Melanie wollte schon immer bekannt werden. Ihre ersten Versuche schlugen fehl, aber mehr oder weniger zufällig entdeckt sie, was in den sozialen Medien möglich ist und beginnt sehr erfolgreich ihre Kinder in Szene zu setzen. Anfangs noch überrascht von der schnell steigenden Zahl der Follower, versteht Melanie immer mehr, wie Algorithmen funktionieren und verfeinert ihr „Business“. Zahllose Stories, Videos, Bilder und Co sind alltäglicher Bestandteil des Familienlebens. Eines Tages jedoch verschwindet ihr kleines Mädchen Kimmy beim Spielen spurlos. Unter anderem ermittelt Clara, eine engagierte Polizistin, die allerdings auch einigen Kummer kennt. Wird die Kleine gesund gefunden? Wer hat sie sich geschnappt?
Das Buch beginnt relativ langsam, erklärt die Lebenswege der beiden Protagonistinnen, um ihre Handlungsweisen und Gedankengänge in die Zukunft zu verstehen. Wer die Autorin kennt, weiß, dass diese Einführung wichtig ist und schnell wird es dann auch spannend. Die Kleine ist vom einen auf den anderen Moment verschwunden. Es gibt quasi keinerlei Spuren, jeder könnte Kimmy entführt haben. Auch die Motive sind völlig unklar, denn eine Lösegeldforderung oder dergleichen bleibt aus. Was zunächst wie ein „normaler“ Fall für die Beamten aussieht, stellt sich schnell als etwas anderes heraus. Besonders durch Clara, die sich stundenlang Videos, Stories und Challenges der Familie ansieht, bekommt der Leser eine Vorstellung, wie Melanie ihre Kinder instrumentalisiert. Da man die Geschichte auch durch Melanies Augen sieht, erkennt man, dass ihre Weltsicht eine völlig andere ist und sie tatsächlich zu glauben scheint, dass es nicht nur ihr, sondern auch den Kindern nutzt, dabei haben sie mit allerhand Problemen zu kämpfen. Mobbing, Missgunst und Neid sind an der Tagesordnung, aber auch Menschen, die versuchen auf die Schwierigkeiten der Online-Kinderstars hinzuweisen und deren Eltern an den Pranger stellen.
Ich kann gar nicht alles notieren, was mich an diesem Buch wütend machte und wie wichtig dieses Buch zugleich ist. Es ist ein sehr unterhaltsamer Pageturner, der ohne Blut auskommt, und dennoch ganz tiefe Verletzungen zeigt. Nein, er zeigt die Verletzungen nicht nur, er legt die Finger tief in die Wunde und wühlt dann noch darin rum. Der Stil der Autorin ist einfach richtig gut. Das Buch liest sich schnell und flüssig, es weckt eine ganze Palette von Emotionen und ich habe mich dabei ertappt, wie ich Clara immer wieder zunickte, während Melanie mich mit ihrer Blindheit für die Gefahren und das Leid ihrer Kinder wirklich wütend machte.
Dieses Buch sollten entsprechende Insta-/Youtube-/w. (a-)soziale Medien-Familien erhalten und zum Lesen regelrecht gezwungen werden. Vielleicht – nur vielleicht, würde es den einen oder anderen Mal zum Nachdenken anregen und im besten Fall verhindern, dass Kinder so schamlos ausgebeutet werden. Vielleicht ist das aber auch nur naives Wunschdenken von mir, denn die Aussicht auf Ruhm und Geld lässt manchen wohl wirklich – ganz ähnlich wie in Melanies Fall- das Kindeswohl vergessen oder so weit dehnen, dass es in die Vorstellung und die soziale Medien-Bubble passt. Problem sind ja nicht nur die Pädos, die sich an den Kinderbildern „erfreuen“, sondern auch die psychischen Schäden, die verursacht werden können. Ersteres haben wahrscheinlich noch die meisten Eltern auf dem Schirm, aber für letzteres sind wahrscheinlich viele blind. Sie müssen blind sein, wenn man sieht, wie Kinder teilweise präsentiert werden. Hier im Buch mag manches auf die Spitze getrieben sein (da ich solche Influencer nicht unterstütze, kann ich nicht ganz beurteilen), aber dennoch fühlt es sich „logisch“ an, wenn man die Macht der Algorithmen und nicht der Menschlichkeit als Maßstab anlegt.
Ich könnte mich gefühlt endlos in Rage schreiben, belasse es aber dabei und bin einfach nur froh, dass ich dieses Buch gelesen habe, denn es hat mir noch einmal mehr vor Augen geführt, wie schlimm dieses ausbeuterische System für Kinder sein kann/ist, und zumindest mit Likes oder gar Follows wird das in keinem Fall von mir belohnt. Es ist zwar nur wenig, aber immerhin besser als den Irrsinn noch aktiv zu unterstützen und Kinderrechte mit Füßen zu treten.
Unter dem Strich ist die Geschichte aus meiner Sicht eine unterhaltsame, aktuelle Gesellschaftskritik vom Feinsten – absolute Empfehlung und nicht nur für jene, die mit dem Gedanken spielen ihre Kinder im Netz zu präsentieren.