Das Leuchten einer neuen Welt ...
"Elbleuchten" ist der Auftakt einer hanseatischen Familiensaga von der deutschen Autorin Miriam Georg mit Schwerpunkt auf die sozialpolitischen Veränderungen Ende des 19. Jahrhunderts. Ich habe von der ...
"Elbleuchten" ist der Auftakt einer hanseatischen Familiensaga von der deutschen Autorin Miriam Georg mit Schwerpunkt auf die sozialpolitischen Veränderungen Ende des 19. Jahrhunderts. Ich habe von der Autorin bisher noch nichts gehört, mit diesem Roman konnte sie mich aber von sich und ihrem Talent überzeugen.
Inhalt: Lily Karsten ist Tochter einer der erfolgreichsten Reederfamilien Hamburgs. Sie lebt in einer Villa an der Bellevue und träumt von der Schriftstellerei. Sie glaubt, dass sie ihren Verlobten Henry liebt. An einem heißen Sommertag 1886 hält sie bei einer Schiffstaufe die Rede, als plötzlich eine Windbö ihren Hut in die Elbe weht. Ein Arbeiter soll ihn zurückholen – und gerät in einen grauenhaften Unfall. Jo Bolten lebte als Kind im Elend des Altstädter Gängeviertels, jetzt arbeitet er im Hafen für Ludwig Oolkert, den mächtigsten Kaufmann der Stadt. Jo will bei den Karstens für seinen verletzten Freund um Hilfe bitten, aber er wird kaltherzig abgewiesen. Lily will unbedingt helfen! Also nimmt Jo sie mit in seine Welt, in der der tägliche Kampf ums Überleben alles bestimmt. Mit eigenen Augen sieht Lily das Elend der Menschen und erkennt die Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen. Bald kommen Lily und Jo sich näher. Doch eine Verbindung zwischen ihnen ist undenkbar. Und Jo hat ein Geheimnis, von dem Lily niemals erfahren darf ...
Meine Meinung: Ich muss sagen, dass ich den Stil der Inhaltsangabe nicht mag. Zu viele Informationen - man hätte diese leicht kürzen können. Das Auge will bei einer Inhaltsangabe nicht so viel Text lesen. Weniger wäre mehr gewesen.
Das Cover gefällt mir aber sehr gut. Ein sehr ruhiges Cover, das nicht überladen ist. Endlich mal kein historischer Roman, wo man eine Frau von hinten sieht. Durch den Titel und einer Abbildung der backsteinigen Speicherstadt weiß man sofort, dass das Buch in Hamburg spielt. Um einen Überblick über das vergangene Hamburg mit seinen vielen Gegenden und Plätzen zu bekommen, ist auf der ersten Seite eine Karte abgebildet.
Miriam Georg hat einen sehr lockeren und flüssig zu lesenden Schreibstil; für einen historischen Roman eine schöne Abwechslung. Trotzdem schafft es die Autorin sehr viele Informationen in die Zeilen zu packen, ohne diese langweilig werden zu lassen. Ich habe beim Lesen sehr viel über Hamburg und die damalige Zeit erfahren. Die Autorin nimmt da kein Blatt vor den Mund und beschreibt sehr genau, ohne Zensur, wie die Menschen zu der damaligen Zeit gelebt und gelitten haben.
Wir befinden uns in Hamburg 1886: Die Kluft zwischen Arbeiterschaft, Adeligen und Kaufläuten war gewaltig. Die Arbeitsbedingungen waren lebensgefährlich und die Wohnsituationen menschenunwürdig. Das Gesundheitssystem war katastrophal und Arbeitsrechte oder Frauenrechte so gut wie nicht vorhanden. Trotzdem findet eine Veränderung statt. Schritt für Schritt kämpft die Arbeiterschaft und die Frauenbewegung für ihre Rechte, denen wir heute so viel zu verdanken haben.
Das Gängeviertel Hamburgs wurde sehr detailliert und bildreich dargestellt. Beim Lesen konnte man sich die Slums und deren Bewohner nicht nur sofort bildlich vorstellen, sondern man hat sich selbst dort befunden. Man konnte beim Lesen sogar den Gestank riechen, der in den Gassen herrschte. Die Ungerechtigkeiten haben mich dermaßen geärgert, dass ich selbst am liebsten vom Sessel aufgesprungen, auf die Straßen gerannt und für Gleichberechtigung gestreikt hätte. Wahnsinn, was sich in den letzten zweihundert Jahren alles verändert hat.
Das Buch ist in 3 Teile gegliedert, welche zeitlich aber sehr knapp beieinander liegen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Sichten erzählt, aber hauptsächlich begleiten wir die beiden Protagonisten Lily und Jo.
Alle Charaktere waren sehr gut ausgearbeitet und charakterlich einzigartig; auch die Nebencharaktere. Es ist zwischendurch erfrischend auch nicht so "reine" Gedanken zu erleben, z.B. von Lilys Bruder Franz, der für den schönen Schein selbst über Leichen gehen würde.
Lilys Charakter konnte mich besonders begeistern. Eine sehr mutige Frau, die sich nicht in Schubladen sperren lassen will, die Regeln und Traditionen hinterfragt und versucht das Richtige zu tun. Trotzdem ist sie keine "Powerfrau", sondern ein ganz normales Mädchen, das versucht glücklich zu sein. Ich fand Lily von Anfang an sympathisch und im Laufe der Geschichte habe ich immer mehr Respekt für sie empfunden.
Selten findet man so eine schöne Liebesgeschichte in historischen Romanen, der auch gleichzeitig so viele geschichtliche Informationen beinhaltet. Lily und Jo konnten mein Herz berühren und ich habe auf jeder Seite mit ihnen mitgefiebert. Lily, aus reichem Hause, die mit der Zeit erst bemerkt, dass nicht alle Menschen so behütet leben wie ihre Familie und Freunde, und dies nicht so einfach hinnehmen will, wie all die anderen. Und Jo aus dem Elendsviertel, der versucht seine Familie das Überleben zu sichern, und von jedem Tag auf den anderen lebt. Die Liebe zwischen zwei völlig verschieden Welten - ein altes Thema, aber mit den richtigen Worten noch immer atemberaubend und herzbewegend.
Zwischendrin hat sich die Geschichte ganz leicht gezogen, wo nicht wirklich viel passierte und Lilys Entscheidung am Ende des Buches war mir zu rational. Deshalb gibt es von mir einen halben Stern Abzug. Dennoch hat mich die Geschichte und diese Zeit sehr begeistert. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Das Ende hat einen Cliffhänger - Teil 2 "Elbstürme" erscheint aber erst im Mai 2021. Ich habe mir das Buch sofort vorbestellt, weil ich es kaum abwarten kann, zu erfahren, wie die Geschichte von Lily & Jo weitergeht
Hinter diesem Cover versteckt sich eine aufregende Zeit, in der man für jede kleine Veränderung einen Kampf führen musste, aber auch eine wunderschöne Liebesgeschichte. Elend und Liebe, zwei Themen die kaum zueinander passen, hier aber eine sehr inspirierende Geschichte bilden.