Veröffentlicht am 23.05.2021
Bei dem Cover von „A different blue“ und Amy Harmons vorangegangenen zwei Romanen („Making Faces“ und „Infinity Plus One“) habe ich zuerst gedacht, es würde sich um eine Trilogie handeln. Ich habe mich ...
Bei dem Cover von „A different blue“ und Amy Harmons vorangegangenen zwei Romanen („Making Faces“ und „Infinity Plus One“) habe ich zuerst gedacht, es würde sich um eine Trilogie handeln. Ich habe mich allerdings sehr gefreut zu sehen, dass es Einzelbände sind.
Zunächst gefällt mir die Mischung der Schriftarten sehr gut: groß, scharfkantig und klar das „BLUE“ und im Gegensatz dazu verspielt und einer Handschrift gleich „a different“. Die Farbgebung des Covers ist nicht nur wunderschön, sondern passt mit ihren vielen verschiedenen Blautönen auch exzellent zum Buchtitel und damit auch zur Protagonistin. Ich liebe es, wenn dieser perfekte Dreiklang aus Inhalt, Titel und Cover entsteht – ein großer Zusammenhang, nichts ist beliebig – da kriege ich direkt eine leichte Gänsehaut.
Amy Harmons Schreibstil hat mir ebenfalls gefallen. Zunächst war ich überrascht über den Prolog, der 1993 angesiedelt ist. Hier fühlte ich mich plötzlich wie in einem Krimi, was mich kurz verwunderte, aber danach direkt unglaublich gefesselt hat. Auf diesen Seiten schreibt die Autorin gradlinig und klar ohne schreckliche Dinge hinter schönen Worten zu verschleiern. Mit dem Sprung ins Jahr 2010 ändert sich dann auch der Schreibstil. Ein Unterton von Melancholie, vor allem begleitend zu Blues Lebenssituation und ihrer Vergangenheit, schwingt immer mit, aber zwischendurch blitzt auch ein bisschen Humor durch. Blues rebellisches Verhalten gegenüber Mr. Wilson bringt mich zum Schmunzeln, auch wenn klar ist, dass es ein Verteidigungsmechanismus ist. Doch auch Blues Gedanken über ihre kneifende Hose oder die „angefütterten Katzen“, Manny und Graciela, lockern die düstere Stimmung etwas auf. Es ist schwer, zu vergessen, was Blues Mutter vor 17 Jahren widerfahren ist und ihr Unwissen drückt mir als Leserin noch zusätzlich auf den Magen. Amy Harmon erzeugt auf wenigen Seiten direkt ein emotionales Minenfeld, das ich mit angehaltenem Atem durchquere und nur bei einigen kurzen Szenen Luft holen kann. Ich muss unbedingt weiterlesen!
Blue tut alles, um sich und ihre Gefühle vor der Welt zu verschließen. Lehrkräfte und Mitschülerinnen sollen ihr möglichst vom Leib bleiben, Jungs, die auf ihr Fingerschnippen reagieren, scheint sie aber in gewisser Weise zu dulden. Sie scheint keine Bindungen oder Freundschaften aufbauen, sondern mehr für sich bleiben zu wollen. Ich kann den Gedanken an ihre ermordete Mutter nicht abschütteln und habe großes Mitleid mit Blue. Vermutlich fällt es mir deswegen auch schwer, ihr unhöfliches Benehmen zu rügen. Ihr Hobby Holzbildhauerei finde ich übrigens sehr faszinierend und richtig erfrischend in einem Roman. Ich kenne bislang keinen, in dem die Protagonistin diese Leidenschaft hat.
Über Mr. Wilson weiß man bislang kaum etwas. Er scheint für seinen Beruf zu brennen und ist noch sehr jung. Vermutlich hat er gerade die Uni abgeschlossen und bringt noch einen unerschütterlichen Idealismus mit. Er will die Schüler:innen begeistern, aus einer Lethargie rütteln und wirklich etwas verändern. Die Resignation einiger älterer Lehrer:innen ist bei ihm noch weit weg. Mit der Aufgabe, man solle seine Geschichte aufschreiben, geht er einen ersten Schritt. Ich bin sehr gespannt, wie sein Stil von den Schüler:innen aufgenommen wird und vor allem, wie er kurz- bis mittelfristig mit Blues Respektlosigkeit und auch fehlender Motivation umgehen wird. Wie wird er ihren Schutzpanzer durchdringen, sodass sich zwischen ihnen eine Liebesbeziehung anbahnen kann?
Manny ist für Blue erstmal eine Nervensäge, aber ich glaube, dass er „einer von den Guten“ ist. Er kümmert sich um seine kleine Schwester und ich glaube auch, dass er Blue ein wenig in seine Obhut genommen hat. Sie sagt selbst, er hätte viele Freundinnen und könnte problemlos mit dem Bus fahren, aber aus irgendeinem Grund hat er sich bewusst dafür entschieden, bei Blue zu sein. Vielleicht spürt er ihre Einsamkeit, ihre Traurigkeit und will ihr ein Freund sein. Ich finde ihn auf jeden Fall sehr sympathisch und hoffe, dass Blue ihn hinter ihre Mauer lässt – sie kann dadurch einen warmherzigen Freund gewinnen.
Auf so wenigen Seiten wurden bereits so viele Fragen aufgeworfen. Allen voran natürlich: Was ist Blues Mutter damals passiert? Ich hoffe, dass diese Frage aufgeklärt wird und nicht unter der Liebesgeschichte im Sand verläuft. Wer war der Mann, den ihre Mutter damals beobachtet hat? Jimmy? Wer ist Jimmy und welche Beziehung hat Blue zu ihm? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihr biologischer Vater ist, aber vielleicht eine Art Ersatzvater, der sich ihr angenommen hat? Falls ja: wie kam es dazu und wo ist er jetzt?
Wie oben bereits erwähnt, frage ich mich natürlich, wie Mr. Wilson und Blue zueinander finden. Ich könnte mir vorstellen, dass eben diese erste Aufgabe, die eigene Geschichte aufzuschreiben, schon den Aufhänger bietet, dass die beiden in einen Austausch kommen. Außerdem erwarte ich, dass Blue beginnt, ihre Vergangenheit erforschen zu wollen (vielleicht ebenfalls aufgrund dieser Aufgabe?). Dabei wird sie mindestens ein furchtbares Ereignis aufdecken und ich hoffe, dass ihr dann jemand zur Seite steht, um das zu verarbeiten. Ich möchte auf jeden Fall unbedingt dabei sein und erleben, wie Blue Gewissheit bekommt, kurzzeitig daran zerbricht und hoffentlich auch wieder heilt.