Leserunde zu "Die geheimnisvolle Freundin" von Simona Baldelli

Zwei Freundinnen und ein folgenreiches Bekenntnis
Cover-Bild Die geheimnisvolle Freundin
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Simona Baldelli (Autor)

Die geheimnisvolle Freundin

Roman

Elisa Harnischmacher (Übersetzer)

Zwei Freundinnen und ein folgenreiches Bekenntnis

Abruzzen, 1950er Jahre. Von Geburt an lebt Nina in einem von strengen Nonnen geführten Waisenhaus auf dem Land. Als sie sieben ist, wird Lucia aufgenommen, die gerade ihre Eltern verloren hat. Zwischen den beiden gleichaltrigen Mädchen entwickelt sich über viele Jahre hinweg eine enge Freundschaft. Bis ein dramatisches Missverständnis ihr Vertrauensverhältnis nachhaltig erschüttert und beide getrennte Wege gehen. Nina findet Arbeit in einer Tabakfabrik, erfährt dort Solidarität und schöpft neue Zuversicht für ihr weiteres Leben. Dann steht eines Tages Lucia vor ihrer Haustür. Und vertraut ihr ein für beide weitreichendes Geheimnis an ...

"Eine bewegende Geschichte über Freundschaft und weibliche Solidarität, eindringlich und voller Hoffnung" La Repubblica

Ausgezeichnet mit dem PREMIO LETTERARIO NAZIONALE DONNA SCRITTRICE 2023

Timing der Leserunde

  1. Bewerben 13.05.2024 - 02.06.2024
  2. Lesen 10.06.2024 - 30.06.2024
  3. Rezensieren 01.07.2024 - 14.07.2024

Bereits beendet

Schlagworte

Literarische Unterhaltung

Teilnehmer

Diskussion und Eindrücke zur Leserunde

Veröffentlicht am 01.07.2024

Eine sehr anrührende Geschichte

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Wir lesen die Geschichte von Nina, die in einem Waisenhaus aufwächst wo eine sehr lieblose und kalte Atmosphäre herrscht. Einmal im Jahr werden die Kinder herausgeputzt und vorgeführt, so dass einige Kinder ...

Wir lesen die Geschichte von Nina, die in einem Waisenhaus aufwächst wo eine sehr lieblose und kalte Atmosphäre herrscht. Einmal im Jahr werden die Kinder herausgeputzt und vorgeführt, so dass einige Kinder neue Familien finden. Nina, die kränklich und blass aussieht, hat nur einen Wunsch: Ausgesucht zu werden. Trotz aller Widrigkeiten entwickelt Nina sich zu einem sozialen, einfühlsamen Wesen und ist mehr für andere da, als sie eigentlich will.
Der empathische und bildhafte Schreibstil gefällt mir sehr gut. Simona Baldelli hat es sehr schnell geschafft, die triste Atmosphäre des Waisenhauses vor meinem inneren Auge erstehen zu lassen. Vor allem gefällt mir sehr gut, wie die Autorin die Figur der Nina aufbaut, es ist alles nachvollziehbar und schlüssig und könnte auch im wahren Leben passieren. Ich konnte gut spüren, wie einsam und überflüssig sich die kleine Nina fühlt. Auch ihre Freundinnen werden gut charakterisiert, so dass sich bei mir gleich Zu- und Abneigung eingestellt hat. Allerdings hatte ich bedingt durch Titel und Klappentext eine andere Entwicklung der Geschichte erwartet, beides ist ein bisschen irreführend. Geheimnisvoll finde ich keine von Ninas Freundinnen und das angekündigte große Geheimnis ist eher ein kleines. Trotzdem hat mich dieses Buch sehr berührt, denn Ninas Entwicklung zu verfolgen war wirklich interessant. Deshalb kann ich „Die geheimnisvolle Freundin“ aus ganzem Herzen weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 09.07.2024

Um sich eine Zukunft vorstellen zu können, braucht es Worte, sie zu beschreiben…

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Es sind die 1950er Jahre in den Abruzzen. Hier lebt die kleine Nina in einem christlichen Waisenhaus, in dem sie kurz nach der Geburt als Findelkind abgegeben wurde. Der Ton ist so rau wie die einheitliche ...

Es sind die 1950er Jahre in den Abruzzen. Hier lebt die kleine Nina in einem christlichen Waisenhaus, in dem sie kurz nach der Geburt als Findelkind abgegeben wurde. Der Ton ist so rau wie die einheitliche Kleidung der Kinder. Liebe, Zuwendung und Nähe erfahren die Kinder kaum, die Regeln sind streng, die Perspektiven düster. Hier erscheint für Nina das Eintreffen der jungen Waise Lucia zunächst wie ein Hoffnungsschimmer. Doch auch in der älteren Marcella entdeckt sie schließlich eine Komplizin und ein Vorbild. Mit viel Feingefühl und einem wachen Blick für Mechanismen der Ab- und Ausgrenzung beschreibt Baldelli den Alltag im Waisenhaus und den Versuch Nähe durch Freundschaft in diesem Umfeld zu erfahren.

Der Roman entwickelt sich entlang von Ninas Aufwachsen in alternierenden Perspektiven aus ihrer Kindheit im Waisenhaus und als junge Erwachsene und Arbeiterin in einer Tabakfabrik. Baldelli gelingt es die bedrückende, verzweifelte Stimmung im Waisenhaus auf besonders eindringliche Weise einzufangen und vermittelt so ein sehr authentisch wirkendes Bild des Lebens in einem von Nonnen geführten Haus im ländlichen Italien der 1950er. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen stehts Frauen und die Zwänge in denen diese agieren, agieren müssen und von denen sie begrenzt werden, aber auch ihr Versuch sich diesen Zwängen zu entreißen und ein selbstbestimmtes, glückliches Leben zu führen.

Die Geschichte um Nina und ihre Gefährtinnen ist nicht nur eine Erzählung weiblicher Selbstermächtigung sondern auch von Klassengrenzen, dem Wert und der Notwendigkeit von Bildung, um die eigene Klassenlage zu erfassen und sie zu verbessern und nicht zuletzt überhaupt ein Weltverständnis, im Sinne der eigenen Verortung in einem Gesellschaftssystem zu erlangen - dies als Grundbedingung für echte Emanzipation, Selbstwirksamkeit und Freiheit. Wort für Wort erarbeitet sich Nina dieses Weltverständnis und sprengt damit die engen Mauern des Waisenhauses und der körperlich wie geistig einengenden Doktrinen der Nonnen.

Während Nina, Marcella und die neue Kollegin in der Tabakfabrik, Carla, Komplizinnen im Geiste sind, zeigt die Autorin über die unterschiedliche Herkunft und Prägung von Nina und Marcella auf der einen und Carla auf der anderen Seite die Macht von Klassengrenzen und die Wirkung der Klassenlage auf nicht nur die materielle Situation sondern auch das Denken und internalisierte Glaubenssätze. So muss Nina bei aller Liebe und Solidarität unter den Freundinnen feststellen, dass sich Carla bestimmte großzügige und kämpferische Positionen schlicht auch einfach leisten kann, da sie aufgrund ihrer Herkunft stets weich fallen wird. Obgleich der Kampf um weibliche Emanzipation in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung Carla und Nina wie Marcella eint, werden an Nina und Marcella die intersektional wirkenden Diskriminierungsstrukturen, als Frauen, aus der Arbeiterschicht, und ehemalige Findelkinder ohne Familie deutlich. Auch wie Klassenlage den Habitus bestimmt zeichnet die Autorin anhand der feinen Unterschiede zwischen Carla und Lucia auf der einen und Nina und Marcella auf der anderen Seite sensibel hervor.

Sprachlich hat mich der Roman vom Anfang bis zum Ende überzeugt. Baldelli findet für die schwierigen und komplexen Themen, eine einnehmende, bildliche Sprache, ohne dabei kitschig zu klingen.

Schwächen zeigt der Roman lediglich zum Ende hin, das vor dem Hintergrund des sozialkritischen Ansatz und Anspruchs des Romans etwas zu sehr in Wohlgefallen konstruiert ist. Zum anderen sind Klappentext und Titel aus meiner Sicht etwas missverständlich. Die Freundschaft zwischen Nina und Lucia ist nur ein (Neben)Schauplatz von mehreren der Geschichte. Ich würde den Roman als sozialkritische, emanzipatorische Entwicklungsgeschichte von Nina beschreiben, mit tiefen Einsichten in die Strukturen eines christlichen Waisenhauses im ländlichen Italien der 50er Jahre, einer gelungenen Darstellung gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen in Bezug auf Klasse und Geschlecht und nicht zuletzt der Notwendigkeit und Macht weiblicher Solidarität. Mein Tipp daher: unbedingt die Leseprobe lesen, und im Idealfall direkt in den Bann der Geschichte ziehen lassen.

Simona Baldelli liefert mit die geheimnisvolle Freundin nicht nur einen beeindruckenden Roman in wundervoll bildlicher Sprache und das ohne jeden Anflug von Kitsch, sie beweist gleichzeitig ein feines Gespür und Ausdrucksvermögen für gesellschaftliche Distinktionsmechanismen anhand von Geschlecht, Klasse und Habitus. Auch unter Berücksichtigung der genannten leichten Schwächen ist die Geheimnisvolle Freundin für mich ein echtes Highlight in diesem Lesejahr!

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Veröffentlicht am 14.07.2024

Düstere aber sehr lesenswerte Geschichte

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In den 50er Jahren wächst die kleine Nina als Findelkind in einem von Nonnen geführten Waisenhaus in den italienischen Abruzzen auf. Das Leben ist geprägt von Eintönigkeit, Gehorsam und Lieblosigkeit. ...

In den 50er Jahren wächst die kleine Nina als Findelkind in einem von Nonnen geführten Waisenhaus in den italienischen Abruzzen auf. Das Leben ist geprägt von Eintönigkeit, Gehorsam und Lieblosigkeit. Jedes der Kinder hofft, bei einem einmal jährlich durchgeführten, wie eine Ausstelung wirkenden, Tag der offenen Tür von einer neuen Familie ausgesucht zu werden. Doch Nina hat dabei nie Glück. So kommt ihr Lucia als neues Waisenkind im Heim gerade recht, die Nina sofort als "Freundin" für ihre ganz eigenen Zwecke vereinnahmt.
Wir begleiten Nina in einem grossen Teil der Geschichte in ihrer Zeit im Waisenhaus, zum Ende hin auch als junge Erwachsene, die in einer Tabakfabrik arbeitet und dort auch beginnt, sich mit Streiks für die Rechte der Frauen zu engagieren.
Insbesondere den Teil im Waisenhaus habe ich mit Begeisterung gelesen. Die Autorin hat es hier meisterhaft verstanden, das düstere Stimmungsbild im Waisenhaus sowie die immer wieder aufkeimenden und dann doch wieder zerbrechenden Hoffnungen der Kinder darzulegen. Eine sehr traurige und hoffnugslise Athmosphäre schwebte für mich über der ganzen Geschichte, zu gerne hätte man die Kleinen in den Arm genommen. Dabei war gerade Nina hier für mich der herausragende Charakter, obwohl sie keine allzu grosse Entwicklung mitgemacht hat. Sie steht für mich stellvertretend für alle Kinder, die trotz liebloser Verhältnisse nach langer Durststrecke doch noch den Absprung in ein lebenswertes Dasein geschafft haben. Hierzu war sicherlich auch die Zeit in Ninas Erwachsenenleben wichtig, mich hat dieser Teil allerdings nicht ganz so mitreissen können..
Auch das Cover und der Klappentext passen nicht so wirklich gut zum Inhalt, daher ein Punkt Abzug für diesen sehr lesenswerten Roman.

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Veröffentlicht am 09.07.2024

Spiegelbild der sozialen Verhältnisse in Italien von 1950 - 1968

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Selten empfand ich den Titel und die Inhaltsangabe eines Romans so wenig zutreffend wie hier. Das ist ärgerlich, weil es Erwartungen weckt, die das Buch nicht erfüllen kann und der Leser dadurch enttäuscht ...

Selten empfand ich den Titel und die Inhaltsangabe eines Romans so wenig zutreffend wie hier. Das ist ärgerlich, weil es Erwartungen weckt, die das Buch nicht erfüllen kann und der Leser dadurch enttäuscht wird. Und Leser, die genau so etwas gerne lesen, nehmen es gar nicht erst in die Hand.

Die Autorin erzählt Ninas Geschichte, eine Geschichte von Leid, Ungerechtigkeit, missbrauchter Freundschaft und innerer Befreiung. Nina wird gleich nach der Geburt in einem Nonnenkloster abgegeben. Sie ist ein Findelkind und Mädchen und steht damit in der Hierarchie des Waisenhauses ganz unten. Das Leben dort ist geprägt von Strenge, Disziplin, Entbehrungen, starren Moralvorstellungen, fehlender Liebe und Ungerechtigkeit. Als die Waise Lucia ins Kloster kommt, ändert sich Ninas Leben. Sie fühlt sich für Lucia verantwortlich, beschützt sie und übt zu ihren Gunsten Verzicht. In meinen Augen hat Lucia Ninas Liebe nicht verdient. Lucia ist verwöhnt, selbstgefällig, manipulativ und immer auf ihren Vorteil bedacht. Als Nina für Lucia auf die Möglichkeit einer Adoption verzichtet, verlässt Lucia das Kloster ohne Abschied. Nina bleibt zurück. Nina verlässt fast erwachsen das Waisenhaus und wird Arbeiterin in der ortsansässigen Tabakfabrik, dem größten Arbeitgeber am Ort. Als die Eigentümer Entlassungen und sogar die Schließung des Werkes planen, wehren sich die Arbeiterinnen mit Streik. Und Nina, die aus Selbstschutz ihr Herz nicht mehr verschenken wollte und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht war, lernt Freundschaft und Solidarität kennen. Es ist das Jahr 1968 und die Welt ist im Umbruch.

Der größte Teil des Romans schildert Ninas Leben im Waisenhaus. Ich habe das als sehr belastend empfunden, weil die Zustände in meinen Augen unmenschlich und nicht Kind gerecht waren. Bildung beschränkt sich auf das notwendigste. Die Welt draußen hält keinen Einzug. Ich konnte Nina nur bewundern, das sie sich nicht brechen lässt. So bleibt Nina nach dem Auszug aus dem Kloster nur die Stelle als ausgebeutete Dienstmagd und als erster Schritt der Selbstbestimmung die Arbeit in der Fabrik. Nina ist intelligent und wissbegierig und lernt , die Welt draußen zu begreifen. Dass Nina am Ende so was wie Glück findet, hat mich sehr berührt. Bezeichnend dafür ist das Bild, das die Autorin am Ende beschreibt. Es ist ein einzigartiger Moment der Hoffnung und Befreiung.

Für mich war das Buch lesenswert, auch wenn es über weite Strecken nur schwer zu ertragen war, aber es zeigt nach meinem Dafürhalten ein realistisches Bild der damaligen Zeit.

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Veröffentlicht am 12.07.2024

Beklemmend, aber anders als erwartet

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Worum geht es:
Nina wächst in einem Waisenhaus auf. Ihre Geschichte beginnt in etwa als sie 4 Jahre ist. Das Waisenhaus wird von Nonnen geführt und ist von einem wenig liebevollen Alltag geprägt. Zuwendung ...

Worum geht es:
Nina wächst in einem Waisenhaus auf. Ihre Geschichte beginnt in etwa als sie 4 Jahre ist. Das Waisenhaus wird von Nonnen geführt und ist von einem wenig liebevollen Alltag geprägt. Zuwendung und Wertschätzung stecken hinter Disziplin und Härte zurück. Mit ca. 7 kommt Lucia in das Heim, sie kennt das Leben „draußen“ und vermisst es. Die Mädchen freunden sich an und meistern nun den Alltag gemeinsam. Ihre Wege trennen sich noch während der Kindheit wieder. Als erwachsene Frau beginnt Nina ihr eigenes Leben, lebt in einer Wohngemeinschaft und arbeitet in einer Tabakfabrik. Nach und nach lernt sie die echte Welt kennen, lernt eine Freundin kennen und findet Anerkennung auf Arbeit. Und trifft wieder auf Lucia. Kann die Freundschaft zwischen beiden wieder aufleben?

Meine Meinung:
Zwei Drittel des Buches beschreiben das Leben im Waisenhaus auf beklemmende Art und Weise. Dieser Teil las sich trotz allem sehr leicht und angenehm, war emotional und man hat richtig mitlesen können, wie Nina älter und reifer wird. Der Stil trifft die jeweiligen Altersstufen sehr gut. Das letzte Drittel behandelt die Zeit in der Tabakfabrik. Hier fließt auch sehr viel politischer Hintergrund zu den Streiks und Demonstrationen im Land ein. Insgesamt hat mir das Buch zwar gut gefallen, aber leider hat der Klappentext etwas anderes suggeriert und die Streiks in der Tabakfabrik waren mir etwas zu umfangreich dargestellt. Das Verhältnis der beiden Mädchen blitzte zwar immer wieder durch, aber stand nicht durchgängig im Vordergrund. Ich bin daher leider etwas enttäuscht, da ich etwas anderes erwartet hatte. Was mir jedoch gut gefallen hat, war dass später in einer kleinen Szene Lucia ihre Sicht dargelegt hat. Bis dahin kannte man nur Ninas Version der Erlebnisse und hatte automatisch eine Meinung im Kopf. Alles in allem hat das Lesen Spaß gemacht, aber es war eine andere Art von Geschichte als erwartet.

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