Ich bin ehrlich gesagt ohne große Erwartungen in One of Us is Lying gestartet. Ich hatte das Buch vor einer Weile schon mal auf dem Schirm, es landete auf der Wunschliste, flog aber nach einiger Zeit wieder runter.
Die Kritiken waren durchwachsen und ich hatte die Befürchtung, dass es typische Klischees und Probleme gibt, die für mich normalerweise das Lesevergnügen kaputt machen.
Umso positiver war dann die Überraschung!
Unsere Story dreht sich um fünf Jugendliche, die alle zur selben Zeit nachsitzen müssen. Einer von ihnen, Simon, stirbt an diesem Nachmittag an einer allergischen Reaktion.
Die anderen vier können ihn nicht retten, denn sein EpiPen ist verschwunden und auch auf der Krankenstation gibt es komischerweise keine.
Schnell wird klar, dass es sich um Mord handeln muss. Ein Motiv haben viele, denn Simons App "About That" und seine Posts dort waren bekannt dafür, Privates aufzudecken und Leben zu ruinieren.
Der Fokus liegt aber natürlich auf denen, die im Raum waren, als Simon starb. Alle vier haben Geheimnisse, die Simon in einem noch nicht öffentlichen Post abgespeichert hat. Das macht sie zu den Hauptverdächtigen, die gleichzeitig den Narrativ bilden:
Bronwyn. Sie ist das typische Goodgirl, das ihr Aussehen herunterspielt (obwohl uns die Autorin mehrfach durch die Linse der anderen versichert, wie hübsch sie ist) und aus einem reichen Elternhaus stammt. Ihre Eltern sind Migranten, die es weit gebracht haben und die sie auf keinen Fall enttäuschen will.
Bereits zu Anfang ist klar, dass sich zwischen ihr und Nate eine leicht klischeehafte Romanze entwickeln wird.
Ihre Schwester Maeve ist ein kleiner Supernerd mit Krankheitsgeschichte und Hacker-Skills, was ich mega toll fand.
Ich mochte Bronwyn, allerdings hätte sie auch ein bisschen weniger Raum bekommen können. Es wirkte, als wäre sie der Liebling der Autorin, obwohl die anderen sehr viel mehr zu bieten hatten.
Nate. Er ist der typische Badboy, der immer schwarz trägt (inklusive Kajal), Drogen verkauft, die Schule schwänzt und aus einem problematischen, armen Elternhaus stammt.
Im Laufe der Geschichte wird natürlich deutlich, dass er all das macht, weil er dringend Geld braucht und der Vater nicht mehr arbeiten kann... generell ist da ziemlich wenig bad, sondern einfach nur boy.
Er verliebt sich in Bronwyn, denkt aber, er ist ihrer nicht wert, was für mich ein bisschen nervig war.
Addy. Sie ist die typische Beautyqueen und spielt in der Liga der coolen Kids.
Sie war mein absoluter Liebling, denn ihre Entwicklung war die beste. Anfangs klammert sie an ihrem Freund, der eigentlich jeden Aspekt ihres Lebens kontrolliert, später wird sie dann zum Badass mit eigener Meinung und (wiederentdeckten) Hobbies.
Ihre Schwester Ashton und das Verhältnis der beiden waren Gold wert!
Cooper. Er ist der typische, beliebte Supersportler, der es vor allem seinem Vater recht machen möchte und sich dabei gezwungen fühlt, eine Rolle zu spielen, die ihn unglücklich macht und nicht zu seinem wahren selbst stehen lässt.
Am besten gefiel mir die Freundschaft, die sich zwischen den Protas entwickelte. Alle sitzen im selben Boot und ziehen an einem Strang, sind am Ende füreinander da und bleiben es auch nach der großen Auflösung. Tolle freundschaftliche Beziehungen, vor allem zwischen Frauen, sind rar gesät. Darum war das für mich ein dicker Pluspunkt.
Kleines Fazit: Spannende Story mit (für mich) überraschendem Ende und vielen Aspekten, die mich sonst manchmal stören, aber hier sehr gut umgesetzt wurden.
Ab hier geht es dann leider nochmal kurz mit Spoilern weiter, da es fast unmöglich ist, das Buch ohne diese anständig zu rezensieren und das unterzubringen, was ich unbedingt noch loswerden möchte.
!SPOILER!
Einer der größten Kritikpunkte für einige (zumindest im englischsprachigen Raum), war Coopers Sexualität.
Nach etwas über der Hälfte der Geschichte stellt sich heraus, dass er schwul ist und manche hatten das Gefühl, das wäre wie ein schockierender Plot Twist behandelt worden.
Das kann ich zumindest aus meiner subjektiven Sicht nicht bestätigen. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Autorin den Finger auf Heteronormativität legt. Mir war so ziemlich von Anfang an klar, was es mit Cooper auf sich hat. Es gibt zahllose Hinweise und eine ziemlich offensichtliche Szene.
Für mich war die Message: Wer davon ausgeht, dass Charaktere automatisch hetero sind und auch Offensichtliches übersieht, sollte in erster Linie sich selbst hinterfragen.
Die Darstellung von Coopers Ängsten, das unfreiwillige Outing durch die Polizei und die Homophobie, die er daraufhin erlebt, war in meinen Augen sehr feinfühlig und fühlte sich ehrlich an.
Allerdings gibt es grade bei Cooper auch einen Kritikunkt:
Er hat heimlich einen Freund, betrügt also das Mädchen, mit dem er öffentlich zusammen ist. Am Ende schafft er es zwar, zu sich und seiner Liebe zu stehen, allerdings wird der Betrug nie als solcher erwähnt und anerkannt.
Addy dagegen, deren Geheimnis ein einmaliger Ausrutscher unter Alkoholeinfluss ist, wird von ihren ehemaligen "Freunden" sofort geschnitten und geslutshamed, nachdem es heraus kommt.
Es ist Hauptthema bei ihr, beeinflusst ihren ganzen Schulalltag und erschwert ihr das Leben sehr.
Es wird zwar die Doppelmoral solcher Fälle erwähnt, weil ein männlicher Nebencharakter, der das gleiche gemacht hat, noch immer Teil der Gruppe ist und Addy das auch explizit als unfair und frauenfeindlich einstuft. Bei Cooper verliert aber wie gesagt niemand ein Wort darüber.