Abwechslungsreich und originell, aber mit schwachem Ende
Dies war mein erstes Buch der Autorin und ich muss sagen, dass es mich überrascht hat, was für ein Konzept L.J. Shen für diesen Roman gewählt hat. Selten stolpere ich über ein Buch, dessen Autor sich traut ...
Dies war mein erstes Buch der Autorin und ich muss sagen, dass es mich überrascht hat, was für ein Konzept L.J. Shen für diesen Roman gewählt hat. Selten stolpere ich über ein Buch, dessen Autor sich traut (fast) auf das Ganze zu gehen. Aber dazu später mehr.
Zunächst muss ich zugeben, dass ich – auch aufgrund des Covers – mit einer anderen Entwicklung der Geschichte gerechnet habe. In diesem Punkt erinnert mich das Cover an Daria: hübsch und unbeschwert und vor allem trügerisch. Einerseits hätte ich mir ein Cover gewünscht, das etwas mehr zur Handlung passt, andererseits ist dies vielleicht in Anbetracht von Darias Figur das perfekte Cover für dieses Buch. Es lockt den Leser mit einer vermeintlich leichten Story an, wartet darauf, dass das Buch geöffnet wird und lässt mit seiner Handlung die Kinnlade des Lesers runterfallen.
Der Schreibstil der Autorin ist angenehm und flüssig zu lesen und trägt einiges zur Vermittlung der Gefühle der Protagonisten bei. Besonders gut haben mir die kleinen „Gedichte“ jeweils am Anfang eines Kapitels gefallen, die waren wirklich schön. Ab und zu hat sich auch der eine oder andere regelrecht schon poetische Satz zwischen die Zeilen des Buches eingenistet. Die waren auf jeden Fall eines meiner Highlights in diesem Roman.
Die Sprache der Charaktere fand ich passend und die Dialoge wirkten auf mich nicht gestellt, sondern natürlich. L.J. Shen hat für ihre Figuren Vokabular gewählt, wie es in Büchern aus dem Genre der Dark Romance häufig benutzt wird, aber gestört hat mich das nicht. Ich habe es als angemessen für die Charaktere empfunden.
Im Gesamten ist der Roman sehr handlungs- und weniger charakterorientiert. Damit meine ich, dass die Handlung mehr Raum bekommt als die Gefühle und Entwicklung der Charaktere. In diesem Fall handelt es sich sogar um viel mehr Raum.
Bewusst habe ich bei dieser Rezension auf eine eigene kurze „Zusammenfassung“ der Handlung verzichtet, weil es unmöglich ist, die Breite der Handlung und die vielen unterschiedlichen Handlungsstränge ohne Spoiler zu erklären. Es geht um eine kaputte Familie und begangene Fehler, um das eigene Gewissen und Machtkämpfe, um Rivalität und um den Schmerz nie genug zu sein. Die Handlung kann ich am besten so erklären: damit habe ich nicht gerechnet.
Man muss dazu sagen, dass sich der Roman mit jedem neuen Handlungsstrang ein wenig mehr von der Realität entfernt hat und der Plot immer verworrener und unvorhersehbarer wurde. Allerdings fand ich die Umsetzung der Autorin so gelungen, dass es während dem Lesen nicht sonderlich auffiel, sondern erst im Gesamtbild ein wenig merkwürdig erschien.
L.J. Shen schafft eine Atmosphäre, die inmitten des Sommers wenig mit der Leichtigkeit, die das Cover und die Jahreszeit ausstrahlen, zu tun hat. Ganze Absätze waren für mich schmerzhaft zu lesen, weil die Gefühle sehr schwer und real wirkten. Sobald ich als Leser an der trügerischen Oberfläche gekratzt habe, hat mich das Buch festgehalten und in seine Abgründe gezogen. Diese Gestaltung war fesselnd und originell und im Nachhinein war ich wirklich froh, dass es sich hierbei nicht um eine klischeehafte High School/ College Romanze gehandelt hat.
Die Menge an Handlung, die die Autorin eingebaut hat, sorgt dafür, dass eigentlich immer irgendetwas passiert und die Spannung so aufrechterhalten wird. An keiner Stelle habe ich den Roman als langatmig empfunden, im Gegenteil, teilweise wollte ich das Buch nicht aus der Hand legen.
Was jedoch positiv für die Spannung ist, wirkt sich negativ auf die Ausarbeitung der Charaktere aus. Die vielen Handlungsstränge lassen wenig Platz für eine richtige Entwicklung der Protagonisten und führen dazu, dass die Gefühle der Charaktere manchmal von der einen in die andere Richtung springen, ohne dass der Leser versteht warum. Besonders ausgeprägt ist dies bei Daria und Penn: im einen Moment gehen sie sehr intim miteinander um und im nächsten bekriegen sie sich regelrecht. Als Leser empfand ich die schnell springenden Gefühle oft als unbegründet.
Auch waren die Charaktere meiner Ansicht nach verantwortlich für den wirren Plot. Zu viele Nebencharaktere haben einen eigenen Handlungsstrang bekommen und dieser hat sich wiederum mit der restlichen Handlung zu einem großen Bündel verknotet.
Die Handlung treibt die Figuren so an, dass diese unerwartet gehandelt und dabei sehr impulsive Entscheidungen getroffen haben, die nach genauerem Nachdenken nicht die klügsten waren.
Abgesehen davon habe ich jedoch die Gestaltung der Charaktere gemocht. Viele von ihnen haben Fehler gemacht, waren egoistisch, oberflächlich und fast schon unsympathisch. Viel zu oft lese ich in Büchern das Klischee der netten, langweiligen Protagonistin, die irgendwie keine Fehler macht. Endlich eine Autorin, die sich traut auch Protagonisten schlechte Eigenschaften zu geben und deren Charaktere man nicht immer mögen muss. Es war richtig erfrischend das Gegenteil von einer perfekten Protagonistin zu sehen.
Bis hierhin war ich begeistert von dem Buch. Doch dann kam das Ende und das war einfach nur enttäuschend und leider leider leider sehr klischeebelastet.
Innerhalb der letzten paar Kapitel wurde plötzlich in die Perspektive von Darias Eltern - Melody und Jaime – gewechselt. Vielleicht lag es daran, dass ich die Sinners of Saint Reihe der Autorin nicht gelesen hatte (in welcher die beiden wohl als Protagonisten auftraten), aber dies fand ich einfach nur unpassend. Zwar dauerte der Wechsel nur wenige Seiten, aber gerade zum Zeitpunkt von Melodys Sicht hätte ich Darias Perspektive so gerne gelesen. Stattdessen hat das Bedürfnis der Autorin durchgegriffen, alles geradezurücken und den Lesern der Sinners of Saint Reihe zeigen zu wollen, dass ihre ehemalige Protagonistin Melody nur missverstanden und eigentlich noch immer ganz nett ist.
Die beiden Perspektiven haben nur unnötig weitere Handlung hinzugefügt, die zu diesem Zeitpunkt sowieso schon überladen war. Sie hätten durch guten Plot ersetzt werden können, indem man den Charakteren die Möglichkeit hätte geben können, Beziehungen langsam wieder aufzubauen, Fehler einzugestehen und Missverständnisse zu klären. Aber anstatt die Komplexität der Beziehungen zu entwirren und zu glätten, entschied sich die Autorin dazu eine Schere in die Hand zu nehmen und die verknoteten Stränge einfach abzuschneiden, um sie wieder zusammenzukleben als wäre nichts gewesen. Hier wurde auf eine einfache Lösung ausgewichen, die so weder zur Geschichte noch zu den Charakteren oder gar zu dem ganzen Konzept gepasst hat, um ein sehr klischeehaftes Ende zu schreiben. Nach all den vorherigen Seiten hatte ich mehr erwartet. Viel mehr und vor allem, viel Komplexeres und Dunkleres. Der Sinn dieses Endes? Tja, der war mir leider nicht ersichtlich. Da hat der Autorin wohl das letzte bisschen Mut gefehlt, den Roman grandios und passend zu dem Konzept, das sie bis hierhin unbeirrt durchgezogen hat, enden zu lassen.
Fazit
Insgesamt empfand ich das Buch als abwechslungsreich und erfrischend, da die Autorin sich getraut hat, ihre Charaktere gravierende Fehler machen zu lassen und die Figuren auch mal unsympathisch sein durften. Leider hat sie damit am Ende gebrochen und ist einem künstlichen Ende verfallen, das mich richtig enttäuscht hat.
Wer dieses Buch lesen möchte, dem empfehle ich sich nicht vom Prolog und Cover täuschen zu lassen: Es handelt sich hierbei nicht um eine süße High School Romanze, sondern um ein Buch, dessen Handlung viel komplexer und dessen Atmosphäre viel dunkler ist, als man zunächst denkt.