bald in dem Einsiedler, Flüchtling und Sonderling „Halbbart“, der ihm mit vielen Lebensweisheiten und dem Schachspielen den Blickwinkel erweitert – auch wenn er vieles nicht richtig begreifen kann, was der Halbbart erzählt. Aber eins ist klar: mit seinem zur Hälfte fürchterlich entstelltem Gesicht hat er Schlimmes erlebt, er rückt nur zögernd damit raus – geblieben ist ein Hass auf die Habsburger, der selbst dem Halbbart den weisen Verstand raubt. Als die Mutter stirbt, kommt Sebi ins Kloster, doch die Ereignisse dort sind eher traumatisierend – er flieht und findet Unterschlupf beim Schmied und seiner Tochter Kätterli.

Sebi erlebt Einiges in der vom Glauben, Aberglauben, Himmel und Hölle, Teufel und Engel bestimmten Zeit – Gewalttätiges, Lustiges, Spannendes, Berührendes und er selbst steckt mitten in einer Selbstfindungskrise. Was soll aus Sebi werden? Noch findet er kein Spiegelbild im See für seine Berufung. Bis er aus Zufall zum ersten Mal erlebt, wie kraftvoll (und real) erzählte Geschichten werden können: Er soll die vom Schmied und Halbbart entworfene Waffe Hellebarde unter die Leute bringen – und das macht er gut. Als er auch noch in die Lehre der nimmersatten und Rauschgift süchtigen Geschichtenerzählerin das Teufels-Anneli geht, findet er seine Bestimmung: "Erzählen ist wie Seichen: Wenn man einmal damit angefangen hat, ist es schwer, wieder aufzuhören." S. 184/185.

Und während Sebi lernt, sich immer bessere Geschichten auszudenken, nimmt der Marchenstreit nach dem gewalttätigen Überfall der Dorfbewohner auf die Mönche und das Kloster nochmal richtig Fahrt auf – angeführt vom böswilligen Onkel Alisi ist die Schlacht am Morgarten zum Greifen nahe.

Charles Lewinskys Roman „Der Halbbart“ präsentiert auf knapp 680 Seiten eine Geschichte nach der anderen und formt dabei eine große, übergeordnete Geschichte. Diese ist nicht nur gespickt mit vielen klugen Lebensweisheiten und Fakten aus der Schweizer Mythologie – diese Geschichte ist selbst eine über das Geschichtenerzählen und welchen Sog und Stärke Erzähltes bewirken kann – bis es geglaubt wird. Und schwupps sind wir in der Gegenwart mit Propaganda, sogenannten Fake-News & Co.: "Das war eine sehr schöne Geschichte, Eusebius. Man wird sie bestimmt noch lang erzählen, und irgendwann wird sie die Wahrheit sein." S. 676

Der Zürcher Autor Lewinsky erschafft präzise ausgeklügelte Charaktere und präsentiert diese mit einer so erzählerischen Kraft, dass die Seiten nur so verfliegen – vieles mit Bezug zur Gegenwart, aber märchenhaft in 83 kurzen Kapiteln mit sehr treffenden Teasern verpackt wie „Das 33. Kapitel, in dem der Halbbart erzählt, was er nicht erzählen will“. Die Sprache strotzt vor Wortspielereien, Anekdoten und Freude am Fabulieren und ist ordentlich mit Helvetismen, also schweizerdeutschen Ausdrücken, gespickt. Das sorgt hier und da neben den treffenden Beschreibungen aus der Sicht eines Kindes für ein schelmisches Augenzwinkern und Humor. Doch die Gewalt und das Tragische lassen einem auch des Öfteren den Atem stocken. Am Ende ist man erstaunt, in welche spannende Epoche Lewinsky entführt hat, mit einer spielerischen Erzählkunst, wie es uns die umherziehende Teufels-Anneli gelehrt hat. Und was war jetzt wahr?

"Wenn eine Geschichte gut zu dem passe, was die Menschen ohnehin schon dächten, dann werde sie so fest geglaubt, als ob ein Engel vom Himmel sie jedem Einzelnen ins Ohr geflüstert hätte." S. 428

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Das Leben und seine Geschichten

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Schweiz 1313: Der Sebi lebt mit seiner Mutter und seinen älteren Brüdern in einem kleinen Dorf. Es gibt viel zu tun, doch der Sebi ist weder für die harte Arbeit noch für das Soldatenleben oder das Klosterleben ...

Schweiz 1313: Der Sebi lebt mit seiner Mutter und seinen älteren Brüdern in einem kleinen Dorf. Es gibt viel zu tun, doch der Sebi ist weder für die harte Arbeit noch für das Soldatenleben oder das Klosterleben gemacht. Er ist ein Freund von Geschichten, sei es die gehörten oder auch seine eigenen ausgedachten. Als dann ein Fremder ins Dorf kommt mit einem Gesicht voller Brandnarben, bekommt er von den Dörfler einen Namen verpasst, wie bei allen anderen auch. Er ist der „Halbbart“. Er bleibt für sich und redet kaum. Aber mit dem Sebi, mit dem redet er und der Sebi ist fasziniert von diesem Fremden. Sebi versteht nicht alles, was der Fremde sagt, aber das macht nichts.
Der Autor Charles Lewinsky erzählt mir großer Fabulierlust. Die Sprache ist entsprechend üppig. Das Buch umfasst ungefähr 700 Seiten und die Schrift ist sehr klein, dass macht das Lesen anstrengend. Es passiert auch gar nicht so viel in dieser Geschichte, meist sind es die Alltäglichkeiten. Aber das wird alles sehr detailliert und erzählfreudig berichtet.
Die Geschichte spielt in der Zeit des Marchenstreit, bei dem die einfachen Leute zwischen die Interessen der Mächtigen geraten, sei es die der geistlichen oder die der weltlichen Machthaber. Da harte und oft auch gewalttätige Leben im Mittelalter wird gut dargestellt.
Ich mochte den etwas naiven Sebi mit seiner hoffnungsfrohen Einstellung, der mit dem geheimnisvollen Fremden gut klarkommt. Erst so nach und nach erfahren wir, was dem Halbbart widerfahren ist. Der Halbbart wird von Sebi zum Freund erkoren. Der Vater vom Sebi ist schon lange tot und der Dreizehnjährige kann eine männliche Bezugsperson, zu der er aufschauen kann, gut gebrauchen. Aber auch die anderen Personen sind individuell (was sich schon in ihren Namen ausdrückt) und interessant beschrieben.
Es ist kein Buch, das einen mit seiner Spannung gefangen nimmt, dennoch hat es mir Freude bereitet.

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Veröffentlicht am 06.11.2020

Sebi erzählt Geschichte(n)

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1313: Sebi lebt mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern in einem kleinen Ort in der Talschaft Schwyz. Er berichtet von allem, was geschieht, auch von dem ungewöhnlichen Fremden mit dem entstellten Gesicht, ...

1313: Sebi lebt mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern in einem kleinen Ort in der Talschaft Schwyz. Er berichtet von allem, was geschieht, auch von dem ungewöhnlichen Fremden mit dem entstellten Gesicht, der eines Tages auftaucht.
Charles Lewinsky hat mit dem jungen Ich-Erzähler Sebi, der eigentlich Eusebius heißt, eine ganz besondere, ebenso reflektierte wie kindliche Stimme erschaffen. Wie genau der Junge hinschaut, wie verständig er aus seiner Sicht heraus die Dinge angeht, wie kritisch er auch manches hinterfragt, das macht ihn einzigartig und liebenswert. Und obwohl er viele Umwege geht, ehe er zum Kern kommt, und die Helvetismen seiner Sprache den Leser ziemlich herausfordern, vermag er in Bann zu ziehen und zum Lauschen zu verführen.
Historische Gegebenheiten, Gebräuche und regionale Besonderheiten bilden einen Rahmen, innerhalb dessen mit großem Selbstverständnis mittelalterliches Dorfleben stattfindet. Große wie kleine Ereignisse werden auf persönliche Schicksale herunter gebrochen und rücken damit sehr nah. Die Menschen, die ihren Veranlagungen und Träumen entsprechen wollen, werden durch Schicksalsschläge immer wieder aus ihren Bahnen geworfen. Es entstehen Freundschaften und Bindungen, auch die ständigem Wandel unterworfen.
In starkem Gegensatz zu einigen ausführlichen Schilderungen extremer Grausamkeiten steht der Humor, der untergründig beständig durchscheint.
Gemeinsam mit den nur scheinbar naiven Reflektionen Sebis und dessen Aufrichtigkeit und Herzensgüte vermittelt er ein angenehmes und vertrauensvolles Lesegefühl.
Doch Vorsicht: Wer sich von diesem warmen, zuversichtlichen Ton einlullen lässt, wird schon bald erfahren, dass nicht das Sich-Wohlfühlen der Leser Ziel des Romans ist. Und dass keine Rücksicht genommen wird auf deren Erwartungen. Wie im wahren Leben bleiben Fragen offen, gerät vieles aus dem Auge, werden Fäden abgeschnitten und Enttäuschungen zugefügt. Was bleibt, sind Geschichten, und wie schön oder entsetzlich, wie wahr oder unwahr sie sind, wird am Ende nicht darüber entscheiden, ob sie weitergetragen werden oder nicht.

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Veröffentlicht am 30.10.2020

Geschichte um Geschichte wird ein Epos erzählt

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Es war einmal ein junger Mann namens Eusebius in einer fernen Zeit. Er lebte unweit des Benediktinerklosters Einsiedeln in der Schweiz und erzählte Geschichten.
So könnte man den Roman ‚Der Halbbart‘ ...

Es war einmal ein junger Mann namens Eusebius in einer fernen Zeit. Er lebte unweit des Benediktinerklosters Einsiedeln in der Schweiz und erzählte Geschichten.
So könnte man den Roman ‚Der Halbbart‘ von Charles Lewinsky sehr grob zusammenfassen, der es bis auf die Longliste des deutschen Buchpreises 2020 geschafft hat.
Das Werk von stolzen 677 Seiten, dass gedruckt wie Bibelpapier anmutet, umfasst 83 Kapitel. Man könnte sagen der Roman besteht aus 83 einzelnen Geschichten, die für sich fast alleine existieren könnten, aber als Summe aller Teile zu einem großen Gesamtmeisterwerk verschmelzen.
Sebi, so nennen Eusebius alle aus dem Dorf, ist der Ich-Erzähler des Romans und nimmt uns mit auf eine Reise durch seine Lebenswelt. Er erzählt Geschichte um Geschichte, wo natürlich der titelgebende Halbbart eine tragende Rolle spielt. Aber nicht nur von ihm erfahren wir viel, auch viele andere Personen tauchen auf, da sind die beiden Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, es folgen Priester, ein Schmied mit Tochter, das Teufels-Anneli und viele andere. Das Ganze spielt um 1300 und wird auch dialektisch mit Helvetismen durchmengt um ein zeitgetreues Kolorit zu gewinnen. In der Tat schafft Charles Lewinsky mit diesem Roman ein brillantes Werk, in dem er den Zeitgeist durch die erzählten Taten lebendig werden lässt sowie deren damalige Bewertung. Wenn eine Vergewaltigung die Schuld des Opfers ist und der Raub von Kirchenmobiliar als schlimmste aller Greultaten empfunden wird, ist die Moral und die Ehrfurcht eine andere als die heutige.
Charles Lewinsky ist ein großer Erzähler, der es nonchalant schafft uns auf eine fiktive Reise in die Vergangenheit mitzunehmen, die ich fast als echt empfunden habe. Da klappte ich das Buch zu und dachte: Ja, so muss es sich zugetragen haben. Wie der Roman auch endet: „Das war eine sehr schöne Geschichte, Eusebius. Man wird sie bestimmt noch lange erzählen, und irgendwann wird sie die Wahrheit sein.“ (S. 677)
Spannend ist auch die Art der Erzählung, zwar ist Sebi der Haupterzähler, aber im Grunde genommen sind in diesem Roman die Figuren das Beiwerk und die Geschichten der rote Faden.
Lasst euch darauf ein – euer Geist wird es euch danken!

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Schöner Erzählstil - aber für mich zu grausam und zu lang

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Der Junge Sebi ist etwas 11 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Es ist das frühe 14. Jahrhundert. Das Leben ist hart, anerkannt ist, wer stark ist und sich durchsetzen kann. ...

Der Junge Sebi ist etwas 11 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Es ist das frühe 14. Jahrhundert. Das Leben ist hart, anerkannt ist, wer stark ist und sich durchsetzen kann. Sebi ist dafür kaum geeignet. Er ist ein sogenannter "Finnögel", ein zartes Kerlchen - weder fürs Kämpfen noch für die Feldarbeit zu gebrauchen. Er ist zwar sehr intelligent - genauso wie sein älterer Bruder Geni - aber das zählt in diesen Zeiten wenig. Schule gibt es nicht. Und Lesen und Schreiben können nur einige Mönche im Kloster Einsiedeln. Dort will er vielleicht mal hin - denn was soll er sonst machen? Doch dann kommt ein Fremder ins Dorf. Er hat ein verunstaltetes Gesicht und nur einen halben Bart - daher der Titel "Der Halbbart". Der Fremde macht sich bald als Ratgeber und Helfer bei medizinischen Dingen einen Namen. Und er wird für Sebi zu einer Art Vater-Ersatz. Denn sein eigener Vater ist früh gestorben und auch die Mutter wird bald das Zeitliche segnen. Sebi wird also durch viele Wechselfälle des Lebens gehen - und das alles, bis er ungefähr 14 ist. Diese Zeit erzählt das Buch bzw. Sebi erzählt. Seine Erzählweise ist lakonisch, auch humorvoll und voller Weisheiten. Manchmal schon fast zu viel Weisheiten für so einen jungen Kerl - aber Kindheit in dem Sinne gab es damals nicht. Kinder mussten helfen und arbeiten und ganz früh erwachsen werden.

Es war der Erzählton, der mich die ersten 300 Seiten durch das Buch getragen hat und mich berührt und begeistert hat. Doch danach wurden die Geschehnisse immer grausamer (abgetrennte Beine, Vergewaltigung, tote Babys im Kloster die im Schweinetrog entsorgt werden sollten usw.). Und ich hatte immer weniger Lust, weiter zu lesen. Immer wieder verschwanden lieb gewordene Personen. Und nicht so sehr viele Lichtstreife am Horizont. Sicherlich sind die Beschreibungen realistisch - das Mittelalter war eine grausame Zeit - aber irgendwann mochte ich es nicht mehr lesen. Der Zauber der Erzählkunst wirkte nicht mehr. Besonders betroffen haben mich die Machenschaften und die Scheinheiligkeit der Mönche und Äbte. Und die Bravheit der Dörfler, die mit Drohungen von Fegefeuer und Hölle in Schach gehalten wurden. Das war ja noch bis Anfang des letzten Jahrhunderts sehr verbreitet - auch in Deutschland. Ich erinnere mich noch an die Geschichten meiner Oma....

Nein, das Lesen ist mir dann schwergefallen. Wobei ich sagen muss, dass ich dem Autor großes Können, gute Recherchen und vor allem eine tolle Sprache attestieren muss. Menschen, die sich fürs Mittelalter interessieren, finden mit diesem Buch die ideale Lektüre.

Aber ich habe jetzt beschlossen: Nie mehr Mittelalter!

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